St.Galler Regierung will Halt am Flughafen streichen: Zürich, Aarau und Solothurn sehen Direktverbindung bedroht und kündigen Widerstand an

Worum es geht

Die Wiler Politikerinnen und Politiker sind starke Lobbyisten. In ihrem Streben, den Wiler Bahnhof wieder zu einem sogenannten Vollknoten zu machen, haben sie die St.Galler Regierung überzeugt, beim Bund vorstellig zu werden: Während einer Übergangsfrist bis 2035 – also über zehn Jahre lang – sollen die schnellen Intercity-Verbindungen zwischen St.Gallen und Zürich nicht mehr am Zürcher Flughafen halten, sondern in Wil. So könnte die Reisezeit von knapp einer Stunde von St.Gallen nach Zürich erhalten werden.

So lautet die Kritik

Politisch bleibt es in der Ostschweiz nach dem brisanten Antrag der Regierung erstaunlich ruhig. Gegen die Wiler Bestrebungen scheint für Nicht-Wiler Politikerinnen und Politiker nicht einmal zu sprechen, dass für Reisende von und nach St.Gallen die einzige schnelle Verbindung an den Flughafen wegfiele.

Bei Feierabendapéros und hinter vorgehaltener Hand ist hingegen deutlich zu hören, was Hauptstädterinnen von der Idee halten: «Geht’s eigentlich noch? Wollen wir vollends zur Provinz verkommen?», meint etwa eine prominente St.Gallerin, die aus beruflichen Gründen nicht genannt sein möchte. Sie moniert, dass es nicht zusammengehe, zu behaupten, man wolle als Stadt internationaler Bildungs-, Forschungs- und Wirtschaftsstandort sein – und dann stillschweigend Reisende, die vom Flughafen kommen und dahin zurück müssten, in einen «Agglo-Halbbummler» zu stecken, der in Gossau, Uzwil und Flawil auch noch halte. Zumal man bisher flott und schnell an den Flughafen komme aus St.Gallen. «Völliger Unsinn», meint ein anderer.

Noch viel mehr verärgert der Ostschweizer Antrag jedoch westlich von Zürich. Mit der Streichung des Flughafenhaltes fiele für den westlichen Kanton Aargau, aber auch für Solothurn die einzige Direktverbindung an den Flughafen Zürich weg.

Das sagt der Kanton Aargau

«Mit dem Vorschlag aus St.Gallen wird die Direktverbindung von Aarau mit dem Flughafen in Frage gestellt. Die Durchbindungen in Zürich und vor allem auch die Direktverbindungen an den Flughafen von Aarau sind für den Kanton Aargau essenziell und gelten als wichtiger Standortfaktor für die Bevölkerung und die Wirtschaft», sagt Hans Ruedi Rihs, Leiter Sektion öffentlicher Verkehr beim Aargauer Departement Bau, Verkehr und Umwelt, auf Anfrage.

«Die isolierte Inbetriebnahme eines Einzelelementes aus einem stimmigen Konzept wie dies das Angebotskonzept 2035 ist, scheint aus unserer Sicht kein gangbarer Weg, wenn dadurch eine andere Region Nachteile erfahren würde», heisst es weiter. Würde eine solche Direktverbindung mit einem neuen Konzept Richtung Ostschweiz zu Lasten des Kantons Aargau aufs Spiel gesetzt, würde sich der Kanton «vehement dagegen wehren».

In der «Aargauer Zeitung» hatte Rihs zuvor schon zu Protokoll gegeben:

«Es erstaunt uns, wenn eine Region eine ihr zugesagte Verbesserung ihrer Bahnverbindungen durch ein aufwendiges Bauwerk schon zehn Jahre vorher zulasten anderer Regionen realisieren will.»

Das sagt der Kanton Solothurn

Im Kanton Solothurn äussert man sich zurückhaltender, aber mit deutlichem Unterton:

  • «Wir kennen das Angebotskonzept 2035 bezüglich der Fernverkehrslinie IC5 und das Anliegen, dieses vorzeitig umzusetzen.»
  • «Der Kanton Solothurn ist wie die anderen Kantone in die Planung der Bahnausbauschritte und der langfristigen Angebotskonzepte einbezogen.»
  • «Uns ist die direkte Anbindung der Solothurner Bahnhöfe an den Flughafen Zürich ein wichtiges Anliegen. Wir sind zuversichtlich, dass diese weiterhin mit einem adäquaten Angebot bestehen bleibt. »

Dies schreibt das Solothurner Amt für Verkehr und Tiefbau auf Anfrage.

Das sagen die Zürcher

Seitens des Zürcher Verkehrsverbundes (ZVV) heisst es diplomatisch: «Bei diesem Antrag handelt es sich um eine Neukonzeption des Korridors Zürich–St.Gallen mit weitreichenden Auswirkungen (nicht nur Ausfall Halt Zürich Flughafen zu Gunsten von Halt Wil). Von dieser Neukonzeption wäre auch das Angebot der Zürcher S-Bahn in mehreren Bahnkorridoren betroffen. Sowohl die Umsetzbarkeit als auch die Zweckmässigkeit wurden noch nicht untersucht. Eine erste Prüfung erfolgt durch das Bundesamt für Verkehr und die SBB, der ZVV wird erst danach einbezogen. Deshalb können wir zum jetzigen Zeitpunkt keine weiteren Auskünfte geben.»

Das sagt das Bundesamt für Verkehr

In Bern bestätigt Michael Müller, Mediensprecher des Bundesamts für Verkehr, den Eingang der Eingabe der St.Galler Regierung. Der Katalog mit Änderungswünschen werde zurzeit im Hinblick auf ein Übergangskonzept bis zu den nächsten Ausbauschritten des SBB-Netzes geprüft.

St.Gallen sei beim Anbringen von Wünschen für SBB-Fahrplan und -Verbindungen stets «sehr aktiv bemüht», wobei es noch andere Regionen gebe, die jeweils «früh lobbyierten». Die Prüfung der St.Galler Wünsche sei schon relativ weit fortgeschritten. Voraussichtlich bis Herbst sei mit einer Antwort zu rechnen. Der Sprecher weist darauf hin, dass in diesem Prozess auch die anderen Regionen angehört würden, und es gelte, die verschiedenen Interessen bestmöglich zu berücksichtigen. Auch Güterverkehr und S-Bahn-Verbindungen spielten dabei eine Rolle. Wobei natürlich alle Anliegen «stets willkommen» seien.

Das sagen böse Zungen

Aus dem St.Galler Politbetrieb ist immer wieder zu hören, die Wiler Interessen würden von den einschlägigen Kantonsrätinnen und -räten wählerträchtig, aktiv und lautstark bewirtschaftet. Doch auch in der St.Galler Regierung hätten Wiler Anliegen einen guten Stand. Hier die Wohnorte der aktuellen Regierungsrätinnen und -räte:

  • Zuzwil (Marc Mächler, FDP, Regierungspräsident/Finanzen)
  • Wil (Susanne Hartmann, CVP/Bau)
  • Bronschhofen (Stefan Kölliker, SVP/Bildung) 
  • Gossau (Bruno Damann, CVP/Gesundheit)
  • St.Gallen (Fredy Fässler, SP/Sicherheit&Justiz)
  • St.Margrethen (Laura Bucher, SP/Inneres, Soziales&Kultur)
  • Azmoos (Beat Tinner, FDP/Volkswirtschaft)

Die Region Fürstenland-Wil ist stark vertreten und geniesst theoretisch sogar eine Mehrheit. Es ist jedoch davon auszugehen, dass der Regierungsrat stets die Anliegen des gesamten Kantons im Auge behält.