
Der Aargauer Malik ist ein international bekannter Meister urbaner Kunst



In den nächsten fünf Jahren wird Malik immer wieder ins Gefängnis gehen. Aber nicht, weil er das Gesetz bricht. Marc «Malik» Furer ist ein gefragter Künstler. Vom Kanton Zürich hat der Aargauer den Auftrag gefasst, die Betonwände von sechs Untersuchungsgefängnissen zu gestalten.
Ganz nach dem Vorbild der Justizvollzugsanstalt in Lenzburg. In einem noch nie zuvor gesehenen Projekt hatte Malik von 2012 bis 2015 gemeinsam mit 16 weiteren Streetartists im Gefängnis in Lenzburg Flächen von 4661 Quadratmetern besprayt und bemalt.
Die Arbeiten dauerten drei Jahre, die Künstler sprayten ohne Honorar. Die Idee dazu hatte er damals, weil er gross denkt: «Ich war in der Krise. Ich habe gedacht: In der ganzen Welt malen sie auf grossen Wänden, aber in der Schweiz sind diese begrenzt.» Der Einfall kam ihm dann kurz vor dem Einschlafen: «Gefängnisse haben grosse Wände.» Am nächsten Tag fragte er in der Strafvollzugsanstalt an, das Projekt nahm seinen Lauf. Und wurde ein voller Erfolg.
Mit 15 Jahren kaufte er seine erste Spraydose
Dabei malte Malik, heute 42 Jahre alt, als Kind immer auf winzigen Papierflächen: «Ein A4-Blatt war für mich schon zu gross.» Mit 15 Jahren dann sah er in Aarau im Flösserplatz zum ersten Mal in seinem Leben ein Graffiti: «Das war eine Erleuchtung für mich. Das war ein ausschlaggebender Punkt in meinem Leben. Ich habe realisiert, dass man auch gross malen kann.»
Es verging keine Woche und Malik kaufte seine ersten Spraydosen. Heute, 27 Jahre später, kann der Aargauer als einer von wenigen Sprayern schweizweit gut von seiner Kunst leben.
In Rombach aufgewachsen, machte er in Aarau die Matura. Das Studium an der Kunsthochschule in Bern brach er nach eineinhalb Jahren ab. «Ich wäre auf diesem Weg Gymnasialzeichenlehrer geworden. Ich wusste aber, dass ich meine eigenen Sachen machen wollte, und habe alles auf eine Karte gesetzt.»
Der Lemur auf der Eisenbahnbrücke ist von ihm
Es folgten harte und brotlose Jahre, wie er erzählt: «Ich hatte zwar 1993 meinen ersten bezahlten Job, was mich ermutigte, weiterzumachen. Es gab aber auch Tage, an denen ich nicht wusste, ob ich mir etwas zu Essen leisten konnte.»
Jeder, der in der Aarauer Telli die Autobahn verlässt, kennt den Lemuren auf der Eisenbahnbrücke. Dies ist nur eines von vielen Sujets, die Malik in der Region hinterlassen hat. «Ich bin sehr selbstkritisch. Bei vielen meiner älteren Werke sehe ich einiges, was ich heute besser machen würde.»
Er habe sehr hohe Ansprüche an sich selbst. Eine Einstellung, die ihn weit gebracht hat. Maliks Handwerk ist begehrt, er wird für Aufträge im In- und Ausland gebucht.
In der Streetart-Szene hat ein Wandel stattgefunden
In den letzten 10 bis 15 Jahren hat die Streetart-Szene eine radikale Entwicklung durchgemacht: Einst als Vandalismus abgestempelt und verpönt, haben sich die Kunstwerke von urbanen Künstlern zu begehrten Motiven für Werbemacher und Must-haves für Kunstkenner entwickelt.
«Früher kannten es viele nicht und konnten Schmierereien auf den Strassen nicht von qualitativ hochstehenden Arbeiten unterscheiden.» Es habe Jahre gedauert, bis man realisiert habe, dass es Leute gebe, die mit der Spraydose wirklich etwas Schönes darstellen können.
Diese Entwicklung habe für die Künstler sowohl Positives als auch Negatives mit sich gebracht: «Als Künstler hat man viel mehr Möglichkeiten, weil die Nachfrage gross ist und unsere Kunst mittlerweile als Raumverschönerung akzeptiert wird.» Die volle Kommerzialisierung schmerze aber auch: «Für den Kreativen, der das mit viel Herzblut verfolgt, ist es nicht schön, wenn es ausgeschlachtet wird.»
Kunden bringen Ideen
Früher habe er wie viele andere auch nachts gesprayt: «Damals war die Szene mehr im Untergrund und du hattest nicht so viele Möglichkeiten.» Es habe einen ganz anderen Reiz gehabt, im Dunkeln zu sprayen und am nächsten Tag die Reaktionen der Menschen zu beobachten. «Mir ging es nie um Zerstörung. Es ging um den Reiz, etwas aus dem Nichts zu erschaffen.»
Heute hat Malik viele Kundenaufträge. Mehr, als er bewältigen könnte. Auftragsarbeiten seien eine garantierte Einnahmequelle. Trotzdem nimmt Malik ausschliesslich Aufträge an, bei denen er als Gestalter Freiraum hat: «Die Kunden kommen mit einer Idee und ich bringe meine Gestaltung mit hinein.»
Über die Jahre klopften namhafte grosse Firmen aus dem In- und Ausland an, teilweise mit unerwarteten Aufgabenstellungen. Diese bedeuten für Malik eine willkommene Herausforderung, an der er wachsen kann, wie er sagt. Obwohl er dankbar ist für diese Aufträge, gestaltet Malik am allerliebsten für sich selbst oder für Kunden, die selber viel Herzblut in ihre Sache investieren, wie zum Beispiel der Boxclub in Aarau.
Kunst brachte ihn bis nach Kuba oder Südafrika
Wirklich frei fühlt sich Malik vor allem, wenn er Leinwände für sich oder für Ausstellungen malt. «Dort habe ich keine Rahmenbedingungen und ich kann meine komischen Gedankengänge in Bilder fassen. Das kannst du bei den Aufträgen von grossen Kunden selten.» Für einen Künstler sei es essenziell, weiterhin Sachen für sich selbst zu gestalten.
Seine Kunst brachte ihn in den letzten Jahren bis nach Kuba oder Südafrika. In Johannesburg gestaltete er im Rahmen des City of Gold Festivals eine Wand. Einige Monate später entdeckte er diese Wandmalerei in einem Dokumentarfilm. Doch Malik ist nicht nur ein Sprayer: Er malt, macht Skulpturen oder zeichnet Illustrationen. Ein Allrounder. «Nur im digitalen Bereich bin ich eine Pfeife», scherzt er.
Es gibt nichts Schlimmeres als eine leere Fläche
Seine Inspiration hole er sich beim Beobachten: «Ich beobachte Bäume und wie das Licht auf sie einfällt. Ich beobachte Menschen und ihre Verhaltensweisen im Alltag.» Es seien kleine Sekundenaufnahmen, die bei ihm etwas auslösen. Er sei schon immer sehr offen durch die Welt gegangen: «Vielleicht sind Künstler deshalb ein bisschen schräg, weil sie alles aufsaugen, und es kommt nicht nur Positives hinein. Man muss erst lernen, damit umzugehen.»
Malik schwärmt, wenn er von seinem Schaffen erzählt. Dabei herrsche in seinem Inneren eine fast unerträgliche Unruhe, wenn er mit dem Gestalten eines Kunstwerks loslegt. «Am Anfang ist es recht wild. Ich mache Striche und Flächen auf die ganze Wand, weil ich eine Form finden muss. Das kann sehr dramatisch aussehen.»
Dabei liefen die Kunden die ersten Paar Stunden manchmal davon: «Ich muss das tun, damit ich mich wohlfühle. Es gibt für mich nichts Schlimmeres als eine leere Fläche.» Bei Auftragsarbeiten legt Malik den Kunden meist eine Bleistiftskizze vor. Diese gibt nur in etwa die Richtung des Kunstwerks vor: «Ich kenne mich. Vieles entsteht erst an der Wand. Es verändert sich auch einiges, währenddem ich spraye.»
Ein Gefängnisprojekt in Lenzburg
Bei freien Arbeiten mache er manchmal eine Bleistiftkribbelei auf einem Zettelchen so klein wie ein Fünffränkler. «Das reicht mir. Der Rest wird an der Wand passieren.» Einmal angefangen, taucht er in seinen Kunstwerken ab: «Wenn ich in meinem kreativen Flow bin, kann ich nicht mehr richtig kommunizieren.» Fertig ist das Kunstwerk erst dann, wenn ihn daran nichts mehr stört.
Seine Kunst bringt ihn nun erneut auf legalem Weg hinter Gitter: «Ich habe in meinem Umfeld ein paar Jungs, die durch das Sprayen unfreiwillig ins Gefängnis gekommen sind.» Malik lacht. «Mittlerweile war ich aber mehr im Gefängnis als sie.» Er selbst wurde nie wegen illegaler Sprayereien verurteilt: «Sonst hätte ich diesen Auftrag gar nicht durchführen dürfen.»
Die Gestaltung der Untersuchungsgefängnisse im Kanton Zürich ist für ihn ein wichtiges Projekt. Dieses teilt er sich mit seinem Künstlerkollegen Claude Lüthi. «Wir haben beim Gefängnisprojekt in Lenzburg begonnen, zusammenzuarbeiten. Wir ergänzen uns sehr gut.» Dies sei bei Künstlern nicht so selbstverständlich: «Jeder hat sein Ego, nicht jeder hat das gleiche Gestaltungsempfinden.»
Für die Gestaltung der Gefängnisse braucht es viel Feingefühl
Obwohl es diesmal eine Auftragsarbeit ist, wird den beiden Künstlern freie Hand gelassen. Die Gestaltung der Wände in einem Gefängnis brauche Feingefühl und Weitsicht: «Wir schauen jeden Raum an. Wir fragen uns, wie intensiv es sein darf und wie viel Farbe es jeweils verträgt.»
Auch die Auswahl der Sujets muss in Gefängnissen gut überlegt sein: «Je nach Zustand der Leute sind zum Beispiel Gesichter sehr schwierig. Auch ein freundliches Gesicht schaut einen immer an.» Dies könne beispielsweise bei Menschen mit psychischen Störungen sehr intensiv wirken. Die Sujets dürften auch nicht bedrückend oder zu kitschig sein, erklärt Malik: «Wenn wir diese Balance nicht treffen, könnte sich das kontraproduktiv auswirken, weil sich die Menschen unverstanden fühlen könnten.»
Er hat sich intensiv mit Gefängnissen auseinandergesetzt und sich auch mit Psychologen über die Kunstwerke unterhalten. «Wir versuchen hineinzubringen, was einem drinnen fehlen könnte. Natursujets oder Tiere funktionieren immer gut.» Gemeinsam mit Claude Lüthi versuche er eine Atmosphäre zu schaffen, die nicht vorgibt, wie sich die Insassen fühlen müssen.
In ihm tobten innere Kämpfe, wenn er malt
Malik ist ein aufgestellter Kreativkopf. Ein Chaot, wie er sich selber mehrmals nennt. Trotz seines grossen Erfolgs, ist er auf dem Boden geblieben. Angst, dass ihm die Ideen ausgehen, hat er nicht. Angst, dass ihm die Aufträge ausgehen, darf er nicht haben, wie er erklärt: «Du musst Vertrauen haben in dich selbst.»
Malik liebt, was er tut. Obwohl es nicht nur entspannend ist, wie er beschreibt: «Ich versinke am tiefsten in meiner Welt, wenn ich in meinen Atelier an Leinwänden sitze. Es ist ein Zustand, den ich nur schwer definieren kann.» In ihm tobten innere Kämpfe, wenn er male: «Es ist emotional und aufreibend. Es ist Herzblut und Anspannung. Da kommt alles zusammen. Es kann eine Qual sein, und trotzdem liebe ich diesen Zustand.
