
Aargauer Regierung warnt vor Agrar-Initiativen: «Ein Experiment, dessen Ausgang nicht vorhersehbar ist»
Der Abstimmungskampf über die beiden Agrar-Initiativen ist in vollem Gange. Die Stimmung ist aufgeladen. Plakate von Befürworterinnen und Gegnern werden mutwillig zerstört, die Initiantin der Trinkwasser-Initiative erhält Morddrohungen. In rund drei Wochen, am 13. Juni, entscheidet die Stimmbevölkerung an der Urne.
Die Aargauer Regierung empfiehlt, wie Bundesrat und Parlament, die beiden Initiativen abzulehnen. Landwirtschaftsdirektor Markus Dieth (Die Mitte) ist Teil des kantonalen Nein-Komitees.
43 Prozent der Kantonsfläche werden landwirtschaftlich genutzt
Die beiden Initiativen hätten eine «hohe Relevanz» für den Kanton Aargau und «weitreichende und schädliche Folgen für die Land- und Ernährungswirtschaft», schreibt die Regierung in ihren Antworten auf mehrere Interpellationen, die sowohl von Gegnern als auch Befürwortern der Initiativen eingereicht wurden.

Landwirtschaftsdirektor Markus Dieth engagiert sich im kantonalen Nein-Komitee.
Der Kanton Aargau gehört zu den fünf wichtigsten Agrarkantonen in der Schweiz. 43 Prozent der Fläche des Kantons Aargau werden landwirtschaftlich genutzt. Der Produktionswert im Jahr 2020 betrug 730 Millionen Franken.
Führt ein Ja zu mehr Biobetrieben?
Wird die Trinkwasser-Initiative angenommen, würden nur noch jene Landwirtschaftsbetriebe Subventionen erhalten, die auf den Einsatz von Pestiziden, vorbeugend oder systematisch verabreichte Antibiotika und zugekauftes Futter verzichten.
Eine Annahme der Trinkwasser-Initiative würde laut Regierung mehr als 95 Prozent der Betriebe im Aargau betreffen, die heute Direktzahlungen erhalten. Darunter auch Biobetriebe. Denn auch im Biolandbau würden Pflanzenschutzmittel eingesetzt und auch Biobetriebe würden Futter zukaufen.
Der Regierungsrat stuft die Initiative als «Experiment» ein, «dessen Ausgang und Auswirkungen auf die Umwelt nicht vorhersehbar sind». Wie viele Betriebe bei einem Ja ihren Betrieb tatsächlich umstellen würden, um weiterhin Subventionen zu erhalten, sei «schwer abschätzbar», schreibt der Regierungsrat.
Er geht davon aus, dass spezialisierte Ackerbau-, Obst-, Gemüse- und Weinbaubetriebe, die den Betrieb nach einem Ja nicht umstellen, eher mehr als weniger Pestizide einsetzen werden als heute, um mögliche Anbaurisiken zusätzlich zu minimieren.
Betriebsgemeinschaften als Lösung für das Futterproblem
Die Futterregelung bezeichnet der Regierungsrat als «sehr einschneidende Massnahme». Die spezialisierten Schweine- und Geflügelbetriebe würden eher auf die Direktzahlungen verzichten, als die Tierhaltung aufgrund fehlender Futterbasis aufzugeben, vermutet die Regierung. Nur so könnten sie die hohen Stallbauinvestitionen amortisieren.

GLP-Grossrat Gian von Planta (ganz links) engagiert sich im liberalen Komitee Aargau für die Trinkwasser-Initiative.
Der Grossrat und Initiativbefürworter Gian von Planta weist in seiner Interpellation darauf hin, dass gemäss Initiativtext Futter und Hofdünger in regionalem Rahmen zugekauft oder Betriebsgemeinschaften gebildet werden könnten. Der Grünliberale fragte die Regierung, ob sie nicht davon ausgehe, dass die Betriebe im Aargau innovativ genug seien, um innerhalb der achtjährigen Übergangsfrist solche Gemeinschaften zu bilden.
Das sei «durchaus denkbar», schreibt die Regierung. In welchem Umfang diese Möglichkeit genutzt würde, sei aber schwer abschätzbar.
Risiko von Schäden nimmt zu
Die Pestizid-Initiative will den Einsatz von synthetischen Pestiziden in der Landwirtschaft verbieten. Der Regierungsrat schätzt, dass rund 90 Prozent der Aargauer Betriebe von diesem Verbot direkt betroffen wären.
Bei einem vollständigen Verbot werde das Risiko von Schäden durch Schädlinge und Krankheiten zunehmen, schreibt die Regierung.
«Entsprechend sind Verluste von Ertrag und Qualität sowie Mehraufwände bei der Produktion und Verarbeitung zu erwarten.»
Gewisse Produkte wie zum Beispiel Spinat, Bundzwiebeln oder Schnittsalate könnten kaum mehr mit einem vertretbaren Aufwand angebaut werden. Insgesamt würde das Verbot die Versorgung der Schweizer Bevölkerung mit Lebensmitteln aus der Region schwächen.
Der Regierungsrat räumt aber auch ein, dass die Züchtung robuster Sorten ein Teil dieser Problematik auffangen könnte. Auch beim Vorratsschutz für Lebensmittel gebe es Alternativen. Allerdings seien diese kosten- und zeitintensiver als die Anwendung synthetischer Biozide. «Entsprechend würde sich neben der Produktion auch die Verarbeitung verteuern», so der Regierungsrat.
Pestizide belasten Gewässer im Aargau
Der Regierungsrat sieht aber auch Vorteile eines Pestizidverbots. Fakt ist: Die biologisch wirksamen Stoffe in Pflanzenschutzmitteln können unerwünschte Auswirkungen haben. Untersuchungen in kleinen und mittelgrossen Gewässern im Aargau zeigen laut Regierung «Belastungen durch verschiedene Pflanzenschutzmittel».
Mit einem Pestizidverbot würden sich die Risiken bezüglich Trinkwassersicherheit verringern, so der Regierungsrat. Und einwandfreies Trinkwasser sei ein «unentbehrliches Lebensmittel» sowohl für Privatpersonen als auch für Lebensmittelproduktionsbetriebe. Trotzdem findet der Regierungsrat, dass die Risiken mit den bestehenden Instrumenten wie beispielsweise dem Nationalen Aktionsplan Pflanzenschutzmittel genügend gesenkt werden.
Bei einem Ja würde die Regierung die Forschung vorantreiben
Würde die Pestizid-Initiative am 13. Juni angenommen, könnte sich der Regierungsrat vorstellen, die Forschung bezüglich Vorratsschutz voranzutreiben. Dabei würde er mit dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL), dem Landwirtschaftlichen Zentrum Liebegg und den Fachhochschulen zusammenarbeiten.