Abtretender Berufsschul-Rektor: «Ich wehre mich immer gegen die Behauptung, die Jugendlichen seien dümmer geworden»

In der Berufsschule Aarau (bsa) herrscht kurz vor den Sommerferien immer eine besondere Stimmung. Eine Mischung aus Anspannung, Erlösung und Vorfreude. Paul Knoblauch erlebt sie heuer zum letzten Mal. Bald wird der Rektor sein Büro im ersten Stock mit Blick auf den Telliring räumen und das Zepter an Margret Baumann übergeben. Der Frühpensionierte wird eine gut funktionierende Schule zurücklassen, deren «positiver Geist» er lobt. «Es ist ein Privileg, eine so sinnvolle Institution leiten und prägen zu dürfen», sagt er. «Zumal Berufsbildung politisch nicht bestritten wird – links bis rechts findet sie gut, auch wenn man sich über Details nicht immer einig ist.»

Als Militärbeobachter in Syrien – samt Familie

Paul Knoblauch ist kein Ur-Aarauer, aber fast. In Oberentfelden aufgewachsen, lebt er schon seit 30 Jahren in der Hauptstadt. Mit ihr fühle er sich verbunden, sagt er. Er war im Vorstand der Offiziersgesellschaft, in der Kirchenpflege, Mitglied des KTV, Zunftmeister der Heinerich-Wirri-Zunft, und auch heute noch vielerorts engagiert, etwa für die Schlossmühle.

Dass er in Aarau bleiben würde, war nicht vorgesehen «Nach dem Phil-I-Studium wollte ich zu einem Grosskonzern mit Hauptsitz in London und Niederlassungen in Hongkong und Buenos Aires – und landete bei der Aargauischen Kantonalbank mit Zentrale in Aarau Filialen in Rothrist oder Birr-Lupfig», sagt er und lacht. In der Personalabteilung war er für die Aus- und Weiterbildung zuständig, und da zog es ihn hinein ins Bildungswesen.

Seinen einstigen Traum, fürs Rote Kreuz zu arbeiten, lebte er Ende der 1990er-Jahre in abgewandelter Form aus: Der Major ging für je ein halbes Jahr als Militärbeobachter nach Syrien und Nordisrael – samt Frau und den kleinen Söhnen. «Das war eine sehr spannende Erfahrung. Es macht demütig, wenn man realisiert, welch kleines Rädchen man ist.»

Er wurde innert Kürze Konrektor

Zurück in der Schweiz, wechselte Knoblauch als Adjunkt zum kantonalen Bildungsdepartement, wo er in der Umsetzung eines Förderprogramms des Bundes für mehr Lehrstellen beteiligt war. 2002 machte er das Lehrerseminar, wechselte an die bsa und wurde innert Kürze Konrektor. Das blieb er, bis Rektor Ueli Meyer 2016 aufhörte. Dann war Paul Knoblauch am Zug. 3100 Schülerinnen und Schüler (inklusive Berufsmatur), 160 Mitarbeitende Stand: Juni 2021.

Paul Knoblauch 2016 an einer Podiumsdiskussion. Bild: Mario Heller
Paul Knoblauch 2016 an einer Podiumsdiskussion. Bild: Mario Heller

 

Baulich hatte die bsa gerade eine Transformation hinter sich – unter Knoblauch entstand nur noch die Indoor-Sprintanlage -, dafür trieb der neue Rektor die Digitalisierung voran. Zum Glück. Just, als Corona kam, war die Schule bereit. «Wir konnten sofort loslegen», sagt der Rektor nicht ohne Stolz. Sowieso sieht er durchaus positive Entwicklungen aus der Krise heraus: «Die Lehrpersonen mussten ihren Unterricht umdenken – es reicht ja nicht, nur die richtigen Knöpfe zu drücken. Daraus ist eine lustvolle Auseinandersetzung mit den neuen, digitalen Unterrichtsmöglichkeiten entstanden. Das war zwar Mehrarbeit, aber eine Bereicherung.»

Bis heute hat Knoblauch immer auch selber unterrichtet. Geschichte für eine Berufsmaturitätsklasse. Er begann immer mit der Aufklärung; als Basis, um alle späteren Geschehnisse in ihrem Kern verstehen zu können. «Ich fand, es tue mir gut, im direkten Kontakt mit den Lernenden zu sein, die digitale Entwicklung mitzumachen und auch meine eigenen Anordnungen umsetzen zu müssen.»

Jugendliche brauchen Konsequenz und Nachsicht

Man merkt dem Rektor an, dass ihm die Jugendlichen am Herzen liegen. «Sie brauchen Führung und Wohlwollen – man muss konsequent sein, aber auch einmal ein Auge zudrücken können, selbst wenn das wie ein Widerspruch klingt.» Überhaupt seien die Jugendlichen heutzutage «im Grossen und Ganzen sehr angepasst», findet er. «Ich wehre mich immer gegen die Behauptung, sie seien dümmer geworden. Das ist falsch. Grundkompetenzen wie Lesen, Rechnen und Schreiben waren und sind wichtig; ohne einen Dreisatz sind sie in der Lehre verloren. Heute sind ausserdem Handlungskompetenzen, also ein umfassendes Verständnis für den Beruf, in den Vordergrund gerückt.»

Er rät Eltern zu mehr Gelassenheit

Sorgen machen Knoblauch die zunehmenden Ansprüche an die Lerninhalte. «Man kann nicht in eine dreijährige Lehre packen, was kaum in eine fünfjährige passen würde. Damit man die Berufe weiterentwickeln kann, darf man keine Angst davor haben, alte Zöpfe abzuschneiden.» Gleichzeitig müsse man aufpassen, dass bei den immer komplexer werdenden Berufen auch für die Schwächeren noch etwas Passendes bleibt.

Dass sich die Lehrstellenkrise aus den 2000-ern behoben hat und nach wie vor etwa zwei Drittel der Schulabgänger eine Lehre machen, führt Knoblauch unter anderem auf die Durchlässigkeit der Bildungsgänge zurück. Berufsattest, Fähigkeitszeugnis, Berufsmatur, Passerelle, Studium – der Weg, den man als Teenager einschlägt, ist keine Einbahnstrasse mehr. Deshalb rät Knoblauch Eltern von Schulabgängern auch zu mehr Gelassenheit: «Man muss nicht mehr mit 15 den Beruf des Lebens lernen.» Eltern sollten die Jugendlichen das machen lassen, was ihnen Freude bereite, und nicht das, was ideal für die Karriereplanung sei. «Schauen, wo das Wasser hinfliesst», nennt er das. Und es gebe ja die Berufsmatura als «wunderbare Ergänzung» zu jeder Lehre, mit der später sehr viele Türen offen stünden.

Und jetzt? Zuerst mal die Garage aufräumen

Welche Türen Paul Knoblauch als nächstes aufstösst? Er geht mit 61 Jahren. Und hat noch keine konkreten Pläne. Doch, einen: «Die Garage muss ich aufräumen.» Danach werde er aber sicher nicht nur noch auf Kreuzfahrt gehen. «Ich fühle mich noch überhaupt nicht alt. Gerne werde ich in irgendeiner Form Freiwilligenarbeit leisten; vielleicht auch im Ausland.»

Möglich also, dass Knoblauch einst wieder irgendwo Entwicklungshilfe leistet. Wie bei den zwei Gelegenheiten, als er im Kosovo und in der Westbank die Schweizer Lehre vorstellen durfte. «Es ist gar nicht so einfach, in anderen Ländern ein fundamentales Verständnis dafür zu wecken. Bei uns ist die Tradition der Berufsbildung aus den Zünften heraus über Jahrhunderte gewachsen. In manchen Ländern muss man der Bevölkerung erst beibringen, dass eine Lehre nicht etwas für Randständige ist, die nicht studieren gehen können, sondern eine echte Alternative, um Karriere machen zu können.»