
Adrian Schmitter: «Spitex-Stützpunkte bleiben bestehen»
Ein bettlägeriger Mann muss daheim umgelagert werden. Nach einer Operation braucht eine Frau drei Mal täglich eine Wundversorgung und bei einer älteren Dame gilt es, ihre Medikamenteneinnahme zu überprüfen. Diese verschiedenen Aufgaben bewältigen täglich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Spitex. Je nach Leistungsvertrag muss die Spitex ihre Dienstleistungen rund um die Uhr anbieten. Zudem sind Angebote wie Kinder-, Psychiatrie- oder Onkologie-Spitex gefragt. Die Anforderungen steigen und kleine Spitex-Vereine stossen oft an ihre Grenzen. So kommt es in den letzten Jahren zu immer mehr Zusammenschlüssen von Vereinen. Ein weiterer Trend ist die Bildung einer Aktiengesellschaft wie die Spitex Region Brugg AG und die Spitex Fricktal AG. Eine Fusion zu einer gemeinnützigen AG streben auch die Vorstände der Spitex-Vereine Strengelbach-BrittnauVordemwald, Murgenthal, Oftringen, Rothrist, Zofingen und Aarburg an. Doch was bringt die Fusion den Gemeinden? Was hat sie für Folgen für die Angestellten und die Klienten? Und wie siehts mit den Kosten aus? Adrian Schmitter hat darauf Antworten. Der 58-jährige CEO des Kantonsspitals Baden ist Gemeinderat von Rothrist und in dieser Funktion Mitglied der Steuerungsgruppe Koordination Pflegegesetz des Regionalverbands zofingenregio.
Adrian Schmitter, weshalb befürworten Sie als Gemeinderat von Rothrist diese Spitex-Fusion?
Adrian Schmitter: Es gibt mehrere Gründe. Einer der Hauptpunkte ist, dass wir im Gesundheitswesen sehr grosse Herausforderungen haben durch die älter werdende Gesellschaft verbunden mit den steigenden Kosten. Wenn wir nichts verändern, steigt der Bedarf an Pflegeheimbetten in den nächsten 25 Jahren um mehr als das Doppelte an. Im Jahr 2040 werden in unserer Region fast zweieinhalbmal so viele 80-Jährige und ältere Menschen leben. Diese Entwicklung verlangt nach professionellen Organisationsstrukturen und Abläufen.
Was heisst das für die Gemeinden?
Dass im Gebiet von zofingenregio neu zusätzlich 750 Pflegeheimbetten mit Investitionskosten von über 210 Mio. Franken gebaut werden müssten. Zusätzlich würden 250 Pflegende benötigt, die auf dem Arbeitsmarkt gar nicht vorhanden sind. Für die Gemeinden würde dies zusätzliche Kosten von 900 Franken pro Einwohner betragen. Für eine Gemeinde mit 8000 Einwohnern würde dies Kosten von 7,2 Mio. Franken bedeuten. Das ist für die Gemeinden in der Region Zofingen nicht tragbar.
Die Fusion zur Spitex Region Zofingen AG spart also Kosten?
Sie ermöglicht, dass im stationären Pflegebereich kein Ausbau erfolgen muss, da durch ein vergrössertes Spitex-Angebot mehr Menschen zu Hause betreut werden können. Somit können Kosten eingespart werden. Zudem sind im administrativen, organisatorischen Bereich der Spitex weitere Einsparungen möglich. Die Erfahrungen in Brugg haben gezeigt, dass es namhafte Beträ- ge sind. Zofingenregio hat eine Vergleichsrechnung mit bestehenden regionalisierten Spitex-Organisationen aufgestellt. Es wird damit gerechnet, dass der Aufwand pro verrechnete Stunde um 10 Prozent sinken dürfte. Der Mittelwert liegt bei 7,5 Prozent. Weil die Spitex in Zukunft mehr Dienstleistungen anbieten muss, rechnet der Verband mit einem zusätzlichen Effizienzgewinn. Grundsätzlich führt die Fusion zu einer Kostensenkung im Gesundheitsbereich.
Was sind Ihre weiteren Punkte?
Wir haben einen Mangel an Fachkräften. Für die Spitex-Organisationen benötigen wir aber bestens ausgebildete Fachpersonen, die wir in kleinen Strukturen je länger, desto schwieriger finden können. Ein weiterer Punkt ist, dass kleine Organisationen die gesetzlich vorgeschriebenen Dienstleistungen gar nicht mehr erbringen können. Dazu gehören die Spezialangebote der Kinder-, Onko- und Psychiatriespitex, die Ausbildungsverpflichtung für Pflegefachkräfte und die Sicherstellung der gemeinwirtschaftlichen Leistungen. Insbesondere die Ausbildungsverpflichtung ist kaum zu leisten, da sie keine Lernenden finden, die in Organisationen mit beschränktem Leistungsangebot diesen Beruf erlernen wollen. Wenn die Ausbildung nicht gewährleistet werden kann, muss dem Kanton ein Malus in dreifacher Höhe der Ausbildungskosten bezahlt werden.
Werden die zusätzlichen Spitex-Angebote in unserer Region benötigt?
Ja, die Nachfrage und der Bedarf sind heute schon da. Zu bedenken gilt, dass bei einem Zusammenschluss eine der grössten Spitex-Organisationen, mit einem Einzugsgebiet von rund 50000 Einwohnern, entstehen würde. Von daher ist es möglich, dass der Bedarf für diese gesetzlich vorgeschriebenen Spezialangebote vorhanden ist und dementsprechend finanziert werden kann.
Welche Erfahrungen machen Sie als CEO des Kantonsspitals Baden mit Spitex-Grossorganisationen?
Die Nachbetreuung des Patienten zu Hause wird vor dem Spitalaustritt organisiert. Für das Kantonsspital Baden verläuft der Kontakt und Austausch mit den zusammengeschlossenen SpitexOrganisationen, die eine professionelle Führungsstruktur haben, einfacher. Wenn ich eine professionelle Anlaufstation in der Spitex habe, können alle Fragen schneller, kompetenter und verbindlicher geregelt werden. Die Administration kleinerer Spitex-Organisationen ist teilweise nur halbtags erreichbar. Das kann bedeuten, dass ein Patient ohne Spitex-Leistungen heim muss oder wir Patienten noch länger im Spital behalten müssen. Notabene gibt es dafür keine zusätzliche Entschädigung, der Aufwand steigt für das Spital und der Patient ist unzufrieden. In der konkreten Absprache und Koordination mit der Spitex Brugg, die seit fünf Jahren in einer Aktiengesellschaft zusammengeschlossen ist, spüren wir eine massive Verbesserung.
Welche Vorteile bringt eine Fusion den Gemeinden, konkret Rothrist?
Nicht nur Rothrist, sondern alle Gemeinden können mit dem Zusammenschluss die zunehmende, grosse Verantwortung an eine professionelle Spitex-Organisation abgeben. Die Komplexität im Bereich Finanzen, Controlling, Personelles, Informatik und Qualität nehmen zu. Dieses Fachpersonal wird für den Betrieb einer Spitex benötigt, hingegen benötigt nicht jede Spitex dafür eigenes Personal. Die Gemeinden profitieren, dass sich die Kosten pro geleistete Stunde reduzieren und dies wirkt sich auf die Gemeindeausgaben und die Restkosten aus. In Rothrist sind wir mit unserer mittelgrossen Spitex-Organisation gut unterwegs. Trotzdem haben auch wir Probleme, unsere Ausbildungsplätze besetzen zu können. Die gesetzlich verlangten Spezialangebote wie Kinder-, Psychiatrie- und Onkologie-Spitex müssen wir einkaufen. Wir haben aber nie die Sicherheit, ob die Fachpersonen verfügbar sind. Bei einem grösseren Zusammenschluss können wir die Verfügbarkeit einfacher sicherstellen.
Bleibt das Mitspracherecht?
In der Vergangenheit haben sich die Gemeinden nur sehr rudimentär um die Spitex gekümmert. Oft war der Vertreter der Gemeinde im Spitexvorstand ein vollkommener Laie und hat sich in keiner Art und Weise aktiv eingebracht. In der neuen Struktur wird die unmittelbare Einflussnahme zwar beschränkt. Hingegen kann die Gemeinde über die Erteilung oder den Entzug des Leistungsauftrages und der Eigentü- merstrategie an der Generalversammlung der Aktiengesellschaft Einfluss nehmen. Vor allem aber entsendet sie kompetente Persönlichkeiten in den Verwaltungsrat der neuen Spitex AG, die die Geschicke strategisch lenken und steuern werden.
Was sind die Folgen für die Spitex-Angestellten und die Stützpunkte?
Die Reorganisation findet vor allem im administrativen Bereich statt. Alle Spitex-Stützpunkte bleiben bestehen, denn die Mitarbeitenden müssen vor Ort, nah beim Patienten, stationiert sein, ansonsten steigen die ungedeckten Kosten an. Wir sind auch weiterhin auf alle Pflegefachleute angewiesen. Im Pflegebereich müssen wir nicht sparen, sondern in der Administration und Koordination. Insbesondere wollen wir unsere gut ausgebildeten Pflegefachleute nicht mehr die administrative Arbeit machen lassen, sondern sie wieder möglichst in ihrem Fachgebiet, der Patientenbetreuung, einsetzen können. Das ist für alle eine Win-win-Situation, vor allem können wir den Mangel an Fachkräften etwas ausgleichen. Im Bereich der Administration können Veränderungen nicht ausgeschlossen werden. Bei der Spitex Rothrist ist es zum Beispiel so, dass unsere langjährige Finanzverantwortliche pensioniert wird. Somit können einige Veränderungen durch natürliche Abgänge gelöst werden.
Was, wenn nicht alle Gemeinden der Fusion zustimmen?
Aarburg hat sich bereits gegen einen Zusammenschluss entschieden und sucht eine eigene Lösung. Es darf erhofft werden, dass der Zofinger Einwohnerrat sowie auch die Gemeindeversammlungen in Rothrist, Vordemwald und Murgenthal dem neuen Konstrukt zustimmen. Wenn Brittnau, Strengelbach und Oftringen ebenfalls Ja sagen, ist es super. Wenn nicht, können sie zu einem späteren Zeitpunkt aufgenommen werden.
Steht der Hauptsitz schon fest?
(Lacht) Nein. Zuerst wollen wir wissen, welche Gemeinden mitmachen. Ab Anfang nächsten Jahres laufen dann die Vorbereitungen, das heisst unter anderem den Leistungsauftrag, den Kostenschlüssel, den Aktionärsbindungsvertrag, den Verwaltungsrat und den Hauptsitz bestimmen. Vorgesehen ist, dass die neue Spitex-Organisation am 1.1.2019 starten kann. Ob sie Spitex Region Zofingen AG heisst, gilt es auch noch zu entscheiden.
Zur Person
Der in Rothrist aufgewachsene Adrian Schmitter ist Jurist und Ingenieur und war als Generalsekretär im Gesundheitsdepartement des Kantons Aargau tätig. Seit drei Jahren führt der 58-Jährige als CEO die Kantonsspital Baden AG mit 2500 Angestellten. Davor leitete er vier Jahre das Spital Emmental. Seit 2013 ist er für die SVP im Gemeinderat Rothrist. Von Amtes wegen ist der neu gewählte Vizeammann im Vorstand der Spitex Rothrist, Verwaltungsratspräsident des Pflegeheims Luegenacher AG und Mitglied der Steuerungsgruppe Koordination Pflegegesetz des Regionalverbands zofingenregio.