«Dass das ‹Rainli› solche Diskussionen ausgelöst hat, war für mich überraschend»

Robert Alberati, gibt es Architekten-Klischees, die tatsächlich zutreffen?
Robert Alberati: (lacht) Sie spielen auf die schwarzen Kleider an?

Zum Beispiel …
Schwarze Rollkragenpullis und runde Brillen, das trifft auf die junge Generation nicht mehr zu. Steht eine Gruppe Architekten beisammen, erkennt man sie offenbar aber immer noch. Vielleicht, weil sie anders in die Gegend schauen als andere Leute, die gebaute Welt kritisch betrachten, wer weiss (lacht).

Wann wussten Sie, dass Sie Architekt werden?
Ich hatte bereits als Kind Freude an allem Visuellen, ich zeichnete und malte gerne und baute mir gerne Hütten. Da meine Schulnoten immer ganz in Ordnung waren, besuchte ich nach der Bezirksschule in Zofingen die Kanti Aarau. Nach der Matur stellte ich fest, dass die Auswahl an gestalterischen Studienberufen ziemlich beschränkt war und entschied mich für eine Ausbildung zum Architekten an der ETH Zürich. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich kaum Berührungspunkte mit Architektur, in meiner Verwandtschaft gab es keine Architekten.

Ist der Architekt ein Künstler, ein Handwerker oder in erster Linie ein Intellektueller?
Ein Künstler ist er auf jeden Fall nicht! Er ist vor allem ein Generalist: ein Gestalter ja, auch ein Analytiker und manchmal ein Psychologe, ein Techniker, ein Kenner der Baustoffe, einer, der das Management von Kosten und Terminen im Griff haben muss. Das alles geschieht vor einem intellektuellen Hintergrund. Das Gestalterische ist leider nicht der Hauptteil der Arbeit eines Architekten, aber das macht sie umso vielfältiger.

Architekten treten ja von Berufs wegen ständig gegeneinander in Projekt-Wettbewerben an. Ist der Architekt ein einsamer Kämpfer?
Das war früher eher der Fall, als viele Büros noch primär von ihrer Führungspersönlichkeit geprägt waren. Heute werden die Architekten vermehrt zu Teamplayern, organisieren sich wie Anwälte oder Ärzte in gemeinsamen Büros – wir haben das jetzt hier ja auch getan. Auch das Architekten-Business ist härter geworden, kaum jemand kann und will noch die ganze Last alleine tragen.

Als Architekt, besonders als junger, steht man vor dem Dilemma, dass man zwar Aufträge braucht, gleichzeitig aber nicht zu viele Kompromisse bei den eigenen Entwürfen eingehen möchte. Wie löst man dieses Problem?
Mit diesem Dilemma ist jeder Architekt konfrontiert, nicht nur die jungen. Ich versuche der Bauherrschaft dann – auch unter Zuhilfenahme von psychologischen und pädagogischen Methoden – zu erklären, warum ich welches Problem wie löse. Was vor einem intellektuell begründbaren Hintergrund geschieht, kann man auch erklären. «Das sieht lässig aus» gehört definitiv nicht in den Kanon meiner Begründungsterminologien.

Ist es schon vorgekommen, dass Sie ein Projekt abgebrochen haben, weil Sie zu stark von Ihren Vorstellungen abweichen mussten?
Ich würde es anders formulieren: Es gab einige wenige Aufträge, die ich von Anfang an dankend abgelehnt habe. Ein grosser Auto-Fan wünschte ein Wohnhaus mit einem Garagenanbau in Form eines mittelalterlichen Türmchens. Ihm war die Garage wichtiger als sein Wohnhaus. Dafür musste er dann einen anderen Architekten suchen (lacht).

Haben sich die Wünsche und Ansprüche der privaten Bauherrschaften in den letzten vier Jahrzehnten grundlegend verändert?
Auf jeden Fall. Generell muss alles grösser, aufwendiger, üppiger werden. Heute wünschen sich viele Kunden statt guter Architektur sogenannte «Erlebniswelten», wie sie sie in Hochglanzmagazinen sehen. Früher baute man Badezimmer und Küchen ein, heute müssen es Wellness- und Gourmet-Oasen sein. Was sich allerdings in den letzten 40 Jahren nicht geändert hat: Die Vorstellungen und Wünsche der Bauherrschaften sind oft – besonders am Anfang eines Projektes – nur bedingt kompatibel mit den zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln.

Der einzelne Mensch braucht heute viel mehr Platz zum Wohnen als früher. Gleichzeitig wächst die Bevölkerung und die Landreserven werden knapper. Was bedeutet das für einen Architekten?
Was passiert, wenn alle ein Einfamilienhäuschen wollen und kein vernünftiges Raumplanungskonzept existiert, sieht man ja gerade im Mittelland sehr deutlich: Irgendwann ist alles komplett verbaut. Eine Antwort auf dieses Problem heisst verdichtetes Bauen. Unser aktuelles Projekt Falkeisenmatte in Zofingen gibt da schon mal einen kleinen Vorgeschmack darauf. Ich habe am Tag der offenen Tür an Bemerkungen im Publikum gemerkt, wie verwöhnt wir hier in Sachen Platz immer noch sind. Was hier Leute als «eng» bezeichnen, ist in grösseren Schweizer Städten längst die Normalität. Da werden wir uns auch hier daran gewöhnen müssen.
Zum verdichteten Bauen gehört auch, in die Höhe zu bauen. In Zofingen existieren ja auch Pläne für Hochhäuser. Ich verstehe einfach nicht so recht, warum man die Höhe von Anfang an auf 35 Meter beschränken will, statt einfach mal unvoreingenommen zu schauen, was es wo vertragen würde.
Das Dilemma der Raumplanung hat zwei Seiten. Erstens ist die Schweiz ein föderalistisches System: Jede Gemeinde versucht mit den gleichen planerischen Mitteln die gleichen Ziele – nennen wir sie ihre Prosperität – zu erreichen. Stattdessen müsste jedoch ein Weg gefunden werden, wie die besonderen Standortqualitäten, sei es als ländliche oder als urbane Gegenden, unter Beachtung einer Gesamtschau entwickelt werden könnten. Zweitens kann jeder Grundeigentümer selber und oft ohne Rücksicht auf öffentliche Interessen entscheiden, was auf seinem Land passiert. Die Städte reagieren nur mit Regelwerken und Kontrollen darauf, statt proaktiv vorzugehen, die Eigentümer zum Dialog an den runden Tisch zu bringen und mit ihnen zusammen verbindliche Bebauungskonzepte zu erarbeiten. Um nachhaltige Lösungen zu finden, müssen Anreize und nicht Baubeschränkungen geschaffen werden.

Anderes Thema: Vor zehn Jahren haben Sie mit der Umgestaltung des «Rainli» ungewöhnlich heftige Diskussionen in Zofingen ausgelöst. Hatten Sie damit gerechnet?
Überhaupt nicht! Der Planungsprozess mit der Stadt und der Altstadtkommission ist überaus harmonisch verlaufen, so dass ich schon sehr erstaunt war, wie einige Leute reagierten. Mein primäres Problem als Architekt bestand darin, dass ich die Stützmauern oben so dick und niedrig abschliessen wollte, dass sie als bequeme Sitzgelegenheiten dienen können. Eigentlich müssten Brüstungen aus Sicherheitsgründen einen Meter Höhe aufweisen, was sie aus meiner Projektidee heraus nicht durften. Erfreulicherweise stützte die Stadt meinen Vorschlag trotzdem und war bereit, das Risiko zu tragen. Einen Zweifel an der architektonischen Gestalt des Rainliprojekts hatte ich aber nie.

Macht es Ihnen manchmal ein wenig Spass, die Zofinger aus der Reserve zu locken?
Ein Provokateur bin ich sicher nicht. Im Gegenteil! Ich bin glücklich, wenn die Leute meine Lösungen für bestehende Probleme nachvollziehen und verstehen können. Ich bin aber auch nicht todunglücklich, wenn gewisse Leute meine Arbeit nicht verstehen. Sie haben ja das «Rainli» angesprochen: Ab einem gewissen Punkt haben mich die teilweise abstrusen Gegenvorschläge und Verbesserungsforderungen von gewissen Leuten ziemlich amüsiert, das gebe ich zu (lacht).

Stellen eigentlich Aufträge für öffentliche Bauten oder die Gestaltung öffentlichen Raumes die Krönung für einen Architekten dar?
Diese Aufträge sind sicher oft herausfordernder. Sie können unzählige Wohnhäuser bauen, aber die Aufgabenstellung wird sich von Auftrag zu Auftrag nicht grundlegend unterscheiden. Vor allem öffentliche Bauten müssen dagegen ganz anderen, oft viel komplexeren Anforderungen genügen. Ich habe ja seinerzeit das Feuerwehrmagazin in Zofingen gebaut. Ein Beispiel für ganz spezifische Anforderungen, die einen als Architekt herausfordern. Ich habe Kirchen, Schulen oder Sportanlagen gebaut. Das sind spannende Aufgaben mit immer wieder anderen Problemstellungen. Auch die Umgestaltung des Rosengartens, gleich hinter der alten Abdankungshalle in Zofingen, war ein sehr spezielles Projekt, zu dem wir ein sehr gutes Konzept gehabt hätten. Leider wurde es letzten Endes verhindert, was mich damals enttäuscht hat. Diesen Park hätte ich sehr gerne realisiert und er hätte der Stadt sehr wohl angestanden.

Sind Sie manchmal stolz, wenn Sie an einem Gebäude vorbeigehen, das Sie gebaut haben?
Stolz nicht, aber vielleicht zufrieden. Manchmal ärgere ich mich aber eher über Dinge an meinen Bauten, die ich heute nicht mehr machen würde …

Können Sie ein Beispiel nennen?
Ich habe das Feuerwehrmagazin ja bereits erwähnt. Der damalige Bauverwalter bestand auf einem Giebeldach, mein Projekt sah aber ein Flachdach vor. Dass ich mich nicht durchgesetzt habe, ärgert mich noch heute ein wenig.

Nach gut 35 Jahren haben Sie nun mit Björn Siegrist und Benedikt Hengartner zwei junge Partner ins Boot geholt. Wollen Sie kürzertreten?
Noch nicht sofort, nein. Von heute auf morgen auszuscheiden und ein Architekturbüro einfach weiterzugeben, das funktioniert nicht. Die Jungen werden sich in den nächsten Jahren das Vertrauen der Leute erarbeiten müssen, und dabei werde ich sie begleiten. Wir werden so als Team die Zukunft des Unternehmens gestalten.

Wie konnten Björn Siegrist und Ben Hengartner Sie überzeugen, dass sie valable Partner sind?
Nun, beide arbeiten seit zwei Jahren bei mir und haben sich ihre Sporen bereits abverdient. Sie konnten Erfahrungen vorweisen, die wir gut brauchen können. Ganz wichtig war mir, dass beide sich mit Zofingen identifizieren können, die Mentalität der Leute kennen und vor allem aus eigener Erfahrung wissen, dass die Arbeit als Architekt abseits der grossen Metropolen auch viele Vorteile bieten kann. Die meisten jungen Architekten träumen vom urbanen Raum und können sich gar nicht vorstellen, worin der Reiz liegt, in einem Städtchen wie Zofingen zu arbeiten und sich einzubringen. Auch hier besteht Bedarf an guter Architektur!

Was können Sie von Ihren jungen Partnern lernen?
Sie zeigen mir, dass die Welt sich ver- ändert und mit ihr auch die Architektur, und dass dies seine Richtigkeit hat, auch wenn nicht immer alles deckungsgleich mit meinen Überzeugungen ist. Es passiert immer wieder, dass ich mit Björn oder Ben einen Entwurf bespreche und dann sage: «Ich würde das zwar ganz anders lö- sen, aber wenn du überzeugt bist von deiner Variante, dann realisiere sie.» Aus meiner Erfahrung weiss ich, dass die 100%ige Überzeugung in das eigene Handeln eine wichtige Grundvoraussetzung dafür ist, zu einer durchdachten und richtigen Lösung zu kommen. Nur wenn man weiss, was man will, kann ein Projekt schlüssig und in allen Belangen richtig zu Ende gedacht werden.

Gibt es eigentlich noch etwas, was sie selber unbedingt bauen möchten?
Da gibt es nichts Spezifisches. Im Moment arbeiten wir an neuen Konzepten für Banken. Das ist spannend, da sich die Funktionen der Finanzinstitute total verändert haben. Morgen wird es vielleicht eine Schule oder ein Rathaus sein. Als Architekt ist man ständig prototypisch unterwegs, das heisst, dass die Aufgaben, die es zu lösen gilt, stets neu und gerade darum äusserst reizvoll sind. Ein wahrer Luxus unseres Berufs! Ich arbeite deshalb einfach weiter an den Aufgaben, die mir anvertraut werden, und für die Menschen, die meine Arbeit schätzen.