
«Als Gemeinderat ist man heute auf gut Deutsch gesagt der Anseichpfosten»
Alois Spielmann (66) sass für die CVP 20 Jahre im Gemeinderat von Aarburg. Zur Erneuerungswahl ist er nicht mehr angetreten, Ende Jahr endet seine politische Karriere. Im Interview blickt er auf seine Zeit als Gemeinderat zurück, die er nun gerne hinter sich lässt. Der Finanzvorsteher nimmt zudem Stellung zur von der Exekutive beabsichtigten Schliessung der Stadtbibliothek, der Infragestellung der Badi und den Sparabsichten allgemein.
Alois Spielmann, verstehen Sie den Ärger, den die neu bekannt gewordenen Sparbemühungen auslösen?
Alois Spielmann: Ja, und ich bin grundsätzlich froh, wenn man mit offenen Augen diskutiert. Der Gemeinderat hat geprüft, welche Ausgaben gesetzlich vorgegeben sind und welche nicht. Die Bibliothek ist keine gesetzliche Aufgabe. Dem Entscheid, sie zu schliessen, gingen intensive Diskussionen voraus. Ganz so dramatisch, wie sich die Leute das vorstellen, wird es nicht.
Was meinen Sie damit?
Es gibt Varianten wie eine Zusammenlegung mit den Schulbibliotheken, eine Online-Bibliothek oder Schulterschlüsse mit anderen Gemeinden. Der Gemeinderat wird noch kommunizieren, welche Anschlusslösung er realisieren möchte. Entschieden ist noch nichts.
Geht der Gemeinderat mit diesen Sparabsichten nicht zu weit?
Wir haben uns wirklich intensiv damit auseinandergesetzt, wie Aarburgs Finanzen saniert werden können. Vor unserer eintägigen Klausur haben alle Abteilungen die möglichen Sparposten zusammengetragen. Vieles wollten wir nicht streichen, zum Beispiel den Gratis-Blumenstrauss für Paare, die sich bei uns trauen lassen. Oder das Heimatmuseum, weil dieses nicht allein von der Gemeinde finanziert wird. Unser Grundsatz ist: Wir wollen nachhaltig sparen und nicht an etlichen kleinen Posten schrauben. Und wir wollen keine wichtigen Investitionen vor uns herschieben. Man kann natürlich sagen, dass man die Bibliothek, um nochmals dieses Beispiel zu nehmen, auch günstiger betreiben könnte. Dann wären wir in drei, vier Jahren aber wieder am selben Punkt. Der Gemeinderat sagt: Wenn wir es machen, dann richtig.
Die Badi wird ebenfalls infrage gestellt. An der Budgetgmeind von Ende November geht es um einen Planungskredit, um zu sehen, was die überfällige Sanierung kosten würde. Würde dieser abgelehnt, wäre es das Aus für das Nostalgiebad …
Die Badisanierung steht seit 20 Jahren auf dem Investitionsplan. Sie kann nicht mehr länger warten. Wer die Badi nicht mehr will, kann schon jetzt den Planungskredit ablehnen. Dann müsste sie wohl aber in naher Zukunft schliessen. Geben wir sie auf, sparen wir jährliche Betriebskosten von 150000 Franken und die schätzungsweise fünf bis sechs Millionen für die Aufwertung.
Bei der Bibliothek geht es um ein Einsparpotenzial von 60 000 Franken jährlich. Ein Tropfen auf den heissen Stein? Zu wenig, um ein derart beliebtes Angebot zu streichen?
Wie gesagt: Es ist erstens eine langfristige, eine bleibende Ersparnis. Zweitens darf man dies nicht alleine betrachten. Es gehört zum Gesamtpaket unserer Sparbemühungen. Wir versuchen auch, mehr Einnahmen zu generieren. 2018 möchten wir so die Bestattungsgebühren erhöhen, da wir im regionalen Vergleich heute zu günstig sind.
Vor eineinhalb Jahren, als die Rechnung 2015 mit einem Anstieg der Schulden auf 25,9 Millionen schloss, sagten Sie: «Wir haben bereits in den Vorjahren dort gespart, wo es möglich ist und unsere letzte Option wäre eine Steuererhöhung.» Jetzt kann plötzlich wieder gespart werden und eine Steuererhöhung ist auch nicht vorgesehen.
(überlegt) Ab 2018 haben wir den neuen Finanz- und Lastenausgleich im Aargau, und ich habe immer gesagt, dass dieser Aarburg eine massive Entlastung bringen wird. Vor eineinhalb Jahren wollten wir unter diesen Vorzeichen keine unbeliebten Sparvorschläge machen, da sie sowieso abgelehnt worden wären. Heute wissen wir: Trotz des positiven Effekts des neuen Ausgleichs reicht es nicht. Wir müssen unsere Schulden von 3500 pro Kopf abbauen. Sonst interveniert der beaufsichtigende Kanton und im schlimmsten Fall werden wir noch bevormundet.
Durch den FILAG wird der Steuerfuss der Stadt um drei Prozentpunkte auf 121 Prozent gesenkt, während derselbe Prozentanteil bei den Kantonssteuern aufgeschlagen wird. Weitere Steuersenkungen sind nicht geplant?
Zumindest für den noch amtierenden Gemeinderat ist das kein Thema. Es stehen grosse Investitionen an. Allein die beiden Hauptbrocken Turnhalle Höhe und Ausbau Oltnerstrasse werden Aarburg rund 10 Millionen Franken kosten. Diese Projekte dienen der Stadtaufwertung wie schon der Bau von Schulliegenschaften der letzten Jahre. Wir können nicht erwarten, dass wir Menschen mit Vermögen anziehen, wenn wir ihre Kinder in Baracken unterrichten wollen. Diesen Menschen müssen wir etwas bieten.
Käme Aarburg finanziell nicht auch ohne eine Bibliotheks- oder gar Badi-Schliessung wieder auf die Beine?
Vielleicht schon. Aber alles würde länger dauern, es wäre schwieriger und würde somit mehr Risiken bergen. Die Aufgaben für die Gemeinde werden nicht weniger. Und das kostet Geld.
Zum Beispiel der Bereich der Sozialen Wohlfahrt. Das Hauptsorgenkind der Gemeinde Aarburg?
Absolut. Dort werden wir noch sehr viel Geld in Integration für Sozialhilfeempfänger investieren müssen. Sie zu motivieren ist dabei nur das eine, einen Arbeitsplatz zu finden, das andere. Wenn ich sehe, wie viele einfache Jobs verschwunden sind, dann wird es extrem schwierig. Als ich zur Lehre rauskam, waren in der Zeitung 20 Seiten mit Stelleninseraten. Ich hätte damals direkt Vorarbeiter werden können. Das gibt es heute nicht mehr. Der Wunsch, gute Steuerzahler anzulocken, ist nicht von heute auf morgen erfüllt. Das stimmt, und vieles ist Altlasten geschuldet. Vor 20 Jahren wurde eine Gemeinde nur verwaltet, nicht gelenkt, da entstanden viele Bausünden, siehe Beispiele auf der Aarburger Höhe, in Aarburg-Nord. Diese bleiben Aarburg noch Jahrzehnte erhalten. Mit der Eröffnung der Ortskernumfahrung (Okua) vor zehn Jahren begann aber die bauliche Stadtaufwertung, es entsteht viel qualitativer Wohnraum. Der Gemeinderat hat sich in den letzten Jahren viele Gedanken dazu gemacht. Sehen Sie den Neubau der Garage Galliker. Hier ist es das Ziel, die ganze Oltnerstrasse im gleichen Stil umzugestalten: Die Industrie bildet eine Art Schutzriegel vor Lärm und Verkehr, die Wohnhäuser kommen erst dahinter.
Haben Sie nicht einige der Bausünden mitverantwortet in Ihrer 24-jährigen Politkarriere?
Auf meine Kappe muss ich die Investitionen nehmen. Wir haben einiges hinausgeschoben, um Schulden abzubauen. Das gelang uns zeitweise auch, als wir nach der Jahrtausendwende auf 12 Millionen Franken Schulden waren. Aber das Aufschieben hat sich gerächt: Nötige Sanierungen beispielsweise für das Schulhaus Paradiesli oder das Schulgebäude Höhe, die «Hofmatt» haben sich aufsummiert. Im Nachhinein muss man sagen: Wir hätten langfristiger planen müssen. Heute wollen wir trotz Spardruck nicht mehr aufschieben, sondern immer à jour sein.
Welchen Ratschlag geben Sie als abtretender Gemeinderat Ihrem Nachfolger, wie er mit den Finanzen des Städtlis umgehen soll?
Ich halte nichts davon, einem Gemeinderat reinzureden, ich habe mir geschworen, das nie zu machen. Mich stört auch extrem, wenn ich höre, wie hinter unserem Rücken über uns Gemeinderäte gelästert wird, auch von ehemaligen Behördenmitgliedern. Da will ich mich nicht beteiligen.
Wie hat sich das politische Klima während Ihrer Amtszeit verändert?
Gewaltig. Ganz gewaltig! Vor 20, 25 Jahren war man als Gemeinderat ein geachtetes Behördenmitglied. Heute ist man auf gut Deutsch gesagt der Anseichpfosten und macht alles falsch. Viele haben immer noch die Vorstellung, der Gemeinderat müsse zu allem schauen, dass alle Strassenlampen leuchten und weissderguggerwas. Aber heute ist der Gemeinderat ein Laiengremium, das gestaltet. Für das Verwalten hat er Leute auf der Verwaltung.
Sie selbst sind keiner, der grosse Töne spuckte oder unbedingt von sich reden machen musste. Da gibt es im heutigen Rat andere Beispiele. Dabei hätten Sie sogar Chancen gehabt, Ammann zu werden. Gefällt Ihnen die Rolle im zweiten Glied?
Ich muss ehrlich sagen, dass ich selbst die Anforderungen, die ich an einen Ammann stelle, nicht erfülle. Damit meine ich das Kommunikative. Ich bin nicht der Typ offener Mensch, der auf alle zugeht und überall mitreden will. Ich halte mich lieber im Hintergrund und versuche, dort etwas zu bewirken. Ich bin keine Rampensau. Ich brauche Zeit, mich zurückzuziehen und ich will nicht immer nur über Politik reden.
Endet mit Ihren Rücktritt gleich Ihr ganzes politisches Leben?
So ist es vorgesehen. Ich bleibe sicher Passivmitglied der CVP und helfe, wenn nötig, unsere neuen Finanz- und Geschäftsprüfungsmitglieder einzuarbeiten. Gerne weitermachen möchte ich als Forstkommissionsmitglied bei der Ortsbürgergemeinde. Aber mit Finanzen möchte ich nichts mehr machen. Ich habe jetzt 24 Jahre lang gepredigt, dass man sparen muss, jetzt möchte ich endlich aufhören.
Mit welchen Gefühlen gehen Sie in die berufliche und politische Rente?
Mit sehr guten. Ich kann endlich das machen, das ich so lange wollte: Mich erholen, reisen, muss nicht immer auf Termine Rücksicht nehmen, kann meine Fotoalben nicht erst um Mitternacht machen. Ich habe wieder meine Freiheit.
Und was wünschen Sie Aarburg?
Dass das Ziel des Gemeinderats von der Bevölkerung mitgetragen wird. Nämlich, ein wohnliches Aarburg zu gestalten, wo man gerne daheim ist, wo man wohl ist und wo es nicht mehr so ein Gegeneinander-, sondern ein Miteinander ist. Und dass die Bevölkerung manchmal politische Entscheide mitträgt, auch wenn es ihr nicht passt.