
Bereits das siebte «Adoptivkind» aufgezogen: Lara, das Ersatzmami auf vier Hufen
Als Sanja Leuenberger Lara zum ersten Mal sah, war es um sie geschehen. Lara sei anders gewesen als die anderen Fohlen, die dort in Reih und Glied standen. Damals, vor 18 Jahren an der Fohlenbörse in Brunegg. «Sie hatte diese grossen Rehaugen – ich hatte mich verliebt.» Wild sei das halbjährige Fohlen gewesen, habe nichts wissen wollen von den anderen Tieren neben ihm. Eigentlich waren sie und ihr Mann, Tierarzt Hansjakob Leuenberger, aus beruflichen Gründen an der Fohlenbörse und nicht, um eines zu kaufen.
Den Vorsätzen zum Trotz kam Lara auf Leuenbergers Hof Lux neben ihrer «Tierklinik 24» in Staffelbach. Dort liess sie die anderen Tiere sogleich merken, wer die neue Chefin war. Wild blieb sie weiterhin, hielt Abstand zu Menschen mit Ausnahme ihrer Halterin. Doch auch sie hatte kein leichtes Spiel mit dem neuen Pferd, die Ausbildung zum Westernpferd war schwierig. «Dank Lara kann ich heute mit jedem schwierigen Pferd umgehen», sagt die 42-Jährige, was ein Segen sei für ihren Beruf als Tierarzt-Technikerin.
Laras Kinder
Heute weiss Leuenberger: Laras Bestimmung ist nicht die eines Reitpferdes. Welche es ist, das erkennt man beim Blick in die Box der Stute. Dort guckt ein Fohlen mit dem stattlichen Namen «Angie’s little Smokey» neugierig über den Türrand. Nur kurz, dann huscht es wieder in die Ecke des Stalls und versteckt sich hinter Lara. Der Kleine ist ein Waisenkind. Nachdem seine Mutter kurz nach der Geburt starb, hat man ihn von Gstaad zu Lara nach Staffelbach gebracht, die ihn nun aufzieht. Und sie nimmt ihre Aufgabe ernst, will genau wissen, wer da ihren Schützling bestaunen kommt.
Smokey ist bereits das siebte Adoptivfohlen von Lara. Ihr erstes kam vor 9 Jahren zu ihr. Die Leuenbergers wurden notfallmässig zu einer Pferdegeburt gerufen. Die Pferdemutter konnte nicht gerettet werden, das Fohlen nahmen sie zum Aufpäppeln mit in die Tierklinik. «Lara war auf der Weide und kam sofort hergelaufen», erinnert sich Leuenberger. Ein paar Stunden später riefen sich Stute und Fohlen zu und Lara begann, das Junge zu säugen. So oder ähnlich lief es künftig bei jedem Fohlen ab, das man Lara brachte. Eines ihrer Ziehkinder war gar ein verwaistes Eselmädchen. «Woher die Milch kommt, können wir uns nicht erklären. Die Geburt ihres eigenen Fohlens war schon zwei Jahre her, als sie erneut zu säugen begann», sagt Leuenberger.
Bestimmung Ersatzmutter
Fohlen aufziehen sieht Lara seither als ihre Lebensaufgabe an, da bleibt keine Zeit mehr, um für Westernturniere zu trainieren. Ein Umstand, an den sich die Halterin erst gewöhnen musste: «Zwischendurch wünschte ich, ich könnte mein Pferd nur für mich haben, da spüre ich schon mal Eifersucht.» Doch sie ist auch stolz, denn dass sich eine Stute fremder Fohlen annimmt, ist äusserst selten. Die verwaisten Tiere hätten eine deutlich schlechtere Startchance, wenn sie vom Menschen mit der Flasche aufgezogen würden. Über alle möglichen Kanäle erfahren Pferdebesitzer von der Ammenstute in Staffelbach. Smokey kam dank Facebook zu seiner Ziehmutter.
Am liebsten würde Lara ihre Schützlinge nicht mehr ziehen lassen. «Nachdem wir das Kleine dem Besitzer zurückgebracht haben, rief sie noch tagelang nach ihm», sagt Leuenberger. Auch Smokey wird seine Ersatzmutter nicht mehr allzu lange brauchen. Noch aber tobt er mit ihr auf der Weide rum, rennt ihr nach, stoppt, wenn sie stoppt und frisst dort, wo sie frisst. Über seine Rückkehr ins Berner Oberland werden die Staffelbacher durch Laras Wiehern erfahren.