
VCS will mehr Tempo 30-Zonen gegen Strassenlärm – Kanton setzt auf Flüsterbelag
«Tempo 30 ist eine pragmatische, günstige und verhältnismässige Lärmschutzmassnahme, die an der Quelle ansetzt.» Das hält der VCS Aargau in einer Mitteilung zum Urteil des Bundesgerichts fest, das 30er-Zonen auch auf Kantonsstrassen für gesetzeskonform erklärte. Das höchste Gericht hatte Beschwerden der Autoverbände ACS und TCS gegen Temporeduktionen auf rund 40 Strassenabschnitten in der Stadt Zürich abgewiesen. Tempo 30 sei auf diesen Strecken gerechtfertigt, um die Anwohner vor Strassenlärm zu schützen.
Der VCS Aargau begrüsst das Urteil und fordert die Aargauer Behörden auf, «auf geeigneten Abschnitten der Kantonsstrassen auch solche Temporeduktionen vorzunehmen». Die vom Kanton emsig verbauten Flüsterbeläge seien im Vergleich zu 30er-Zonen sehr teuer und wenig nachhaltig.
Forderung von Gemeinden
Für den Regierungsrat sei Tempo 30 auf Kantonsstrassen derzeit noch ein Tabu, kritisiert der Verband. «Nur auf den Kantonsstrassen in Olsberg und der Habsburgerstrasse in Windisch wurde bisher Tempo 30 eingeführt.» Das Bundesgericht habe aber festgehalten, dass Temporeduktionen auch auf Hauptstrassen zweck- und verhältnismässig seien, wenn es um Massnahmen gegen Lärm gehe. Laut VCS fordern schon mehrere Aargauer Gemeinden Tempo 30 auf Kantonsstrassen im Siedlungsgebiet. «Der Regierungsrat sollte diesem Anliegen Rechnung tragen», verlangt der Verband.
Simone Britschgi, Mediensprecherin beim Departement Bau, Verkehr und Umwelt, sagt auf Anfrage, das Urteil des Bundesgerichts beziehe sich auf den innerstädtischen Raum. «Der Aargau ist ländlicher geprägt und daher nicht vergleichbar.» Für das Departement seien Kantonsstrassen eindeutig verkehrsorientiert. Sie sollten den Verkehr möglichst rasch von den Gemeinde- und Sammelstrassen übernehmen T und überregional weiterleiten. Deshalb stünden Leistungsfähigkeit und Sicherheit auf Kantonsstrassen im Vordergrund. «Dadurch können die Quartierund Gemeindestrassen vor Schleichverkehr geschützt und die Gemeinden vor grossen Investitionen in ihre Strassen bewahrt werden», argumentiert Britschgi. Tempo 30 sei auf Quartierund Gemeindestrassen zweckmässig. «Dort beruhigt dies den Verkehr und ermöglicht eine bessere Koexistenz aller Verkehrsteilnehmer.» Diese Strassen dienten häufig als Schul- und Einkaufswege für Fussgänger und Radfahrer oder als Spielplatz für Kinder.
Keine weiteren 30er-Projekte
Diese Argumente gegen Tempo 30 auf Kantonsstrassen seien gesucht und hielten keiner vertieften Analyse stand, entgegnet der VCS. Das leistungsfähige Verkehrssystem und die Funktion der Kantonsstrassen im Aargau seien mit einer Temporeduktion in keiner Weise gefährdet. Mit Tempo 30 liessen sich indes «Stop and Go» verhindern, der Autoverkehr flüssiger machen sowie Lärm und Schadstoffe reduzieren.
Britschgi sagt, die Habsburgerstrasse in Windisch, die nach der Realisierung der Umfahrung Brugg an die Gemeinde abgetreten werde, und die Ortsdurchfahrt in Olsberg seien aus Gründen der Verkehrssicherheit in Tempo-30-Zonen integriert. Sie hält aber fest, weitere Projekte mit Tempo 30 auf Kantonsstrassen seien nicht vorgesehen. Derweil sind 30er-Zonen auf Gemeindestrassen im Aargau relativ weit verbreitet, obwohl es immer wieder vorkommt, dass Projekte in Volksabstimmungen oder an Gemeindeversammlungen abgelehnt werden. Sprecherin Britschgi sagt, in etwa 90 Aargauer Gemeinden gebe es Tempo-30-Zonen, rund 25 Gemeinden hätten überdies Abschnitte mit Begegnungszonen.
Strassenlärm macht krank
Die sogenannte Sirene-Studie zu den Auswirkungen des Verkehrslärms auf die Schweizer Bevölkerung weist nach, dass das Risiko von Herz-KreislaufErkrankungen beim Strassenlärm am stärksten ausgeprägt ist. Dies ist einer Mitteilung des Departements Bau, Verkehr und Umwelt zum «Tag gegen Lärm» heute Mittwoch zu entnehmen. Bei einer Zunahme der Strassenlärmbelastung um 10 Dezibel am Wohnort steige das Herzinfarktrisiko um 4 Prozent. Auch das Risiko anderer Krankheiten wie Bluthochdruck, Herzinsuffizienz und Diabetes steige mit zunehmendem Verkehrslärm an.
Im Aargau ist laut der Mitteilung in der Nacht jede sechste Person schädlichem oder lästigem Strassenverkehrslärm ausgesetzt, am Tag jede fünfte. Bevor der Kanton das Programm zur Lärmsanierung in Angriff nahm, waren nachts rund 120000 Personen von übermässigem Strassenlärm betroffen, tagsüber 140000 Personen. Nach dem Ende des Sanierungsprogrammes werden rund 20000 Personen dauerhaft unter dem Grenzwert der Lärmschutzverordnung leben, der eine Sanierung auslöst, wenn er überschritten wird.
Was bringt der Flüsterbelag?
Zugleich profitieren laut der Mitteilung rund 140000 Personen vom konsequenten Einbau lärmarmer Strassenbeläge im Aargau. Der Kanton setze flä- chendeckend auf allen Innerorts-Strecken lärmreduzierende Beläge ein, sag Mediensprecherin Simone Britschgi. Auf die Kritik des VCS angesprochen, die verwendeten Flüsterbeläge seien teuer und wenig nachhaltig, entgegnet sie: «In neuem Zustand kann ein Effekt von 5 bis 7 Dezibel erreicht werden, was einer Reduktion der Lärmwahrnehmung um 70 Prozent entspricht.» Längerfristig betrage die wahrgenommene Reduktion beim Einsatz der Flüsterbeläge immer noch 50 Prozent.
Weiter hält sie fest, bei Lärmschutzfragen müssten immer die Gesamtsituation analysiert und die Probleme und Ziele benannt werden, bevor über die richtigen Massnahmen entschieden werde. Tempo 30 sei dabei nur eine von verschiedenen Möglichkeiten.
Am heutigen Tag gegen Lärm stellt das Departement Bau, Verkehr und Umwelt an der Bahnhofstrasse vor der Handelsschule KV Aarau einen Lärmberatungsstand auf. Zwischen 10 und 15 Uhr beantworten die Lärmspezialisten der Abteilungen für Tiefbau und Umwelt alle Fragen der Bevö