
Der Aargau ringt um seine Bahnzukunft – überparteiliches Komitee will Druck fürs Mittelland machen
Das sind die Forderungen
Aus Sicht des Komitees Bahnanschluss Mittelland genügt der Step 2030/35 nicht, um die Mobilitätsbedürfnisse von Bevölkerung und Wirtschaft im stark wachsenden Mittelland-Limmattal abzudecken. Es verlangt, der Bund müsse unverzüglich aufzeigen, wie eine Neubaustrecke zwischen Aarau und Zürich spätestens im Rahmen des übernächsten Ausbauschrittes finanziert und realisiert werden kann.
Die Systematisierung gemäss Step 2030/35 könne nur als kurzfristige Übergangslösung bis zur Realisierung dieser Neubaustrecke akzeptiert werden, wenn
- die Betriebsstabilität garantiert werden könne und die dafür notwendigen Infrastrukturanpassungen zeitgerecht umgesetzt würden,
- finanzielle Mittel im Step 2030/35 für die Projektierung der Neubaustrecke Aarau–Zürich eingestellt werden,
- Aarau weiterhin in den hochwertigen Intercityverkehr mit Direktverbindungen in die Ost- und Westschweiz eingebunden ist,
- auf den Ost-West-Hauptlinien über Baden–Brugg und Lenzburg–Aarau Fernverkehrsangebote im 15-Minuten-Takt angeboten werden sowie
- keine weiteren Fernverkehrszüge auf der Ost-West-Achse ohne Halt im Aargau eingeführt werden.
Die Direktverbindungen von Baden nach Bern, aus dem Freiamt nach Zürich sowie von Zofingen nach Aarau und Brugg (Einführung ab 2019) müssen langfristig erhalten bleiben, so die Forderung des Komitees. (MKU)
Mit Blick auf die Bahnausbaupläne des Bundes Ausbauschritt (Step) 2030/35 formiert sich im Aargau ein überparteiliches Parlamentarier-Komitee. Dieses will sich entschieden für eine bessere Berücksichtigung des Mittellandes einsetzen. Die AZ hat über die Ausbaupläne des Bundes (vgl. nachfolgende Box) berichtet.
Ihr liegt jetzt ein Brief eines überparteilichen Komitees «Bahnanschluss Mittelland» vor. Dessen Steuerungsausschuss besteht aus prominenten Verkehrspolitikern der vier Bundesratsparteien, den Nationalräten Thierry Burkart (FDP), Cédric Wermuth (SP), Ueli Giezendanner (SVP) und Ruth Humbel (CVP), Verkehrsdirektor Stephan Attiger sowie dem Zofinger Stadtammann (Zofingen bangt um Direktanschlüsse) und Vizepräsidenten der Gemeindeammänner-Vereinigung Hans Ruedi Hottiger.
Der Brief geht laut Thierry Burkart spätestens Anfang nächster Woche an die aargauischen Stände- und Nationalräte, an alle Aargauer Grossräte und an alle Aargauer Gemeindebehörden. Darin hält das Komitee fest, dass der Bund mit dem geplanten Ausbauschritt 2030/35 dem steigenden Mobilitätsbedürfnis Rechnung tragen wolle. Dieser Ausbau sei für die Schweiz zentral und werde grundsätzlich von allen massgebenden Akteuren mitgetragen.
Neubaustrecke dringlich
Doch der geplanten Angebotsverdichtung auf verschiedenen Teilstrecken stünden für die Region Mittelland-Limmattal gewichtige Nachteile gegenüber: «Vor allem der Verzicht auf die Neubaustrecke Aarau–Zürich verhindert, dass die notwendigen Kapazitäten in einer der gemessen an der Einwohnerzahl und Wirtschaftskraft bedeutendsten Regionen der Schweiz geschaffen werden.»
Die Situation in Bezug auf die bestehenden Engpässe verschlechtere sich dramatisch. Die Kapazitäten sollen zwar durch eine Verdichtung des bestehenden Fahrplanes ausgebaut werden (Systematisierung), gleichzeitig bleiben aber wichtige Projekte auf der Strecke und bestehende Direktverbindungen werden abgebaut, hält das Komitee fest.
Das verschlechtere «die Attraktivität der Bahn in unserer Region – mit negativen Folgen für alle Verkehrsteilnehmer». Deshalb hoffen sie, dass möglichst viele der Angeschriebenen dem Komitee «Bahnanschluss Mittelland» beitreten.
Das Komitee will in den nächsten Wochen und Monaten konkret aktiv werden. Doch wie kam es überhaupt dazu? Es gebe Kantone, die gemeinsame Interessen besser verträten als der Aargau, sagt Cédric Wermuth. Der Aargau drohe bahnmässig zwischen den Metropolitanregionen Zürich, Basel und Bern aufgerieben beziehungsweise geopfert zu werden. Deshalb seien Thierry Burkart und er auf den Regierungsrat zugegangen: «Wir wollen unseren Beitrag leisten, um dieses Worst-Case-Szenario zu verhindern.»
Ganz wichtig sei ihnen, dass der Forderungskatalog (vgl. nachfolgende Box) überparteilich mitgetragen wird. Sie wünschen sich also gewissermassen eine Bahnallianz vom TCS bis links-grün. Wermuth: «Hier haben wir ein gemeinsames Interesse. Die Nachfrage im Bahnverkehr nimmt zu. Daher braucht es einen Kapazitätsausbau. Dafür wollen wir unsere Kräfte bündeln.» Eine sehr gute Bahnanbindung sei für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung des Aargaus zentral.
Es ist selten, dass Parlamentarier wie Burkart und Wermuth, die politisch meist sehr ungleicher Meinung sind, hier mit Vertretern anderer Parteien zusammengehen. «Ja, das ist so», bestätigt Burkart: «Wenn es darum geht, für die Interessen des Aargaus einzustehen, darf es keine Vorbehalte geben.»
Es gehe hier aber nicht nur um den Aargau, betont Burkart, sondern auch um Zürich und die ganze Nordwestschweiz. Sie alle wären negativ betroffen, wenn der Verkehr im Mittelland und besonders im Nadelöhr Aargau stockt. Burkart hofft, auch aus diesen Kantonen Vertreter gewinnen zu können. Erste Signale aus Zürich und Solothurn seien positiv.
Nicht gegeneinander ausspielen
Der Aufruf wird jetzt lanciert, weil «Bern» für den künftigen Bahnausbau bald die Weichen stellen will. Das Komitee «Bahnanschluss Mittelland» seinerseits will nach den Behörden in einem zweiten Schritt die Bevölkerung einladen, sich für ihre Ziele einzusetzen.
Und schliesslich hofft Wermuth, dass sie auch bei Verkehrsministerin Doris Leuthard – solange sie noch im Amt ist – Gehör finden. Doch warum wählt das Komitee diesen Weg und versucht es nicht direkt mit Lobbyarbeit in Bern? Das eine schliesse das andere nicht aus, sagt Wermuth: «Wir haben aber gesehen, wie wirkungsvoll es sein kann, wenn eine Forderung nicht ‹nur› von der Politik erhoben wird, sondern wenn die ganze Bevölkerung dahintersteht.»
Es gehe dem Komitee in enger Zusammenarbeit mit dem Kanton keineswegs darum, dessen Interessen gegen diejenigen anderer Kantone auszuspielen, betont der Verkehrspolitiker und aargauische TCS-Präsident Burkart. Sondern darum, die gemeinsamen Interessen aufzuzeigen. Und dafür zu sorgen, dass auch diejenigen des Aargaus Gehör finden.
Er beobachte, dass nur schon die Gründung des Komitees erste Wirkung habe. Er hofft, dass dieses politisch so breit wie irgend möglich Unterstützung erhält, «damit wir genug Druck aufbauen und dazu beitragen können, dass die Weichen in Bern richtig gestellt werden. Auch wenn es um 2030/35 und darüber hinausgeht, müssen wir heute aktiv werden. Sonst ist der Zug plötzlich abgefahren. Im Nachhinein zu korrigieren, ist sehr viel schwieriger.»
Erfreut über das Komitee ist Verkehrsdirektor Stephan Attiger. Es stütze die Interessen und Forderungen des Kantons, sagt er. Die Regierung hat ihre Haltung zum Ausbauschritt 2030/35 schon im Januar publiziert (die AZ berichtete). Dass der Bund im Mittelland lediglich einzelne Angebotsausbauten und Fahrplanänderungen vorschlage, «lehnt der Regierungsrat in der vorgeschlagenen Form entschieden ab», sagt Attiger.
Das Angebot gemäss dem Vorschlag des Bundes könne die künftige Nachfrage nicht bewältigen. Nur mit zusätzlichen Angebots- und Infrastrukturausbauten könne der Vorschlag zu Step 2030/35 als Übergangslösung bis zur Realisierung einer neuen Direktverbindung Aarau–Zürich akzeptiert werden. Mit Attiger im Komitee erfülle die Regierung zudem einen Auftrag des Grossen Rates, wonach sich die Regierung für ein auch in Zukunft attraktives Bahnangebot im Aargau einsetzen soll.