
«Wir müssen jetzt gemeinsam in die gleiche Richtung ziehen»
Fünf bürgerliche Männer bilden den Regierungsrat des Kantons Luzern. Bedauern Sie nicht, dass keine Frau mitregiert?
Guido Graf: Das darf mich persönlich nicht schmerzen. Das ist ein Entscheid der Luzerner Bevölkerung, den ich so zur Kenntnis genommen habe. Ich verfüge in meinem Departement über einen Kernstab, der aus vier Frauen und mit mir inbegriffen aus zwei Männern besteht. Beim Departementsstab ist das Verhältnis in etwa 50 zu 50 Prozent. Sie sehen: Persönlich bin ich für gemischte Teams.
Ihr Motto lautet im laufenden Präsidialjahr «Stadt ond Land – metenand, förenand». Wie gross ist der Stadt-Land-Graben im Kanton Luzern?
Wir müssen wachsam und darauf bedacht sein, dass das Gemeinsame im Fokus bleibt. Unser Kanton besteht aus Stadt, Agglomeration und dem Land. Ich lege Wert darauf, dass nicht einseitig fokussiert wird. Kultur gibt es beispielsweise nicht nur in der Stadt und Agglomeration. Verkehrsprobleme sind nicht nur eine Herausforderung für die Landschaft.
Man könnte auch von einem Kanton-Gemeinden-Graben sprechen. Die Gemeinden ächzen unter den Kostenverlagerungen wie beispielsweise bei den Ergänzungsleistungen.
Wenn man das staatspolitische Gefüge anschaut – Bund, Kanton und Gemeinden – so nehme ich zur Kenntnis, dass es dem Bund und auch den Gemeinden sehr gut geht. Dass es letzteren so gut geht, darüber bin ich persönlich und als Regierungspräsident sehr froh. Die Gemeinden haben sich in den letzten Jahren bewegt, gespart, wo nötig Steuern erhöht. Damit haben wir ein gutes Fundament für die Zukunft. Was mir mehr Sorgen bereitet ist die Situation in den Kantonen: Viele stehen in der Schweiz vor gewissen Herausforderungen. Ich wehre mich aber gegen die Behauptung, dass der Kanton Luzern auf Kosten der Gemeinden gesunden will. Wir müssen jetzt gemeinsam in die gleiche Richtung ziehen. Denn wir sind aufeinander angewiesen.
Ist sich der Regierungsrat der Stimmungslage bei den Gemeindebehörden, die mit der Kostenverlagerung enorm Mühe haben, eigentlich bewusst?
Wir sind uns dessen bewusst. Schliesslich war Robert Küng ehemaliger Stadtpräsident; waren Reto Wyss, Paul Winiker und ich ehemalige Gemeinderäte. Ich möchte noch einmal betonen: Wir erhalten weniger Geld aus dem nationalen Finanzausgleich. Die Gemeinden erhalten jedoch aus dem innerkantonalen Finanzausgleich mit 133 Millionen Franken in etwa gleich viel wie in den Vorjahren. Das ist ein Zeichen, dass wir die Gemeinden sehr wohl erst nehmen. Es gibt aber auch einzelne Gemeinden, die strukturelle Probleme haben, für welche der Kanton nicht der Auslöser ist.
Der Regierungsrat besucht mit einer Extratour die Regionen und diskutiert mit der Bevölkerung. Der Anlass in Schüpfheim fand bereit statt. Wie war die Resonanz?
Zur Ausgangslage: Im Mai 2017 verloren wir die Abstimmung zur Steuererhöhung. In der im Anschluss an die Abstimmung in Auftrag gegebenen Analyse kam unter anderem heraus, dass in kommunikativer Hinsicht Handlungsbedarf besteht. Unsere Tour durch den Kanton Luzern dient dazu, uns mit der Bevölkerung auszutauschen, und zwar in einem unkomplizierten Rahmen. Den erste Anlass besuchten relativ wenig Leute, die Diskussion war jedoch sehr aufschlussreich und interessant. Ich bin überzeugt, dass wir dank dieser Tour wieder einen Schritt aufeinander zu machen werden.
Könnte dieser Kontakt so institutionalisiert werden?
Ich mag Menschen, suche den Kontakt und das Gespräch. Bereits 2013 war ich in den Gemeinden des Kantons Luzern unterwegs. In diesem Jahr wird es zuzüglich zur Polit-Apéro-Tour erneut einen Tag der offenen Tür im Regierungsgebäude geben, zu dem wir die Luzerner Bevölkerung einladen werden. Der Kontakt der Regierung mit Bürgerinnen und Bürgern ist enorm wichtig. Diesen müssen wir mehr und besser pflegen.
Für die Regierung war es letztes Jahr ja auch nicht immer einfach, man musste kurzfristig reagieren – weil das Parlament und das Volk teilweise nicht «mitgespielt» haben.
Die Meinung der Bevölkerung ist massgebend. Danach haben wir uns zu richten. Und wenn das Parlament einen Auftrag zum Sparen gibt, dann müssen wir diesen Auftrag wahrnehmen. Aber wir müssen auch erklären, warum wir dies tun. Die Massnahmen im Zusammenhang mit der Prämienverbilligung, die wir wegen der abgelehnten Steuererhöhung einleiten mussten, sollen nie mehr wiederholt werden müssen. Wir mussten aber kurzfristig Mittel in der Höhe von 8 Millionen Franken einsparen. Um den Lesern die Relationen aufzuzeigen, möchte ich jedoch betonen: Trotz Einsparung schütteten wir immer noch ein Volumen von rund 160 Millionen Franken an Prämienvergünstigungen aus. Weiter gilt es zu bedenken, dass die Mittel, die der Bund, der Kanton und die Gemeinden ins Sozialsystem und in die Sozialwerke überführen, rund 2,7 Milliarden Franken betragen. Darin inbegriffen sind unter anderem AHV, IV, Ergänzungsleistungen, Familienzulagen. Das ist ein grosser Betrag. Insofern investieren Bund und Kanton sehr viel Geld, um die Gesellschaft zusammenhalten zu können.
Sie haben sich auch schon dahingehend geäussert, den Kanton Luzern nicht schlechtzureden, es gehe ihm sehr gut. Ist das nicht Schönfärberei angesichts der finanziellen Aussichten?
Wir haben Herausforderungen, das ist korrekt. Bezüglich der Steuerstrategie haben sich die Steuereinnahmen zwar positiv entwickelt, jedoch nicht in dem Ausmasse, wie wir uns dies gewünscht haben. Die zweite Herausforderung ist, dass der Kanton Luzern zu schnell zu stark geworden ist und dadurch weniger aus dem nationalen Finanzausgleich erhält. Das ist auch der Grund für die Sparpakete, die wir schnüren mussten. Wenn ich aber den Kanton Luzern mit anderen Kantonen vergleiche, dann muss ich sagen: Uns geht es gut. Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir auf einem hohen Niveau jammern.
Das Budget 2017 wurde nur mit Ach und Krach und Verspätung verabschiedet, der Voranschlag 2018 dann immerhin noch vor Ende Jahr. Doch: Kann so was wie 2017 wieder passieren?
Eines meiner Ziele als Regierungspräsident für das Halbjahr 2017 war es, dass wir für 2018 über ein gültiges Budget verfügen. Dies benötigte sehr viele Gespräche mit den Fraktionen, Vorbereitungsarbeiten und die Offenheit, auf den Kantonsrat zuzugehen. Es ist auch für die Wirtschaft wichtig, dass der Staat ein Budget hat. Dass 2017 das Referendum ergriffen wurde, bedauere ich, weil man die Wirtschaft damit indirekt bestraft hat.
Die Anzahl der säumigen Krankenversicherten auf der «schwarzen Liste» ist stark angestiegen. Die Einkommensgrenze bei der Berechtigung für Prämienverbilligungen wurde angehoben. Das spricht für einen Kausalzusammenhang, oder?
Dies müsste man näher untersuchen. Wir hatten 2017 eine Einkommensobergrenze für den Bezug der Prämienverbilligungen von 54 000 Franken, bei Familien mit Kindern erhöhte sich diese Obergrenze um jeweils 9000 Franken pro Kind. Damit wurde auch der Haushaltsgrösse Rechnung getragen. Im Jahr 2018 liegt die Einkommensobergrenze bei 60 000 Franken, damit liegen wir im Vergleich mit anderen Kantonen im Mittelfeld. Ich möchte gleichzeitig betonen: Diejenigen mit Sozialhilfe und Ergänzungsleistungen, erhalten die volle Prämie. Die sozial Schwächsten haben also keine Nachteile. Tangiert waren Familien aus dem Mittelstand.
Mit der Liste der «ambulant vor stationär»-Eingriffe hat Ihr Departement eine Vorreiterrolle eingenommen.
Wir haben diese Liste mit dem Kanton Zürich zusammen entwickelt. Ich habe Freude, dass nun auch andere Kantone wie Zug und Wallis mitziehen. Weiter habe ich zur Kenntnis genommen, dass der Bund eine Liste mit sechs Eingriffen umsetzen will. Wichtig ist, dass wir am Schluss eine einheitliche Liste haben und dass es nicht 20 verschiedene Listen gibt.
Mit eHealth Zentralschweiz will man die Digitalisierung des Gesundheitswesens vorantreiben. In der Zentralschweiz kooperieren aber erst die Kantone Luzern und Nidwalden.
Die Digitalisierung im Gesundheitswesen macht nicht Halt vor den Kantonsgrenzen. Die Digitalisierung oder Industrialisierung 4.0 wird kommen, respektive ist schon da – ob es uns gefällt oder nicht. Nun haben wir einen Verein gegründet und damit ist es uns gelungen, die Leistungserbringer an einen Tisch zu bringen.
CSS-Chefin Philomena Colatrella mahnte in dieser Zeitung an, die Spitaldichte in der Schweiz sei zu hoch. Die geplanten Investitionen des Kantons auch in die Standorte Wolhusen und Sursee deuten darauf hin, dass Sie bezüglich der Standortzahl im Luzernischen keinen Handlungsbedarf sehen…
Die Aussage, die Philomena Colatrella gemacht hat, ist richtig. Wir verfügen über zwei Landspitäler und ein Zentrumsspital. Das Spital in Wolhusen versorgt mit der Grundversorgung etwa 70 000 Menschen, Sursee noch mehr. Ich benötige die Regionalspitäler, um unter anderem das Netz der Hausärzte und der Spitex aufrechtzuerhalten. Darüber hinaus gibt es verschiedene Eingriffe, die Regionalspitäler kostengünstiger machen können als ein Zentrumsspital. Ein Zentrumsspital hat einen ganz anderen Auftrag mit hochspezialisierter Medizin. Die Grundversorgung hingegen muss flächendeckend sein. Darüber hinaus braucht es eine Konzentration einzelner Schwerpunktgebiete.
Im Asylwesen hat sich die Situation schweizweit etwas entspannt. Auch der Kanton Luzern konnte zahlreiche Unterkünfte schliessen. Der Kanton hat die Betreuung im Asylwesen ab 2017 von der Caritas übernommen. Wie sieht Ihre Zwischenbilanz aus?
Ich bin froh darüber. Wir können nun direkter führen und Einfluss nehmen – auch, was das Einsetzen personeller Ressourcen anbelangt. Aktuell kommen weniger Asylsuchende in die Schweiz. Entsprechend bedarf es weniger personeller Ressourcen. Dies kann sich aber sehr schnell wieder ändern. Vorher war dies sehr schwierig. Weniger positiv ist, dass sehr viele Gesuche auf Bundesebene immer noch nicht bearbeitet sind. Und nach wie vor sehr anspruchsvoll ist die Integration. Wir haben viele Flüchtlinge bei uns, die nicht integriert sind. Ziel müsste sein, diese mit ihren Familien zusammenzuführen und vor Ort zu unterstützen. Das Geld wäre so besser investiert.
Für Ihre eher härtere Gangart im Asylbereich erhalten Sie auch Anerkennung aus Kreisen rechts der CVP. Sehen Sie sich als Hardliner?
Nein, sicher nicht. Die Philosophie, die ich im Asylwesen verfolge, ist: Der Mensch muss im Zentrum stehen. Und ich habe ein Motto: Fordern und fördern. Wenn jemand an Leib und Leben bedroht zu uns kommt, müssen wir helfen. Wir müssen aber auch fordern, dass er auch unsere Kultur, die wir hier leben, akzeptiert. Ich bin aber auch bereit, zu fördern, sei dies mit Sprachunterricht oder Integration. Aber alles hat seine Grenzen. Ich habe national für Aufsehen gesorgt, weil ich Grenzen gesetzt habe und verlangt habe, dass man sich an diese hält.
Ihr Ratskollege Robert Küng hat angekündigt, nicht mehr zu kandidieren. Wie sehen Ihre Pläne aus?
Aktuell halten mich viele Themen auf Trab und entsprechend habe ich bislang keine Zeit gehabt, um mir diese Frage in Ruhe zu überlegen. Ich werde im Sommer entscheiden und dann zeitgerecht kommunizieren. Aber ich kann behaupten: Mir gefällt die Funktion als Regierungsrat, vor allem als Gesundheits- und Sozialdirektor, sehr. Ich kann hier etwas bewirken. Und ich habe noch einige Ideen.
