Alkohol-Abstimmung: Migros-Insider befürchtet «Glaubenskrieg » – erste Umfrage zeigt ein klares Bild

Die verbotene Liaison der Migros mit alkoholischen Getränken erhitzt seit Jahren die Gemüter. Nun hat die Detailhändlerin die Debatte neu entfacht. In ihrer Hauszeitschrift gab sie bekannt, dass am kommenden Samstag die Delegiertenversammlung der Genossenschaft erste Weichen für eine entsprechende Statutenänderung stellen könnte. Frühestens 2023 wäre dann der Verkauf von Wein und Bier in den Migros-Supermärkten möglich.

Das Vorgehen ist in der Migros umstritten. «Diese Büchse hätte man nicht auftun sollen», sagt ein Insider. «Gibt es am Samstag ein Ja, wird ein komplizierter Prozess losgetreten, der etwa zwei Jahre dauert. Die Medien werden die Alkohol-Frage dauernd thematisieren, das wirkt lähmend.» Die Migros habe ganz andere Herausforderungen als das. Vor allem aber, so sagt er:

«Die Debatte führt zu einer Spaltung, ja zu einem Glaubenskrieg bei Angestellten und Genossenschaftern. Ein solcher Krieg bringt nur Verlierer hervor.»

Der gut vernetzte Insider erwartet, dass an der Basis etwa 60 Prozent für und 40 Prozent gegen die Aufhebung des Alkoholverbots sind. Er erlebe, dass die jüngere Generation kein Verständnis mehr für das Verbot habe. Die Gewichte hätten sich verschoben, doch die Verhältnisse seien knapp. «So oder so: Die verlierende Minderheit wird gross sein, und das wird auch die knappe Mehrheit nicht glücklich machen.»

Nicht der Migros-Basis, aber den Leserinnen und Lesern von CH Media wurde schon mal der Puls gefühlt. In einer Umfrage auf allen Zeitungsportalen des Verlags wurde die Frage gestellt, ob die Migros künftig Alkohol verkaufen soll. Über 3700 Personen nahmen innert 24 Stunden daran teil. Das nicht repräsentative Resultat: 65 Prozent, also zwei Drittel der Umfrageteilnehmenden antworteten mit «Nein, definitiv nicht». Gerade mal 27 Prozent würden den promillehaltigen Paradigmenwechsel beim orangen Riesen begrüssen. 8 Prozent sind unentschlossen.

Regionale Unterschiede möglich

Fabrice Zumbrunnen, Chef des Migros-Genossenschaftbunds, ist gegen den Alkohol-Verkauf in Migros-Supermärkten.

Fabrice Zumbrunnen, Chef des Migros-Genossenschaftbunds, ist gegen den Alkohol-Verkauf in Migros-Supermärkten.

Severin Bigler

Interessant: Selbst Migros-Chef Fabrice Zumbrunnen lehnte bei seinem Amtsantritt 2018 auf Frage dieser Zeitung, den Alkohol-Verkauf in Migros-Supermärkten kategorisch ab.

Der Weg ist so oder so noch weit. Auch wenn die Delegiertenversammlung der Migros am Samstag dem Antrag von fünf Delegierten zustimmt, sind weitere Abstimmungen nötig, und zwar je nach dem in allen zehn regionalen Genossenschaften. Mit dem möglichen Resultat, dass am Schluss die Migros Waadt Wein verkaufen könnte, die Migros Ostschweiz oder Aare hingegen nicht. So weit dürfe es auf keinen Fall kommen, sagt der erwähnte Migros-Insider. Der Röstigraben sei nicht zu unterschätzen. In der Romandie geniesst die Aufhebung des Verbots grössere Zustimmung als in der Deutschschweiz, das zeigte bereits eine Konsultativ-Abstimmung der Migros in den 1980er-Jahren.

Wie stark ist Duttweilers Idee?

Mario Bonorand

Mario Bonorand

Zvg / Aargauer Zeitung

Ex-Migros-Finanzchef Mario Bonorand gab kürzlich gegenüber dieser Zeitung dem Alkoholverkauf keine grosse Chance: «Das kann ich mir nicht vorstellen. Es ist ja auch nicht das erste Mal, dass diese Idee auf den Tisch kommt, das gab es in der Vergangenheit immer mal wieder. Manche Leute möchten halt alte Zöpfe abschneiden.»

Die Ideen und Werte von Gottlieb Duttweiler seien noch immer sehr stark, sagt Bonorand, der einst auch Globus-Chef war. «Vom Kulturprozent bis hin zur demokratischen Genossenschaft – und eben auch dem Verzicht auf Alkohol und Tabak». Viele Delegierte sähen sich als Wächter von Duttweilers Vision.

It’s the Romandie, stupid!

Dennoch möchte Bonorand den Tabubruch nicht völlig ausschliessen: «Weil die letzten Jahre nicht immer einfach waren, kann ich mir durchaus vorstellen, dass das Alkohol-Ja-Lager grösser geworden ist.» Vor allem Genossenschaften wie jene im Wallis, wo es viele Weinbauern gibt, könnten laut Bonorand möglicherweise dafür sorgen, dass ihre Delegierten dem Antrag bei der Abstimmung im November wohlgesonnen sein werden.

Der Ex-Manager schätzt, dass die Migros mit dem Alkoholverkauf 1,5 bis 2 Milliarden Franken mehr Umsatz generieren könnte. «Der Imageschaden und Renommee-Verlust bei der treuen Kundschaft wären hingegen grösser. Der Alkoholverzicht ist ein Heiligtum!»