
Ist der AHV-Steuer-Deal ein Kompromiss oder Kuhhandel? Die wichtigsten Fragen und Antworten
1. Am 19. Mai stimmen wir über die AHV-Steuer-Vorlage (STAF) ab. Was hat die AHV mit der Reform der Unternehmenssteuern zu tun?
Inhaltlich nichts. Die Verknüpfung ist ein Kompromiss oder Kuhhandel, je nach Sichtweise. Nach dem Nein zur Unternehmenssteuerreform III (USR III) 2017 waren sich viele Akteure einig: Es braucht eine soziale Kompensation, um die Steuerreform mehrheitsfähig zu machen. Ursprünglich wollte der Bundesrat die Familienzulagen erhöhen – diese Idee fiel jedoch durch. Die Ständeräte schnürten den AHV-Steuer-Deal. Firmen werden mit der Reform etwa zwei Milliarden Franken weniger Steuern bezahlen müssen. Der gleiche Betrag soll zusätzlich in die AHV fliessen. Damit will das Parlament zwei wichtige Dossiers auf einmal deblockieren.
2. Weshalb braucht es die Steuerreform?
Die Schweiz hat sich gegenüber der EU und der OECD verpflichtet, die Unternehmensbesteuerung internationalen Standards anzupassen. Die Statusgesellschaften müssen abgeschafft werden. Sie profitieren von verpönten Steuerprivilegien: Die im Ausland erwirtschafteten Erträge werden geringer besteuert als die inländischen. Während die Kantone diesen Konzernen Steuerrabatte gewähren, werden sie vom Bund normal besteuert. Die Einnahmen des Bundes von den Statusgesellschaften betragen rund 3,6 Milliarden Franken pro Jahr. Dies entspricht rund der Hälfte aller Gewinnsteuereinnahmen des Bundes. In den Kantonen und Gemeinden macht der geschätzte Anteil mit 2,1 Milliarden Franken einen Fünftel der Gewinnsteuereinnahmen aus. Ziel der Vorlage ist, diese Firmen mit ihren Erträgen und Arbeitsplätzen zu halten, auch wenn sie ihren Sonderstatus verlieren. KMU und Grosskonzerne werden künftig gleich behandelt.
3. Was ist anders als bei der abgelehnten Unternehmenssteuerreform?
Die neue Steuervorlage gleicht in der Struktur der USR III: Die Kantone müssen die Statusgesellschaften abschaffen, dafür stellt ihnen der Bund einen «Werkzeugkasten» mit neuen Massnamen zur Verfügung und überweist ihnen eine Milliarde Franken zur Finanzierung von Steuersenkungen. Die Kantone können neu eine Patentbox und einen zusätzlichen Steuerabzug für Forschung und Entwicklung vorsehen. Diese Massnahmen waren bereits in der USRIII enthalten. Neu ist, dass der Abzug für Eigenfinanzierung nur von Kantonen eingeführt werden darf, deren effektive Gewinnsteuerbelastung mindestens 18,03 Prozent beträgt. Dies ist eine Lex Zürich. In den Kantonen müssen die Dividenden zu mindestens 50 Prozent besteuert werden – das ist eine Konzession an die Gewinner der USR-III-Abstimmung. Neu ist die Anpassung des Kapitaleinlageprinzips – die steuerbefreite Ausschüttung von Kapitaleinlagereserven wird eingeschränkt. Damit wird die USR II teilweise rückgängig gemacht. Neu ist auch, dass die Kantone einen Teil der Bundesgelder dafür aufwenden müssen, um die Ausfälle von Städten und Gemeinden abzugelten.
4. Wer bezahlt mehr, wer weniger?
Grosskonzerne, die bislang von Steuerprivilegien profitiert haben, zahlen in der Tendenz mehr Steuern. Alle anderen weniger, weil die meisten Kantone ihre Gewinnsteuern senken. Die Aktionäre werden stärker zur Kasse gebeten: Einerseits durch die höhere Dividendenbesteuerung, andererseits durch die Änderungen beim Kapitaleinlageprinzip.
5. Was passiert bei einem Nein?
Schafft die Schweiz die Statusgesellschaften nicht ab, kommt sie auf eine schwarze Liste der EU. Es drohen Gegenmassnahmen.
6. Die SP war die grosse Abstimmungssiegerin bei der USR III. Weshalb sagt die SP Ja zur STAF?
Die SP sieht die STAF als einen guten Kompromiss an. Erstens hat sie im Steuerteil Verbesserungen erreicht. Zweitens werden die Sozialbeiträge für die AHV zum ersten Mal seit 40 Jahren erhöht. Für die SP ein erheblicher Erfolg. SP-Präsident Christian Levrat sagt, bei einem Nein drohten internationale Sanktionen, chaotischer Steuerwettbewerb und AHV-Abbau.
7. Was steht im AHV-Teil der Vorlage?
Ab 2020 sollen zwei Milliarden Franken zusätzlich in die AHV fliessen. Der Bund steuert 800 Millionen Franken bei. Den Rest bezahlen Unternehmen und Arbeitnehmer über eine Erhöhung der Sozialabgaben. Arbeitgeber und Arbeitnehmern zahlen je 0,15 Prozentpunkte mehr — also Fr. 1.50 auf 1000 Franken Lohn.
8. Ist damit eine Erhöhung des Frauenrentenalters vom Tisch?
Nein. Der AHV-Steuer-Deal löst das Demografie-Problem der AHV nicht. Seit 2014 reichen die Einnahmen nicht mehr aus, um die Renten zu bezahlen. Die AHV hat ein Umlagedefizit. Bis 2030 fehlen dem Sozialwerk 53 Milliarden Franken. Mit dem AHV-Steuerdeal wird das Defizit auf 23 Milliarden Franken reduziert. Die nächste Reform ist aufgegleist – die Vorlage zur Stabilisierung der AHV (AHV 21). Sie sieht eine Erhöhung des Frauenrentenalters mit sozialer Abfederung vor. Zudem soll die Mehrwertsteuer erhöht werden. Der Bundesrat hat eine Erhöhung um 1,5 Prozentpunkte vorgeschlagen – mit der STAF würde diese Erhöhung um 0,7 Prozentpunkte reduziert. Der Bundesrat wird nach der Abstimmung sagen, wie es mit der Reform AHV 21 weitergeht.
9. Wer ist für die Vorlage?
Bundesrat, Parlament sowie die grossen Parteien SP, FDP und CVP befürworten die Vorlage. Ebenso die Wirtschaftsverbände. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund hat Stimmfreigabe beschlossen.
10. Wer ist dagegen?
Das Referendum ergriffen haben ein linkes sowie ein bürgerliches Komitee. Die Motive der Referendumsführer sind sehr unterschiedlich. Die Grünen und Linksaussen-Parteien, welche das Gros der Unterschriften gesammelt haben, kritisieren den Steuerteil. Sie monieren, dass die Steuerdumping-Spirale der Kantone weiterdreht und der Mittelstand die Zeche für die «Milliardengeschenke für die Konzerne» bezahlen muss. Bürgerliche Jungparteien sowie SVP und GLP kritisieren die Verknüpfung von AHV und Unternehmenssteuern. Sie fordern strukturelle Reformen beim Sozialwerk.