
7,6 Milliarden für Medikamente: Staatlich verordnete Preissenkung nützte nur vorübergehend
So wird gerechnet
Der Arzneimittelreport der Helsana entsteht jeweils auf der Basis der mehr als eine Million Versicherten der Krankenkasse. Um Aussagen für die ganze Schweiz zu treffen, werden die Daten anschliessend auf die Schweiz hochgerechnet. Die Unterschiede zwischen den Helsana-Versicherten und dem ganzen Land werden anhand von Korrekturfaktoren wie Altersstruktur, Geschlechterverhältnis und Wohnkanton ausgeglichen. (mka)
Die Medikamentenkosten zu Lasten der Grundversicherung sind seit 2010 rasant gestiegen. Das Wachstum beträgt 46 Prozent in diesem Zeitraum, wie der neue Arzneimittelreport des Krankenversicherers Helsana zeigt. In absolut Zahlen beliefen sich die Ausgaben auf 7,6 Milliarden Franken. Die gute Nachricht: Im letzten Jahr hat sich der Anstieg abgeschwächt, die Steigerung beträgt lediglich 0,8 Prozent.
Der Grund sind die staatlich verordneten Preissenkungen. Nach einer mehrjährigen Pause, die aufgrund eines Gerichtsstreits zwischen dem Bund und der Pharmaindustrie eingelegt wurde, sinken seit 2018 die Preise wieder. Dass die Kosten dennoch weiter steigen, ist vor allem auf die Einführung neuerer, teurerer Medikamente zurückzuführen. Im vergangenen Jahr wurden 22 neue Arzneimittel auf die Liste der erstattungspflichtigen Medikamente aufgenommen. Die Hälfte davon kosteten über 1000 Franken pro Packung.
Diese Entwicklung führen die Studienautoren auf das Preisbildungssystem der Schweiz zurück. Neue Mittel mit einer besseren Wirksamkeit oder Verträglichkeit kämen fast immer mit einem höheren Preis auf den Markt als bestehende Präparate, sagt Mathias Früh, Leiter Pharma und Medizintechnik von Helsana. Damit wolle der Bund die Forschung honorieren. Dadurch komme es jedoch zwangsläufig bei jeder Innovation zu einer Aufwärtsspirale des Preisniveaus. Bereits im laufenden Jahr dürften die Kosten wieder um rund sechs Prozent steigen, sagt Früh mit Verweis auf erste Berechnungen.
Neue Medikamente kosten bereits im ersten Jahr über 66 Millionen
Im vergangenen Jahr hat allein ein neues Medikament gegen Multiple Sklerose von Roche Kosten von über 35 Millionen Franken verursacht. Die hohen Ausgaben sind laut der Studie überwiegend aufgrund des hohen Preises entstanden, da der neue Wirkstoff zu einem der teuersten seiner Gruppe zählt. Trotz der verbesserten Wirksamkeit des Mittels ist der Wirkmechanismus nicht neu. Der Innovationsgrad des Medikaments sei daher diskutabel, schreiben die Autoren der Studie. Insgesamt haben die neuen 22 Arzneimittel bereits in ihrem ersten Jahr Kosten von über 66 Millionen Franken verursacht.
Am meisten Geld wird hierzulande für sogenannte Immunsuppressiva ausgegeben. Mit diesen Mitteln werden etwa rheumatoide Arthritis, Multiple Sklerose oder entzündliche Darmerkrankungen behandelt. Die Kosten dafür beliefen sich im vergangenen Jahr auf 1,1 Milliarden Franken. Dahinter folgen Krebsmedikamente mit Ausgaben in der Höhe von knapp 730 Millionen.
Gerade in diesen beiden Gruppen befinden sich Medikamente, die nicht so einfach kopierbar sind wie dies mit klassischen Generika möglich ist. Die sogenannten monoklonalen Antikörper werden in einem aufwendigen Verfahren mittels gentechnisch veränderter Zellen hergestellt. Die komplexe Entwicklung und Herstellung ist deutlich teurer als bei herkömmlichen Medikamenten. Dasselbe gilt für die Kopien, sogenannte Biosimilars.
Trotz günstigerer Kopien, dominiert das Original
Da diese Arzneimittel meist sehr teuer sind, liesse sich hier mit günstigeren Kopien viel Geld sparen. Bislang gibt es in der Schweiz erst rund 15 solcher Biosimilars. Erschwerend kommt hinzu, dass sich diese in der Schweiz nur langsam durchsetzen. Ein eindrückliches Beispiel liefert das Mittel Remicade, das unter anderem gegen rheumatoide Arthritis eingesetzt wird. Das Medikament befindet sich auf Platz 4 unter jenen Präparaten, die in der Schweiz die höchsten Kosten verursachen.
Doch obwohl es bereits seit 2015 zwei günstigere Kopien gibt, beträgt der Marktanteil von Remicade noch immer 83 Prozent. Würde konsequent auf die Kopien umgestellt, liessen sich laut der Helsana-Studie rund 28 Millionen Franken einsparen. Würde das Einsparpotenzial bei allen betroffenen Medikamenten genutzt, wären es sogar knapp 46 Millionen Franken.
Die Umstellung auf die Kopie werde oft als problematisch erachtet, begründen die Studienautoren den tiefen Anteil der Biosimilars. Zu einem solchen Wechsel fehlten verlässliche Daten, obwohl die Wirksamkeit der Biosimilars hinreichend belegt sei. Zudem fehlten die finanziellen Anreize für eine Umstellung. Ärzte und Spitäler verdienen mehr, wenn sie das teurere Original abgeben, weil die Vertriebsmarge vom Preis abhängig ist. Dies könnte etwa gelöst werden, in dem eine fixe Marge eingeführt werde.
Helsana-Mann Früh ist überzeugt, dass sich die Schweiz in den nächsten Jahren ein Einsparpotenzial von mehreren hundert Millionen Franken vergibt, falls Biosimilars gesetzlich nicht gezielt gefördert werden.