Stephan Attiger: «Ein Parkplatz darf nicht gratis sein!»

Symbolischer Akt: Regierungsrat Stephan Attiger eröffnete am 13. November 2015 zusammen mit Stadtammann Hans-Ruedi Hottiger (l.) und Stadtrat Andreas Rüegger die Unterführung an der Strengelbacherstrasse in Zofingen.  RAN/Archiv
Symbolischer Akt: Regierungsrat Stephan Attiger eröffnete am 13. November 2015 zusammen mit Stadtammann Hans-Ruedi Hottiger (l.) und Stadtrat Andreas Rüegger die Unterführung an der Strengelbacherstrasse in Zofingen. RAN/Archiv

ZUR PERSON

Der FDP-Politiker Stephan Attiger ist Vorsteher des Departementes Bau, Verkehr und Umwelt. Er sitzt seit 2013 im Aargauer Regierungsrat. Davor war Attiger Grossrat und von 2006 bis 2013 auch Stadtammann von Baden. Vor seiner politischen Exekutiv-Karriere arbeitete der heute 51-Jährige in Führungspositionen von verschiedenen Schweizer Unternehmen. Zuletzt führte er eine Handelsfirma, die unter anderem Motorräder vertrieb. Mittlerweile ist der verheiratete Vater von zwei Kindern, wie er sagt, «öfter auf dem Fahrrad als auf dem Motorrad unterwegs». In seiner Freizeit treibt er Sport im Badener Wald und verbringt möglichst viel Zeit mit seiner Familie.

Herr Attiger, sind Sie schon mal Lastwagen gefahren?

Stephan Attiger: Ja, ich habe sogar den LKW-Führerschein.

Wie kam es dazu?

Den habe ich einfach mal gemacht, aus Lust. Ich wollte ein grosses Wohnmobil mieten. An meinem damaligen Arbeitsort hatten wir solche 28-Tönner-Wohnmobile und ich dachte, man könnte damit mal Ferien machen. Gebraucht habe ich den Schein dann nicht.

Sie kennen aber die Sicht aus der LKW-Kabine. Wie ist diese?

Die ist übersichtlicher als aus dem Velosattel. Aber man hat viele tote Winkel zu beachten. Es ist schon anspruchsvoll.

Die Lastwagenfahrer sind wichtige «Kunden» ihrer aktuellen Verkehrspolitik. Zumindest an der Wiggertalstrasse, die am Montagnachmittag eingeweiht wird. Warum ist diese neue Strasse so wichtig?

Wir sind hier historisch gesehen an der grossen Kreuzung der Schweizer Ost-West- und Nord-Süd-Verbindungen. Wir haben in der Region Bevölkerungswachstum und wir haben ein überproportionales Verkehrswachstum. Da wir diesen Verkehr nicht durch die grossen Zentren führen wollen, suchen wir alternative Routen. Mit der Wiggertalstrasse entsteht eine zweite Achse zwischen Rothrist–Oftringen–Zofingen, welche insbesondere die Arbeitszonen erschliesst und damit den Schwerverkehr ausserhalb des Siedlungsraums durchführt. Das Ziel ist natürlich dann in der Siedlung eine Beruhigung zu erreichen. Man kann aber heute nicht einfach auf der grünen Wiese neue Trassen planen. Bei der Wiggertalstrasse haben wir so eine Alternative gefunden. Die Strasse ist aber erst fertig, wenn auch das letzte Teilstück in Rothrist gebaut ist.

Wie geht es weiter mit der dritten Etappe, die von der Bernstrasse zur Rothrister Autobahneinfahrt beim Möbel Hubacher führt?

Wir sind in der Behördenvernehmlassung. Im Jahr 2020 sollte die Vorlage im Grossen Rat sein. Es braucht aber noch Abstimmungen mit Gemeinden und der Bau- und Nutzungsordnung. Heute wird zu Recht immer mehr gefragt: Was passiert mit den alten Strassen, wenn die neuen da sind? In Rothrist wird die bestehende Ortsdurchfahrt mehrheitlich vom Verkehr entlastet und bietet die Chance für eine siedlungsverträgliche Umgestaltung.

Neue Strassen generieren ja auch immer neuen Verkehr.

Wenn es eine Umfahrung gibt, wird eine Beruhigung in den Siedlungen erwartet.

Die Achse von Zofingen nach Aarburg kann man wohl nicht stark beruhigen, oder?

Auf der Achse der Kantonsstrasse K 104 wurden parallel zum Neubau der Wiggertalstrasse zwei Betriebs- und Gestaltungskonzepte erarbeitet. Diese haben zum Ziel, den Strassenraum in Oftringen und Zofingen für alle Verkehrsteilnehmenden aufzuwerten. Das wird eine Verkehrsberuhigung nach sich ziehen. Aber man rechnet bis 2030 auch mit einer Zunahme des motorisierten Verkehrs um 20 bis 30 Prozent. Beim öV bis zu 50 Prozent. Das ist wahnsinnig. Und wir haben in der Vergangenheit einiges verpasst. Früher zonte eine Gemeinde bei Bedarf Bauland ein, dann kam der Verkehr und man begann Infrastrukturen zu bauen. Da braucht es ein Umdenken. Mit dem Richtplan haben wir Wohn- und Arbeitsplatzschwerpunkte festgelegt. So wissen wir bis 2040, wo das Wachstum kommt. Wir müssen also unsere Strassen auf diese Prognosen hin bauen und nicht aufgrund der aktuellen Verhältnisse. Einzig bei der Limmattalbahn sind wir voraus. Die fährt im Aargau durch die grüne Wiese. Aber wir wissen, dass es dort eine Siedlungsentwicklung geben wird.

Man hört auch von Gemeindeammännern aus der Region: Mit jedem Strassenprojekt würden die Probleme einfach verlagert. Es brauche eine grossräumige Betrachtung.

Wir hinken aktuell noch Jahre hinterher. Vor allem wenn man beachtet, wie lange die Projekte dauern. Von der Idee bis zum Durchschneiden des Bandes sind es oft 15 Jahre. Wir müssen nun jede Konzeption auf den Richtplan 2040 auszurichten. Und wir müssen immer beachten, wie sich der motorisierte Verkehr, der öV sowie der Fuss- und Veloverkehr entwickeln. Je dichter ein Gebiet bebaut ist, desto stärker nimmt der Fuss- und Veloverkehr und der öV zu. Zofingen ist da anders als zum Beispiel Vordemwald. Das Hauptwachstum muss in den urbanen Gebieten stattfinden. Und wenn wir nun neue Alternativrouten bauten, können wir im Kerngebiet dem öV, dem Fuss- und Veloverkehr mehr Platz geben. Auch E-Mobilität und Velovorzugsrouten werden an Bedeutung gewinnen.

Die Region Zofingen ist ja weder richtig urban, noch richtig ländlich.

Also richtig Aargau (lacht.) Das ist nicht negativ gemeint.

Sie wollen den Veloverkehr stärken. Wie muss man sich das vorstellen?

Gesamthaft haben wir attraktive Veloverbindungen im Aargau. Meist fehlt es an den letzten paar hundert Metern bis zum Bahnhof. Nehmen wir den Pendlerverkehr. Da haben wir vier Stunden Stau pro Tag. Ich bin überzeugt, dass die Leute nur einmal von einem in ein anderes Verkehrsmittel umsteigen wollen. Es sollte attraktiv sein, mit dem Velo – zum Beispiel mit einem Elektrovelo – ein paar Kilometer zu fahren und erst dann auf den öV umzusteigen. Dann will ich aber einen Veloparkplatz, wo der Sattel am Abend noch am Velo ist und er auch nicht mit Schnee bedeckt ist. Im Nahverkehr hat das Velo aber ein grosses Potenzial, das Auto zu ersetzen. Es ist zudem auch kostengünstig und das Velofahren fördert die Gesundheit.

Und es würde die Strassen enorm entlasten.

Das ist so. Wir müssen zukünftig jene bevorzugen, welche pro Kopf möglichst wenig Quadratmeter Strasse brauchen. Der öV muss pünktlich und zuverlässig sein. Und wir müssen vor allem in den urbaneren Regionen, zu welchen auch Zofingen gehört, den Fuss- und Veloverkehr fördern. Darum machen wir derzeit beispielsweise eine Vorstudie für eine Velovorzugsroute von Zofingen nach Olten.

Wie muss man sich so eine Velovorzugsroute vorstellen?

Man sollte möglichst ohne Halt durchfahren und möglichst gut an die nächste Mobilitätsplattform (zumeist die Bahnhöfe) hinfahren können. Es geht um ein zusammenhängendes Netz und nicht um eine Veloautobahn.

Aber es geht schon um Radwege und Radstreifen, oder?

Es geht um Flächen, welche vorrangig dem Veloverkehr zugewiesen sind. Aber die können entlang einer Kantonsstrasse oder einer Bahnlinie sein. Die Route muss also nicht touristisch attraktiv sein. Für den Freizeitverkehr haben wir schon gute Velowege. Im Pendlerverkehr fehlen aber durchgehende und möglichst direkte Routen.

Dann sollen künftig die Leute von Zofingen oder Oftringen mit dem E-Bike nach Olten zum Bahnhof pendeln?

Das muss attraktiv werden, ja. Und dazu muss man vielleicht auch mal unter einer Kreuzung eine Velounterführung machen. Da müssen wir mehr investieren. Mit der neuen Velo-Unterführung unter der Bernstrasse wird hier ein erster Beitrag geleistet.

Wie fahren sie morgens zur Arbeit?

Sehr unterschiedlich. Ich nehme entweder das Auto …

Stehen sie dann im Stau?

Nein. Um 6.10 Uhr habe ich jeweils freie Fahrt. Aber ich nehme auch den Zug. Vor allem auf der Achse von Bern bis Zürich. Und ich habe noch das Privileg, den Fahrdienst beanspruchen zu können.

Ein Safenwiler Unternehmer ärgerte sich kürzlich auch in unserer Zeitung über den Verkehr. Die Staus, in denen die Mitarbeiter stehen, kosten die KMU Geld. Wie können Sie diese Staus verringern?

Man spricht seit 20 Jahren von Homeoffice. Ich glaube aber nicht, dass das die grosse Entlastung bringt. Aber die Arbeitszeiten werden sicher flexibler.

Wie fördern sie das?

Die Spitze des Pendlerstroms soll breiter werden. Auch die technischen Möglichkeiten helfen da. Wenn ich in Zürich einen Termin habe und dann zwei Stunden später nach Mellingen muss, fahre ich nicht nach Aarau. Dann gehe ich nach Baden, logge mich zu Hause ins System ein und bin am Arbeiten. Auch temporäre Arbeitsplätze, die zum Beispiel schon an Bahnhöfen angeboten werden, sind die Zukunft. Und bei den Ausbildungsstätten kann man noch ansetzen. So könnten die Schulen nicht zur Spitzenzeiten der Pendlerströme starten. Und mittel- und langfristig sollten wir prüfen, ob wir mit Bildungsstätten oder anderen Institutionen nicht gegenläufige Pendlerströme generieren können. Letztlich ist natürlich Mobility Pricing ein grosses Thema. Das müsste aber alle Verkehrsteilnehmer einbeziehen. Um 7 Uhr kostet dann die Fahrt durch den Baregg mehr, als um 9 Uhr. Im öV dasselbe. Das sind aber Überlegungen, die national oder gar international gemacht werden müssen, nicht auf Kantonsebene.

Was hiesse das für den Aargau?

Das müsste man schweizweit starten, wenn nicht gar grenzübergreifend. Es wird jetzt mal virtuell im Raum Zug durchgespielt.

Bekäme ich als Velofahrer Geld zurück?

Solche Systeme gibt es heute schon bei Arbeitgebern, ja. Wer auf einen Parkplatz verzichtet, erhält zum Beispiel einen Beitrag an den öV.

Sie finden als FDPler Mobility Pricing gut. Das ist ja eine marktwirtschaftliche Lösung.

Es ist ein spannender Ansatz, der die Kosten verursachergerecht verteilt. Für mich ist klar: Ein Parkplatz darf nicht gratis sein. Es ist ja politisch umstritten; mich überrascht, dass bei Mobility Pricing eher die Linksparteien positiv und die Bürgerlichen eher negativ sind. Ich hätte es umgekehrt erwartet, weil es eine soziale Komponente drin hat: Jener, der es sich leisten kann, kann fahren, wann er will.

Sozial ist das nicht.

Nein, aber man hat die Wahl.

Was passiert beim Bahnübegang zwischen Zofingen und Oftringen? Wird es eine Über- oder Unterführung geben?

Nicht alle in der Region wollen die Bahnschranke aufheben. Dann wird die Route nämlich attraktiver. Ich bin aber überzeugt, wir müssen was tun. Es geht auch um die Fahrplanstabilität der Busse, den öV. Vielleicht gibt es am Ende eine Kombination. Man hebt das Bahngleis etwas an und macht eine Unterführung. So könnte diese aber etwas kürzer ausfallen und die Liegenschaften rundherum besser bedient werden. Eine Unterführung ist auch aus Sicht Lärmschutz vorteilhafter gegenüber der Umgebung.

Aber bei Hochwasser würde eine weitere Unterführung unpassierbar.

Alle Eventualitäten können wir nicht ausschliessen. Vielleicht müssen wir damit leben, dass alle 20 Jahren eine Unterführung bei Hochwasser einen halben Tag gesperrt ist. Unterführungen sind letztlich wohl siedlungsverträglicher als Überführungen. Der Strassenbau geht immer mehr in den Boden. Darum sehen wir auch eher eine Tunnellösung, als eine zweistöckige Autobahn.

Die Strasse Zofingen–Uerkheim wurde schneller saniert, als geplant. Warum ist aber meist das Gegenteil er Fall?

Die Überraschungen liegen in der Regel im Boden. Oft nimmt die Arbeit an den Leitungen in der Strasse und nicht der Strassenbau selbst die meiste Zeit in Anspruch.

Auf der Bergstrasse Wiliberg bauen sie jetzt vier Jahren an den 2,2 Kilometern. Wäre das nicht schneller gegangen?

Das ist eine gute Frage. Wir versuchen, die Bauzeit tief zu halten. Generell ist unsere Tendenz: längere Abschnitte mit Totalsperrung und dafür kürzere Bauzeiten. In Wiliberg war die Logistik eine Herausforderung. Es war nicht möglich, die Strasse ganz zu sperren – und in einem Wisch zu sanieren, zumal es an der Strasse Liegenschaften hat, deren Zu- und Wegfahrt auch während der Bauphase gewährleistet sein muss. Die Strasse war aber auch zu schmal, um sie halbseitig zu sperren und zu sanieren.

Die SBB-Haltestelle Oftringen-Zentrum ist nicht im Bundesprogramm berücksichtigt. Der Kanton erachtet sie aber als wichtig. Wie geht es da trotzdem vorwärts?

Wir wollen zumindest die Projektierung vorwärtstreiben. Auch der Bund sollte bei Projektierungen offensiver sein. Wenn nämlich gewisse Projekte blockiert sind, zum Beispiel wegen Beschwerden, können andere schneller vorgezogen werden. Die Gemeinde Oftringen hat bereits vor Jahren ihre Zentrumsplanung auch auf eine neue Bahnhaltestelle ausgerichtet.

Was waren in ihrer bisherigen Amtszeit die schwierigsten Verhandlungen?

Die grösste Herausforderung ist, dass wir bei den Bundesprogrammen gut berücksichtigt werden. Das ist in der Vergangenheit gut gelungen.

Wir dachten da eher an die Mediation um den Hochwasserschutz am Aeschwuhr-Wehr in Oftringen.

Das sind sicher schwierige Verhandlungen. Die Mediation hat Teil-Lösung gebracht, aber es konnte nicht zu allen Fragen ein Konsens erzielt werden. Dann muss man auch den Mut haben, abzuschliessen.

Sagen Sie uns in wenigen Worten, was das Problem ist, in dieser verfahrenen Situation um die ungeklärte Sanierung des Wehrs?

Es gibt Rechtsunsicherheiten aus der Vergangenheit und man hat es verpasst die Strukturen anzupassen.

Das Problem ist also die komplizierte Genossenschaft, die das Wehr besitzt?

Wir haben eine Eigentümerin des Wehrs, die eigentlich Mittel für einen Neubau haben müsste. Nun sind diese Mittel aber nicht vorhanden. Weil es auch ein öffentliches Interesse gibt, kommt schnell der Ruf nach dem Staat. Am Ende geht es schlicht ums Geld. Kanton und Gemeinden sind bereit, sich im Rahmen des öffentlichen Interesses zu beteiligen. Nun schauen wir nochmals, ob es mit Einzelverhandlungen Lösungen gibt. Und sonst sollen die Gerichte Entscheide fällen.

Würden Sie einen solchen Gerichtsentscheid mit der vom Kanton angedrohten Abbruch-Verfügung provozieren?

Es ist nicht so einfach. Die Genossenschaft muss einen funktionsfähigen Zustand – auch im Hochwasserfall – garantieren. Was passiert mit den Kraftwerks-Konzessionären? Wer wird da haftbar?

Welche Frage müsste ein Gericht beurteilen?

Zum Beispiel eine Entschädigungsfrage. Reisst man das Wehr einfach ab, werden die Kraftwerke trotz laufender Konzession nicht mehr mit Wasser versorgt.

Ist es wirklich eine Option, kein Wasser mehr in den Mühletych zu leiten?

Für mich nicht, nein. Auch in der Mediation war der Erhalt des Tych unbestritten. Nach wie vor wäre ein Ersatz des Wehrs und ein Weiterbetrieb der Kraftwerke die beste Lösung. Ich gehe davon aus, dass der Tych auch in 20 Jahren Wasser haben wird. Aber wem der Tych gehört, wer den Unterhalt und die Amortisation des Wehrs macht, mit oder ohne Kraftwerk. Das sind Fragen, die man klären muss.

Warum haben sie eigentlich so schnell abgewunken bezüglich einer möglichen Ständeratskandidatur?

Das ging nicht schnell. Ich brauchte einen halben Tag (lacht). Es gefällt mir zu gut hier. Ich habe als Regierungsrat eine spannende Aufgabe. Wir konnten viele Projekte realisieren. Und ich habe noch einige versprochene Spatenstiche zu machen.