
Das Lindengeviert stand unter Strom
Als erster Act am frühen Freitagabend am Heitere Open Air aufzutreten, sei ein undankbarer Job, sagen viele. Aber eigentlich hatte Morgane Ji aus La Réunion die wunderschöne Aufgabe, die immer zahlreicher reinströmenden Gäste mit ihren Rock-Pop-Electro-World-Music-Nummern auf dem Gelände zu begrüssen. Und während die Leute einfach nur zufrieden sind, dass das Open Air nun endlich losgeht, kann man als Sängerin eigentlich gar nicht viel falsch machen. Morgane Ji – ihr Schlangentattoo war kaum zu übersehen – machte zu Beginn kurze Songansagen auf Französisch. So widmete sie den zweiten Song allen Migranten und Kapitänin Carola Rackete. Und ihr Song «Woman Soldier» hätte wohl perfekt als offizielle Frauenstreik-Hymne dienen können. Nach einem Drittel des Auftrittes begann sie plötzlich Englisch zu sprechen, was leider weit weniger charmant klang. Ein Hingucker war sicherlich der Gitarrist im Schottenrock, an welchem sein Backstagepass hing. Als er mit einem Geigenbogen auf den Gitarrensaiten strich, tat dies fast ein wenig weh in den Ohren. Ansonsten konnte sich Morgane Ji, welche zum ersten Mal in der Schweiz war, als gelungenen Auftakt beweisen.
Max Giesinger: Der mit dem Publikum tanzt, singt und lacht
Pünktlich zum Konzert von Max Giesinger füllte sich der Platz vor der Lindenbühne. Obwohl der deutsche Frauenschwarm mit den grünen Augen und dem Dreitagebart in den letzten beiden Jahren über 300 Konzerte gab, ist er nicht müde. Seine Energie übertrug sich auf das Publikum, als er für seinen zweiten Song «Legenden» über die Absperrung kletterte und durch die Fans ging, hatte er sie längst in der Hand. Das Publikum sang seine stimmigen Songs enthusiastisch mit und quittierte jeden mit Applaus und Gekreische. Nebst seinen bekannten Songs wie «80 Millionen» oder «Wenn sie tanzt» spielte er auch Klassiker wie «The Look» von Roxette oder versuchte sich mit «Sonne» von Rammstein an einem härteren Genre – jedoch ohne dabei an die brachiale Stimme von Till Lindemann heranzukommen. Dafür kommt wohl kein zweiter seinen Zuschauern so nah. Giesinger holte drei Kinder als Backgroundchor auf die Bühne. Unvergessen bleibt der weisse Konfetti- und Schlangenregen. Das ganze Konzert war ein gelungener Dialog zwischen Giesinger und seinen Fans, die mit seinem Auftritt durchwegs zufrieden waren.
Der Mädchenschwarm mit Bäuchlein
Das Publikum des nächsten Künstlers war vor allem des weiblichen Geschlechtes im jugendlichen Alter. Der Schotte Lewis Capaldi ist der beste Beweis dafür, dass man sich auch ohne perfekten Körper viele Fans machen kann. Nach dem ersten Song präsentierte er gleich mal sein Bäuchlein. «Es ist schon krass, wie jemand live eine so gute Stimme haben kann», sagte eine Zuschauerin begeistert. Eigentlich sei sie nur ihrer Freundin wegen bei diesem Konzert, es gefalle ihr aber total. Tatsächlich überzeugte der 22-Jährige mit einer aussergewöhnlichen Gesangsleistung. Seine eher ruhigen Songs wechselten sich ab mit kurzen Ansprachen an das Publikum, welche wegen des schottischen Akzentes nicht einfach zu verstehen waren. In der vordersten Reihe hielten Mädchen Plakate mit Liebeserklärungen hoch. Diese sind zumindest musikalisch betrachtet viel eher nachzuvollziehen als jene für einen Justin Bieber.
Berner Überflieger-Duo: Lo & Leduc riss die Massen mit
Sie brachten den Heitern zum Kochen: Lo & Leduc räumten kräftig ab. Die beiden Berner Überflieger sorgten schon letztes Jahr am Sonntag mit ihrem «079» dafür, dass alle am Heitere Open Air mitgingen, mitgehen mussten. Ihr Rezept: Sie gehen selber auf der Bühne unvergleichlich ab, versprühen Lebensfreude pur und haben
genial eingängige Songs mit coolen Beats und einem fetzig-phänomenalen Bläserset. Beeindruckend war ihr Freestyle-Rap, den sie aus vier aufgeschnappten Worten aus dem Publikum spontan zum Besten gaben. Kein einfaches Unterfangen mit den Begriffen Silberring, Aufmerksamkeitsdefizit, Mauersegler und Mandalamalen. Doch für Lo & Leduc war es eine einfache Aufgabe. Natürlich fehlte ihr Hit «079», der sich 21 Wochen auf Platz 1 der Schweizer Hitparade hielt, nicht. Davor rockte das Rapper-Duo den Heitern.
Mando Diao: Das Highlight für die Rock-Fraktion
Dass es zu regnen begonnen hatte, störte die Rock-Fans nicht wirklich, schliesslich war es immer noch warm. Dicht gedrängt standen sie vor der Parkbühne und erwarteten Mando Diao. Die Schweden waren kurzfristig für Feine Sahne Fischfilet verpflichtet worden. Die Politpunkband aus Deutschland hatte einige Termine absagen müssen, weil ihr Gitarrist Christoph mit dem Velo gestürzt war und aktuell den Arm im Gips trägt.
Damit waren Mando Diao zum zweiten Mal am Heitere Open Air zu Gast, nachdem sie 2007 ebenfalls am Freitag gespielt hatten. Das Schöne ist, dass bei dieser Rockshow auch mal leisere Töne oder ziemlich Tanzbares dabei ist. So tanzten und hüpften die Menschen, schwitzten und feierten – wie es sich gehört. Aus Rocker-Sicht sicher das Beste an diesem Abend.
Cro: Das Mysterium mit der Maske
Mit «Yooo, Zofingen! Was geht aaaab!» enterte Cro die Bühne. Nach 2014 war dies sein zweiter Auftritt am Heitere Open Air. Gleich zu Beginn stieg er musikalisch ganz steil ein mit seinem Kracher «Easy» und riss das Publikum mit, das sowieso in Partylaune war. Auf der Bühne: Ganz viele Panda-Masken sowie eine riesige Version davon. Mit der Maske wahrt Cro penibel seine Identität. Und doch: Zu gerne würde man einen Blick hinter diese Maske erhaschen, erfahren, wer dieser Entertainer ist. An diesem Abend störte ihn seine Maske jedoch ein bisschen, er kam mit seinem Mund nicht richtig ans Mikro. Die Lösung: Cro begab sich auf die Suche nach einer Schere und schnitt am unteren Teil der Maske ein Stückchen ab. Aber noch viel zu wenig, als dass man hätte etwas mehr von seinem Gesicht erkennen können.
In seiner Show bot Cro zahlreiche balladeske Rap-Titel, die dazu beitrugen, dass die Partystimmung leider ein bisschen abflaute. Aber bei seinen Hits «Einmal um die Welt», «Traum» und «Unendlichkeit» waren die Heitere-Besucher wieder voll am Start und der Hexenkessel brodelte. Bei «Meine Gang (Bang Bang)» schlug der «Panda-Mann» gar rockige Klänge an, sodass sich der eine oder andere Zuschauer zum Headbangen aufgefordert fühlte. Das Publikum war begeistert, genoss die Show, auch wenn der Abgang etwas gar unerwartet kam: Nach dem letzten Song liess sich Cro von der Bühne nach hinten fallen und verschwand. Der Mann mit der Maske ist und bleibt ein Mysterium, das es versteht, sein Publikum zu unterhalten.
Strobolicht und mutige Tänzer
Auf der Bühne war noch kein Licht zu sehen, als die ersten paar Töne von «Like I Love You» einsetzten. Dann strömte plötzlich gleissend helles Licht von der Bühne und die Stimme von Felix De Laet alias Lost Frequencies ertönte: «What’s up everybody?» Eine Feuerwerkskanone gefolgt von einer krassen Lichtshow boten den fulminanten Auftakt des Auftritts.
Immer wieder trat der 25-jährige DJ aus Brüssel mit seinem ohnehin bereits feiernden Publikum in Kontakt, forderte es auf, die Hände hochzureissen und mitzuklatschen. Bevor er den Song «The Sun Is Shining Down» von JJ Grey & Mofro in eigener Interpretation spielte, richtete er erneut sein Wort ans Publikum: «I hope you guys like it tonight.» Die Menge quittierte das mit zustimmenden Rufen.
Der Auftritt war begleitet von Konfetti, Rauch und Strobolicht. Eine Atmosphäre, die Raum liess für nicht wenige mutige Tänzer, die auf engstem Raum ihren Körper zu bewegen wussten. Mit Lost Frequencies endete der Heitere-Freitag in Partystimmung.
(twa/rew/egu/lej/mec/rsw)



