«Es war noch nie so wichtig, dass es einen qualifizierten Journalismus gibt»

Herr Wyss, auf einer Skala von 1 bis 10, wie gut ist der Journalismus in der Schweiz?
Das ist natürlich eine tricky Frage, vor allem an einen Wissenschaftler, der immer differenziert. Zunächst wäre es wichtig, dass wir klären, was Journalismus ist. Der kann ja überall stattfinden. Ich nehme aber an, dass Ihre Frage darauf abzielt, dass wir die traditionellen Medienorganisationen wie das Zofinger Tagblatt vor Augen haben.

Genau die meine ich.
Auch das müsste man wieder differenzieren, aber ich mache das Spiel mit und sage: Eine 7. Das ist ein sehr guter Wert. Man kann aber eine solche Zahl nicht stehen lassen, wenn man nicht auch einen Vergleich hat.

Zum Beispiel zu früher?
Es ist ganz klar: Der Journalismus ist besser geworden. Aber auch die Anforderungen an ihn sind gestiegen. Die Frage zu früher ist sinnlos, wenn man nicht berücksichtigt, dass sich die Umstände vollkommen verändert haben. Die Probleme, mit denen der Journalismus heute konfrontiert ist, sind viel grösser, und auch die Komplexität der Welt hat zugenommen. Insofern: Selbstverständlich wurde der Journalismus besser, aber er steht nach wie vor unheimlich grossen Herausforderungen.

Was macht denn guten Journalismus im Jahr 2017 aus?
Es war noch nie so wichtig, dass es einen qualifizierten Journalismus gibt. Das heisst: Eine Institution, die dafür zuständig ist, die Gesellschaft unabhängig zu beobachten, die Komplexität der Gesellschaft mit begründetem Wissen darzustellen und die guten Geschichten an ein Publikum heranzutragen, das verwöhnt ist mit exponentiell wachsenden Angeboten. Aber die relevante Frage ist also nicht, ob der Journalismus besser ist als früher.

Sondern?
Die grosse Frage ist: Was nützt es denn, wenn wir guten Journalismus haben, aber dieser erreicht sein Publikum gar nicht? Heute gibt es Angebote, die es viel besser schaffen, das Publikum zu erreichen – und das muss Sorge bereiten. Wir haben mit der Digitalisierung eine gewaltige strukturelle Veränderung, die sich in drei Punkten auswirkt. Erstens haben wir ein ernsthaftes Finanzierungsproblem des Journalismus. Früher musste man eine Zeitung abonnieren, damit man up to date war und mitreden konnte. Mit der Digitalisierung sind unzählige andere Player in den öffentlichen Vermittlermarkt getreten. Und die Werbewirtschaft geht dahin, wo das Publikum ist.

Lesen Sie dass ausführliche Interview mit Dr. phil. Vinzenz Wyss in der Wochenend-Ausgabe des Zofinger Tagblatts.