Autorin Margrit Schriber: Eine Frau und ihre Tankstelle

«GLÄNZENDE AUSSICHTEN»

Emanzipation in der Tankstelle

Es ist ein eher unspektakuläres Leben, das die nicht mehr so junge Tankstellenwartin Pia führt. Eigentlich ist sie ganz zufrieden mit ihrer Tankstelle in der Nähe der Autobahn. Und wenn ihre beste Freundin, die exaltierte Drama-Queen Luisa, etwas weniger krisenanfällig wäre, gäbe es kaum was zu meckern. Na gut, ihr Freund Luc ist eine ziemlich miese Ratte. Aber er hat Charme, und sie liebt ihn eben, und so lässt sie sich von Luc ausnutzen, demü- tigen und misshandeln. So erscheint die Heldin des Romans von Margrit Schriber zunächst nicht unbedingt als starke Person. Tatsächlich ist Selbstvertrauen bei ihr eher Mangelware. Andererseits ist um 1980 herum eine weibliche Unternehmerin alles andere als selbstverständlich. Und als Pias Geschäfte im Zuge von veränderter Mobilität schlechter gehen, reagiert sie: Sie will sich eine topmoderne Autowaschstrasse installieren lassen. Eine komplizierte Sache, zumal sich bisherige und neue Männer in ihrem Umfeld einmischen. Ob ihr das Unterfangen gelingt und ob sie sich den parasitären Kotzbrocken Luc doch noch vom Hals schafft, soll hier natürlich nicht gespoilert werden. Eine Frau und eine Tankstelle vor über 30 Jahren – auf eine solche Story kam Margrit Schriber, weil sie selber zu jener Zeit eine grosse Autowaschstrasse bauen liess. Insofern sind ihre Erfahrungen in die Geschichte geflossen, was deren Authentizität bis hin zu technischen Details erklärt. Und gerade weil das Setting der Tankstelle sowie die Ereignisse wenig spektakulär und sehr mikrokosmisch wirken, kommt die Vielschichtigkeit von Pias Alltag zur Geltung. Die Geschichte bietet neben einem Bild der damaligen Gesellschaft viel Humor, den Margrit Schriber in ihrer bekannt präzisen Sprache bestens rüberbringt. Und obwohl die welterschütternden Dramen fehlen, was in der Anlage des Romans absolut stimmig ist, gibt es auch berührende Momente. Gerade durch die Protagonistin Pia, mit der man sich als Leserin und sogar als Leser bestens versteht. (ARE/ZTS)

Margrit Schriber: «Glänzende Aussichten» (Nagel & Kimche), 176 S. 

«Mir geht es sehr gut», sagt Margrit Schriber und strahlt. Die in Zofingen lebende Schriftstellerin freut sich sichtlich über ihr neues Buch «Glänzende Aussichten», das im Zürcher Verlag Nagel & Kimche erschienen und seit ein paar Tagen erhältlich ist. Sanft streichelt die 78-Jährige mit der Hand über das Cover. «Aus meiner eigenen Erfahrung habe ich meiner Protagonistin, der Tankstellenwartin Pia, ihre ganz eigene Welt erschaffen», sagt Margrit Schriber. Aus dem 176 Seiten umfassenden Buch ragen einige Post-it-Zettel heraus. Mit ihnen hat die Schriftstellerin Passagen zum Vorlesen markiert.

Sie gibt Frauen eine Stimme
Herzklopfen und leicht erhöhter Puls gehören für die Schriftstellerin zu Lesungen. So auch an der Buchvernissage in der Kantonsbibliothek in Schwyz. Ein Heimspiel für die in Küssnacht am Rigi aufgewachsene Margrit Schriber. Hier ist die Tochter eines Wunderheilers mit einem Bruder gross geworden. In Brunnen besuchte sie eine Klosterschule, wo ihr eine der Ingenbohler Schwestern die Schriftsteller-Karriere voraussagte. «Ich muss schreiben. Diesen unbändigen Drang verspüre ich seit der Kindheit», sagt Margrit Schriber. Mit 28 Jahren fing die Bankangestellte an, sich das Schreiben selber beizubringen. Neun Jahre später erschien ihr erster autobiografischer Roman «Aussicht gerahmt». Von Margrit Schriber gibt es bisher 17 Bücher, zudem gestaltete sie Radio- und Bühnenwerke.

Ein Stück weit Persönliches sei in ihren Werken immer enthalten. «Ich kann mich nicht verleugnen», sagt sie und gesteht: «Selbstverständlich gibt es Parallelen, Ähnlichkeiten, aber ich bin ich und meine Figuren haben ihren eigenen Charme und Charakter.» In den letzten Jahren hat die in Zofingen lebende Autorin Frauen in den Mittelpunkt gerückt. «Ich gebe Frauen eine Stimme, die keine hatten.» Ihre aktuell im Fokus stehende Hauptdarstellerin unterscheidet sich von den anderen, denn sie steht für sich ein. Pia betreibt seit dem Tod ihres Vaters die etwas abseits gelegene Tankstelle. Die Konkurrenz ist hart. Doch Pia handelt und kauft in Mailand die modernste Waschstrasse. Sie eröffnet den grössten Autowaschsalon in der Gegend und sorgt nicht nur deswegen für Aufruhr im Dorf.

Fehlkauf für Oftringer Garage
Vor über 30 Jahren hat auch Margrit Schriber eine grosse Autowaschanlage gekauft. Dies für einen Garagenbetrieb in Oftringen, den sie mitverwaltete. «In Mailand fand ich einen Anbieter, der nicht mit einem Benzinkonzern verbandelt war.» Sie erzählt vom Ingenieur, der ihr eine zischende, spritzende Anlage vorführte. «Ich erinnere mich, dass er sich vorbeugte, um im Lärm meine Meinung zu hören, und ich nur sein triefendes pechschwarzes Haar anstarrte. Ich hatte keine Meinung.» Die Präsentation von farbigen Bürstenfäden und die Aussicht auf eine nach Minze, Jasmin oder Vanille duftende Anlage liess sie den Vertrag unterschreiben. «Da brauchte ich mörderischen Mut», betont Margrit Schriber.

Doch leider habe sie nicht wirklich viel von solchen Anlagen verstanden. Dazu kam ein Schauermärchen. Eine Freundin habe rumerzählt, dass sie beim Autowaschen ein Knacken gehört habe und aus dem Tunnel gerannt sei, um nicht im Auto zerdrückt zu werden. «In Windeseile verbreitete sich das Gerücht, dass diese Autowaschanlage lebensgefährlich sei», sagt Margrit Schriber und bilanziert: «Es war eine kostspielige Fehlinvestition.» Die Anlage liess sie verschrotten. «Das war nach dem Kauf dann meine zweitverrückteste Tat.»

Obwohl sie ihre Figuren wilde Abenteuer durchstehen lässt, liebt und braucht Margrit Schriber die Sicherheit. Diese findet sie hinter dem Schreibtisch in der Eigentumswohnung in Zofingen und dem Ferienhaus in der Dordogne. «Gott sei Dank ist mein Vorstellungsvermögen so stark, dass ich die Dinge nicht erlebt haben muss, um sie zu beschreiben.»

Ja, sie sei bereits an einem neuen Buch, doch erst im Stadium «Notizen». «Fantasie ist nicht alles. Ich fülle vorerst mindestens einen Aktenordner mit Material, das ich studiere, aus dem ich wahllos pflücke.» Eine Vorstellung von ihrer neuen Figur habe sie. Nun suche sie ihr Schicksal zusammen. «Erst wenn ich weiss, wie die Geschichte endet, kann ich beginnen. So weit bin ich noch nicht.» Jedes Buch schaffe seine eigenen Regeln. «Es ist nie Fliessbandarbeit. Ich begebe mich aufs hohe Seil und riskiere den Absturz. Wagemut ist alles.»