Ammann in der kleinsten Aargauer Gemeinde: «Hier oben lebt man in einer andern Welt»

Es ist Montag, kurz vor Mittag, die Sonne scheint und aus der Umgebung sind verschiedene Vogelstimmen zu hören. Ab und zu kämpft sich ein Velofahrer den Berg hoch und im Dorf vorbei. Die Anstrengung ist hörbar bis in den zweiten Stock. Zwei Strassenbauer binden Eisen zusammen, das sie in Kürze in die Jahrhundertbaustelle «Bergstrasse» einbauen. Aber das ist ein anderes Kapitel. Gemeindeammann Patric Jakob (51) sitzt auf dem Balkon seiner Wohnung an der Bergstrasse in Wiliberg und studiert Akten. Am Abend steht eine Gemeinderatssitzung an und am Freitag seine erste Gemeindeversammlung als Vorsitzender. «Viele Traktanden gibt es nicht», sagt Patric Jakob, der seit 1. April 2008 im Gemeinderat der kleinsten Aargauer Gemeinde Einsitz hat. «Die Rechnung 2017, das Kinderbetreuungsreglement, der Schulvertrag mit Schöftland und die Ersatzbeschaffung eines Fahrzeugs für die Feuerwehr, sind die grössten Brocken.»

Finanziell steht die Gemeinde zurzeit noch auf gutem Fundament, doch Jakob fragt sich, wie lange noch. Der Finanz- und Lastenausgleich macht Wiliberg zu schaffen. In diesem Jahr bekommt die Gemeinde noch 260 000 Franken, in vier Jahren soll der Zustupf des Kantons aber nur noch 80 000 Franken betragen. «Hier müssen wir Massnahmen ausarbeiten.» Wie die aussehen sollen, kann Patric Jakob zurzeit noch nicht sagen.

Wiliberg und die Schule
Zwar hat Wiliberg ein eigenes Schulhaus, aber keine eigene Schule mehr. Die Kinder aus dem Dorf können aber die 1. bis 6. Klasse in der Privatschule Wannenhof auf dem Wiliberg absolvieren. Zurzeit profitieren zehn Wiliberger Kinder von diesem Angebot in der Tagesschule, hier nehmen sie mit Ausnahme des Mittwochs auch das Mittagessen ein. Einen Kindergarten hat die Gemeinde nicht, den besuchen die Kinder in Reitnau. Noch weiter müssen sie dann in die Oberstufe. Die nächste Bezirksschule steht in Schöftland, mit dem Fahrrad rund 20 Minuten entfernt. Der Heimweg, zurück auf den Berg, dauert bedeutend länger … Sekundar- und Realschule gibt es in Reitnau und Staffelbach, doch das soll sich ab dem Schuljahr 2020/21 ändern. Ab dann soll die Kreisschule Oberes Suhrental vollständig in die Schule Schöftland integriert werden. Voraussetzung ist die Zustimmung der betroffenen Gemeinden. «Eine Alternative haben wir nicht zu bieten», gibt Patric Jakob unumwunden zu. Würde seine Gemeinde Nein sagen zum Schulvertrag mit Schöftland, «müssten wir über die Bücher».

Öffentlichen Verkehr in Form eines Busses gibt es in Wiliberg seit Ende 2008 nicht mehr. Schade finden die einen, unnötig die andern. Wer auf dem Wiliberg wohnt, muss ein Auto haben, wer mit der Familie hier lebt, am besten zwei. «Natürlich wäre eine Busanbindung gut», sagt Patric Jakob, «doch die Kosten wären immens, denn nur ein ganz kleiner Teil der eh schon kleinen Bevölkerung (164 Einwohner, Anm. der Redaktion) nutzt hier regelmässig den ÖV.» Einen Laden hat die Gemeinde auch keinen mehr. Früher gabs die Chäsi im Dorf. Heute müssen die Wiliberger nach Reitnau oder Bottenwil fahren, um einzukaufen. «Verhungern muss man nicht auf dem Wiliberg», sagt Patric Jakob. «Es gibt mehrere Hofläden mit selbst produzierten und gesunden Produkten.»

Dorfbeiz bleibt erhalten
Mit grosser Erleichterung nimmt Patric Jakob zur Kenntnis, dass das Restaurant Moosersäge, auch nach dem Verkauf, weiter als «Beiz» betrieben wird. Zurzeit wird es umgebaut und am 1. August unter neuer Führung wieder eröffnet. «Das Restaurant ist wichtig für unsere Dorfgemeinschaft und ein beliebter Treffpunkt», betont Jakob.

In Wiliberg kennt man sich. Viel geändert hat sich nicht, seit er am 1. Januar das Amt des Gemeindeammanns übernommen hat. «Früher hiess es jeweils, ‹hoi Patric›, heute heisst es ab und zu ‹de Amme chunt›», sagt der Junggeselle.

Zu Stephan Müller, der 24 Jahre lang Gemeindeammann von Wiliberg war, hat Jakob einen guten Draht. «Bei ihm steht die Türe immer offen, wenn ich Fragen habe», sagt Jakob erfreut. «Zuletzt war das bei einem Waldthema der Fall.» Er schätzt aber auch den monatlichen Stamm mit den andern Gemeindeammännern aus dem Bezirk, wo man sich austauschen, aber auch Rat holen könne.

Im letzten Jahr hat der Gemeinderat von Wiliberg 151 Geschäfte behandelt, 2016 waren es einige mehr. Damit sich Patric Jakob Zeit für sein neues Amt nehmen kann, hat er sein Arbeitspensum auf 80 Prozent heruntergeschraubt. Der Softwareentwickler bei der Firma Müller Martini in Zofingen ist 2006 auf den Wiliberg gekommen. Die Ruhe und die Abgeschiedenheit hier oben haben es ihm angetan. «Hier zu leben ist Erholung pur, es fühlt sich an wie in einer andern Welt», macht Patric Jakob Werbung für «seine» Gemeinde. «Andere fahren in die Berge zur Erholung, ich fahre nach Hause auf den Wiliberg.»