Spar verkauft keine Energydrinks mehr an unter 14-Jährige – was tun Coop und Migros?

42 Millionen Liter an Energydrinks wurden 2018 in der Schweiz verkauft – so viel wie noch nie. Dies ergibt einen Pro-Kopf-Konsum von knapp 5 Litern und fast 20 Dosen à 250 Milliliter. Wertmässig waren es 495 Millionen Franken, die hiesige Kunden für Energydrinks ausgaben.

Vor kurzem gingen die Schweizer Detailhändler bei der Tabakprävention in die Offensive. Valora, Lidl, Denner und Coop unterzeichneten einen freiwilligen Branchenkodex und verpflichteten sich, keine Tabakprodukte an Minderjährige zu verkaufen. Nun geht es einem weiteren Genussmittel an den Kragen: Die Supermarktkette Spar verkauft per sofort als erster Schweizer Detailhändler keine Energydrinks mehr an unter 14-jährige Kinder. Damit seien alle Getränke mit einem erhöhten Koffeingehalt, also 150 mg pro Liter, gemeint. Diese seien jeweils mit dem Hinweis versehen: «Erhöhter Koffeingehalt. Für Kinder und schwangere und stillende Frauen nicht empfohlen.»

Man wolle damit Kinder ermutigen, eine gesündere Getränkewahl zu treffen, lässt sich der Schweizer Spar-Chef Rob Philipson in einem Communiqué zitieren. Die Artikel sind so wie alkoholische Getränke mit einem Stopp beim Scannen an der Kasse hinterlegt. So kann das das Personal einen Ausweis der jungen Kunden verlangen. «Sollte das Kind keinen Ausweis mit sich tragen, wird nach Vertrauen gehandelt», sagt eine Sprecherin auf Nachfrage.

Was tun Coop und Migros?

Eine Umfrage bei anderen Detailhändlern wie Migros, Coop, Denner, Aldi und Volg zeigt, dass sich viele zieren, es Spar gleichzutun. Unisono lautet die Antwort, man beobachte die Entwicklung aufmerksam, eine Altersbeschränkung für Energydrinks sei aber derzeit nicht vorgesehen. Ein Denner-Sprecher sagt, dass schliesslich auf der Verpackung darauf hingewiesen werde, dass der Konsum von koffeinhaltigen Getränken für Minderjährige nicht empfohlen wird. Und die Migros ergänzt, dass die Verantwortung dafür, was Kinder und Jugendlichen kaufen und wie viel sie konsumieren, grundsätzlich bei den Eltern liege. Einzig der Kioskhändler Valora sagt, die Verkäufer seien schon heute angehalten, Energydrinks «möglichst nur an Personen zu verkaufen, die mindestens 14 Jahre alt sind».

Während Eltern, die den Nachwuchs bisher nicht von den schlechten Seiten der Drinks haben überzeugen können, sich über die Altersbeschränkung bei Spar freuen mögen, ist der Verband Energy Drinks Europe enttäuscht. Er spricht von einer «diskriminierenden, willkürlichen und ineffektiven» Massnahme. Auch andere Lebensmittel würden einen wesentlichen Anteil zur täglichen Koffein- und Zuckeraufnahme beitragen. «Wirksam wäre zum Beispiel die Reduzierung von Portionsgrössen.» Fakt ist, dass die Händler mit einer rigiden Restriktion auf viel Umsatz verzichten würden. Der Redaktion CH Media liegen neuste Zahlen des Marktforschungsunternehmens Euromonitor vor. Demnach wurden im vergangenen Jahr in der Schweiz 42 Millionen Liter Energydrinks verkauft – ein Plus von 3 Prozent gegenüber dem Vorjahr und ein neuer Rekord. Zum Vergleich: Vor fünf Jahren waren es 36 Millionen Liter.

Jamie Olivers Drogenvergleich

Für 2018 ergibt dies einen Pro-Kopf-Konsum von 4,9 Litern und fast 20 Dosen à 250 Milliliter. Marktführer in der Schweiz ist weiterhin der Pionier Red Bull. Jede dritte Dose stammt von den Österreichern. An zweiter Stelle folgt der Kiosk-Konzern Valora mit seinen «ok.-»-Dosen und einem Marktanteil von 21 Prozent. Und auf Platz drei liegen die Monster-Drinks aus dem Hause Coca-Cola.

Die mit viel Zucker und Koffein angereicherten Süssgetränke sind vor allem bei Jugendlichen beliebt, schreibt Euromonitor in seiner aktuellsten Analyse. Allerdings weist die Firma auf die Kritik hin, die von Wissenschaftern, Konsumenten und Politikern zunehmend geäussert wird. In Grossbritannien haben beispielsweise die Handelsketten Tesco und Asda sowie die Discounter Aldi und Lidl das Mindestalter auf 16 Jahre angehoben.

Prominente Unterstützung erhielten Kritiker vom englischen Starkoch Jamie Oliver, der mehrfach vor den gesundheitlichen Folgen warnte und sogar ein Mindestalter von 18 Jahren forderte. Denn: «Energydrinks machen unsere Kinder zu Abhängigen. Meiner Meinung nach ist ihr Konsum mit dem von Drogen zu vergleichen.» Der Bundesrat ist hingegen anderer Meinung: 2017 hielt er in einer Antwort auf eine Interpellation fest, dass er ein Verbot für nicht angebracht halte. Der Hinweis auf den Dosen schütze die Konsumenten genügend. Dies sieht Sara Stalder, die Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz, hingegen anders. Sie spricht sich für eine Altersuntergrenze von 18 Jahren aus.

Viele Energydrinks schmecken wie flüssige Gummibärchen, sind süss-klebrig und kommen auch dank ihrer auffälligen Aufmachung und Vermarktung gut bei Jugendlichen an. Werbespots der Branchenriesen suggerieren oft, nach dem Konsum die eigenen Grenzen überschreiten zu können, und sie verherrlichen das Risiko. Ein Lebensgefühl, das gerade Teenager anspricht.

Zahlen belegen: Die zuckerhaltigen Wachmacher sind bei den 10- bis 19-Jährigen besonders beliebt, wie eine Studie der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ergeben hat. Zwei von drei Jugendlichen gaben an, Energiegetränke zu konsumieren. 12 Prozent davon trinken durchschnittlich mehr als 7 Liter pro Monat; damit zählen sie zu den «stark chronischen» Konsumenten. Die Gründe sind verschieden: Mal wollen sie an einer Party länger durchhalten, mal konzentrierter eine Prüfung schreiben, mal sind sie einfach müde.

Mehr Kilos, mehr Karies

«Das Risiko besteht, dass sie als Aufputschmittel einen festen Platz im Alltag bekommen, sodass in Leistungssituationen automatisch zu Energydrinks gegriffen wird, weil es ohne vermeintlich nicht mehr geht», schreibt die Non-Profit-Organisation Sucht Schweiz. Dabei würden Energydrinks weder ein Frühstück ersetzen noch ein Schlafmanko beheben.

Natürlich putschen die Getränke auf, schliesslich bestehen sie hauptsächlich aus Koffein und Zucker. Ein Energydrink à 250 Milliliter enthält etwa 80 mg Koffein; das entspricht rund eineinhalb Tassen Espresso. Hinzukommen 25 bis 30 Gramm Zucker; das sind umgerechnet sechs bis neun Würfel Zucker. Beides kein Gift, solange man sich im Griff hat. Sucht Schweiz warnt denn auch «vor übermässigem Konsum». Doch wo liegt die Grenze zwischen Gut und Böse? Ein Erwachsener verträgt 400 mg Koffein über den Tag verteilt, Jugendliche 100 mg, Kinder 3 mg pro Kilogramm Körpergewicht. Wer mehr konsumiert, kann mit der Zeit unter Schlafstörungen, Angstzuständen und Herzrasen leiden.

Im Rahmen einer kanadischen Studie gaben 55,4 Prozent der befragten Energydrink-Konsumenten zwischen 12 und 24 Jahren an, bereits einmal unerwünschte Nebenwirkungen verspürt zu haben. Nach dem Konsum hatten sie einen erhöhten Puls, Kopfschmerzen, schliefen schlecht oder erlitten in seltenen Fällen Krämpfe. Damit nicht genug: Der hohe Zuckergehalt fördert Übergewicht. Und Karies. Auch viel Säure ist in den Drinks enthalten. Sie greift die Zähne an. Weitere Inhaltsstoffe hinterlassen bei jedem Schluck einen fahlen Beigeschmack. Taurin etwa besteht zwar nicht wie früher gemunkelt aus Stierhoden, der Stoff wird synthetisch hergestellt. Ob er die Leistung tatsächlich steigert, ist wissenschaftlich nicht erwiesen.