15 Tonnen Fleisch für die Turner: Für Aarau bedeutete das Fest 1972 einen «gigantischen Aufwand»

Weit über 40 000 Turnerinnen und Turner, noch einmal so viele Zuschauer, rund 5000 Helfer und ein Budget von 5 Millionen Franken, davon allein 1,5 Millionen für provisorische Bauten – und das in einer Stadt mit nur knapp 18 000 Einwohnern. Bereits 1972 war die Austragung des Eidgenössischen Turnfestes und der Frauenturntage eine Herkulesaufgabe. Eine, die auch damals schon kritische Fragen nach Aufwand und Ertrag laut werden liess.

So schrieb denn auch Kurt Lareida, Chefredaktor des «Aargauer Tagblatt» (und Präsident des Pressekomitees des ETF 1972) in einem Rückblick in den Aarauer Neujahrsblättern: «Ist die Stadt nicht viel zu klein, um die Belastung durch eine Besucherzahl an Turnerinnen, Turnern und Zuschauern zu fassen, welche die Zahl der Bevölkerung um ein Mehrfaches übertrifft?» Was beispielsweise für Zürich irgendein Grossanlass sei, nehme für Aarau gigantische Ausmasse an, so Lareida.

60 Duschen und 70 Toiletten

Wie gigantisch der Aufwand für das «Eidgenössische» und die «Frauenturntage» 1972 war, zeigen ein paar nackte Zahlen: So wurden unter anderem ein Kommandoturm, Tribünen mit total 4300 Sitzplätzen, verschiedene Schlechtwetterzelte, zwei Festhallen mit je 5500 Plätzen und eine Festhalle mit 8500 Plätzen gebaut, dazu drei Sanitäranlagen mit 60 Duschen, 70 Toiletten und 150 Meter Pissoirrinnen. Weiter mussten kilometerweit Lautsprecherkabel verlegt werden, dazu kamen all die mobilen Funkstationen, dank denen die OK-Mitglieder miteinander kommunizieren konnten. Für den Aufbau wurden drei Monate gebraucht.

Bereits zwei Jahre vor dem Fest mussten die Organisatoren Schlafgelegenheiten für die Turner organisieren. Dazu wurden in Aarau und 49 weiteren Gemeinden zwischen Brugg und Rothrist, Zofingen Menziken und Lenzburg insgesamt 23 000 Liegestellen reserviert, 8 600 davon in Truppenunterkünften, 14 400 in Schulhäusern und Turnhallen. Dazu wurden rund 15 000 Matratzen gemietet und die Armee stellte knapp 29 000 Decken zu Verfügung. Benötigt wurden schliesslich viel weniger; statt der 63 000 budgetierten Übernachtungsmöglichkeiten wurden total nur gut 47 000 beansprucht.

Um alle Turnerinnen und Turner an den beiden Schlusstagen innert nützlicher Frist auf den Zug bringen zu können, wurde im Damm-Quartier ein zusätzlicher Bahnhof gebaut. Nur so konnten 20 beziehungsweise 27 Extrazüge (mit insgesamt 250 bzw. 400 Wagen) abgefertigt werden. Nicht nur für die SBB, auch die WSB bedeutete das «Eidgenössische» einen Grosseinsatz: Insgesamt beförderte die WSB an beiden Wochenenden 130 000 Personen.

Tonnenweise Zunge

Noch viel spannender sind aber die Zahlen zum Lebensmittelverbrauch der Festwirtschaft. Insgesamt wurden über 115 000 Hauptmahlzeiten und knapp 22 000 Morgenessen serviert. Doch von wegen leichte und gesunde Ernährung für Sportler; die Menükarte liest sich ganz schön deftig. Da gab es zum Zmittag Suppe, Zunge an Madeirasauce, Salzkartoffeln und dürre Bohnen und zum Znacht Suppe, garniertes Siedfleisch und Russischen Salat. Von wegen Fitness-Teller und linienbewusste Ernährung.

Die Übersicht über den Lebensmittelverbrauch lässt einem doch Staunen: So wurden unter anderem 4120 Kilogramm geschnetzeltes Schweinefleisch verspeist, 1528 Kilo Schweinscarrébraten, 4400 Kilo Rindsragout und 2005 Kilo Zunge. Insgesamt landeten fast 15 Tonnen Fleisch in der Pfanne. Dazu kamen noch einmal knapp 32 000 Portionen Fleischpastete, Siedfleisch, Rippli und Aufschnitt, rund 92 000 Bratwürste, Cervelats, Schüblig, Zungenwürste, Wienerli und Landjäger und 127 000 Stück Backwaren. Dazu wurden knapp drei Tonnen Teigwaren serviert und elf Tonnen Gemüse – wobei sich dieses hauptsächlich auf Kartoffeln (8 Tonnen), Dörrbohnen (475 Kilo) und Kopfsalat (2 Tonnen) beschränkt. Immerhin wurde eine Tonne «anderes Gemüse» serviert.

Rückwärts in den Zug gepresst

Am Sonntagabend, nachdem auch die letzten Turner in die Züge gestiegen waren, fiel das Fazit des OKs sehr gut aus. Gemäkelt seitens der Turner wurde nur auf hohem Niveau. Etwa, weil in gewissen Unterkünften keine Steckdosen für Rasierer zur Verfügung gestanden hatten, oder die Unterkunft für den einen oder anderen etwas gar weit von Aarau entfernt gelegen hatte. Ansonsten scheinen die Turner alles mit Gelassenheit hingenommen zu haben: Das Gemoschte in den WSB-Zügen, in die man sich zwischenzeitlich nur im Rückwärtsgang habe hineinquetschen können. Oder den Grossandrang an den Verpflegungstationen, als beispielsweise am Sonntagnachmittag innert weniger Stunden 27 000 Mahlzeiten in den vier Festhallen serviert wurden. Da notabene konnten die Getränke nur noch in Plastikbechern serviert werden, weil bei den Festen am Freitag- und Samstagabend praktisch alle Gläser «draufgegangen» waren, wie das AT schreibt. Wie gut die Festlaune der Turner war, zeigt der Blick auf die Bilanz des Unterhaltungs-Chefs: Statt der budgetierten 2000 Eintritte für die verschiedenen Tanzveranstaltungen wurden über 14 000 Eintritte registriert.

Mit Lob an den Aarauern wurde auch im Blätterwald nicht gespart. So schrieb der «Tagesanzeiger»: «Aarau hat bewiesen, dass auch eine Kleinstadt fähig ist, ein Turnfest reibungslos durchzuführen.» Und das «Badener Tagblatt»: «Und jetzt, nach dem krönenden Abschluss möchten auch wir den Aarauer Organisatoren für ihre grossartige Arbeit unsere Gratulation aussprechen. Wir wollen heute ehrlich zugeben, dass wir befürchtet haben, eine ‹Kleinstadt› von nur 18000 Einwohnern sei mit der Uebernahme eines Eidgenössischen Turnfestes überfordert. Heute sind wir froh, dass wir uns beherrschen konnten und unsere Befürchtung nie in die Zeitung geschrieben haben. Die Aarauer haben (…) eine Organisationsarbeit geleistet, die zu bewundern ist.»

AARAU 2019

Serie (Teil 2)

1972 fand letztmals das Eidgenössische Turnfest in Aarau statt. Zu Zeiten also, da alles noch etwas anders war als heute. In einer kleinen Serie werfen wir einen Blick auf die damaligen Ereignisse, Eigenarten, Modeerscheinungen und Herausforderungen.

 

Teil 1: Als die Frauen noch separat turnten: Am letzten Eidgenössischen Turnfest war vieles ganz anders