
Asterix im wilden Osten bei den Fabeltieren und Fabulierern
Das Problem mit der Kälte ist: Erstens gefriert der Zaubertrank. Womit er seine Wirkung verliert. Das rächt sich im Wilden Osten, wo der Druide Miraculix einem befreundeten Schamanen zu Hilfe eilt. Und zweitens macht der Frost die Römer «ganz steif», klagt Obelix, wenn er sich mit ihnen herumbalgt.
Da unsere Gallierfreunde mittlerweile beim 39. Band angelangt sind, brauchen die Keilereien allerdings nicht mehr explizit zu sein. Ein Comicbild von einem Haufen Römer voller Veilchen, verbeulter Helme und zerbrochener Lanzen genügt, um uns wissen zu lassen, wessen Weg die Römer wieder einmal gekreuzt haben.
Richtig: Asterix, Jahrgang 1959, aber sonst ziemlich alterslos, ist wieder unterwegs. Sein neustes Abenteuer, am Donnerstag in 17 Sprachen und einer Auflage von fünf Millionen erschienen, trägt eigentlich Trauerflor: Es ist das erste Gallier-Epos ohne den Texter René Goscinny (+1977) und ohne den Zeichner und nachmaligen Autor Albert Uderzo (+2020).
Das Nachfolgeduo Jean-Yves Ferri/Didier Conrad, das auch schon bei seinem fünften Album angelangt ist, spürte damit erstmals nicht Uderzos wachsames Auge über ihrer Arbeit. «Der Druck ist geringer», räumte der Texter Ferri bei der Pariser Präsentation von «Asterix und der Greif» (gegenüber dieser Zeitung) ein. «Aber keine Angst, wir bleiben dem Geist von Goscinny und Uderzo treu.»
Auch in der neuen Geschichte ist alles da: Klamauk und Running Gags («Ein Wolf!» – «Kann man Wölfe essen?»), lateinische Sprichwörter und witzige Gegenwartsbezüge: Für das Betreten des Römerlagers ist nicht mehr eine Losung, sondern ein „Passwort“ erforderlich.
Der Plot ist gut und zielführend. Wie oft bei Ferri wirkt er etwas überfrachtet, wenn man mit der kongenialen, allein schon vom Sprachwitz lebenden Einfachheit Goscinnys vergleicht. Diesmal machen sich Caesars Legionäre und das Gallier-Komitee unabhängig voneinander auf nach Osten, in die «eisige, endlose Steppe, gehüllt in dicken Nebel», wie es zum ersten völlig weissen Bild der Asterix-Ära heisst.
Beide Parteien suchen dasselbe – nein, nicht den heiligen Gral, sondern den furchtbaren Greif. «Halb Adler, halb Löwe, mit Pferdeohren – eine echte Legende», schildert ihn ein Römerkenner. «Genau wie ich», findet Caesar und entsendet den Geografen Globulus, der bis auf die schüttere Haarpracht dem französischen Starautoren Michel Houellebecq gleicht. Mit seinen zwei Kumpels Brudercus und Ausdiemaus soll er die neue Attraktion für den Circus Maximus im tiefen östlichen Winter aufstöbern.
Mit von der Partei ist Fakenius, der Verschwörungstheoretiker, dem es schon verdächtig vorkommt, dass die Sonne immer im Osten aufgeht. Die Römer halten sich für die Herren der Zivilisation, haben aber Angst, auf ihrer Reise zum mythischen Steppenvolk der Sarmaten über den Tellerrand der Erde zu fallen. «Die Erde ist eine Kugel, du Hohlkopf», stellt Globulus mit Verweis auf Pythagoras klar.
Doch wer zum Teutates sind die Sarmaten? Ein vergessenes Volk, das vergorene Stutenmilch trinkt, was Obelix sauer aufstösst, und in seinen Jurten auch sonst im Einklang mit der Natur lebt. Die Hosen haben bei ihnen die Frauen an, allen voran die wackeren Kriegerinnen Matrjoschkowa, Supernowa und Kalaschnikowa. Die Mäner dürfen den Abwasch machen. Und natürlich schnappt sich die feurige Casanowa gleich Obelix, der nicht nur wegen der Affenkälte puterrot anläuft.
Endlich startet die Suche nach dem Greif. Es geht durch Schneewehen, über Eismauern und zugefrorene Seen. Die Spannung steigt, ja sie wird unerträglich, wenn durch die klirrende Nacht Grummelgrogrumm-Töne schallen, die den Römern das Blut noch ganz gefrieren lassen. Aber nein, es war nur Obelix‘ Magen, der wegen der Stutenmilch rebellierte!
Schamanen, Öko und Frauenpower: Soviel Zeitgeist wirkt bisweilen fast etwas aufgesetzt. Vielleicht reagieren Ferri/Conrad damit auf eine Bücherverbrennung in Kanada: Dort haben Woke-und Inuit-Aktivisten in diesem Jahr auch Asterix-Werke in die Flammen geworfen, weil ein Indianermädchen darin einen «sexistischen» Minirock trug. Goscinnys Tochter Anne, aus einer jüdischen Buchdrucker-Familie stammend, die von Pariser Faschisten verfolgt worden war, ereiferte sich diese Woche in Paris: «Dass man im 21. Jahrhundert noch Bücher verbrennt, hätte meinen Vater irrsinnig gemacht.»
Dem 39. Asterix-Heft droht solcherlei nicht. Ohne das hollywoodreife Ende zu enthüllen: Die Richtigen gewinnen, die Bösen verlieren. Und zwar richtig: sie verlieren neben der Partie auch die Goldklumpen, die Houellebecq/Globulus unterwegs aufgesammelt hatte.
Anders der Pariser Grossverlag Hachette, an den Uderzo die Asterix-Rechte 2008 abgetreten hatte. Heft 39 wird mit seiner Monsterauflage einige Sesterzen einspielen. Für 2022 ist der neuste, 65 Millionen Euro schwere Asterix-Spielfilm «Das Reich der Mitte» geplant. Er ist gemünzt auf den chinesischen Markt, sucht doch eine Prinzessin aus Shanghai das Gallierdorf auf. Na ja.
Mit Netflix – nomen est omen – hat der Asterix-Verlag die Produktion einer aufwendigen Trickfilmserie beschlossen. Im Norden von Paris hat auch der Asterix-Park seinen Betrieb nach einer vielmonatigen Covidpause wieder aufgenommen.
Asterix hat dazu nicht viel zu sagen. Der kleine Gallier hat in dem neuen Album nicht seine stärkste Rolle. Ohne Zaubertrank verleiht er der neuen Geschichte kaum Impulse. Hält der Held ohne Alter, der schon etliche Generationen überdauerte, heute noch mit? Nostalgiker schnöden seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, Asterix sei ohne seine Erfinder „nicht mehr das Gleiche“, es fehle ihm die Leichtigkeit. Den beiden neuen Autoren ist indes kein Vorwurf zu machen. Es sind Vollprofis mit Inspiration. Wobei Ferri eigentlich so unpersönlich bleibt wie Asterix selbst. Der Franko-Schweizer Conrad schafft sich mit grossen, halbseitigen Zeichnungen eher ein Markenzeichen.
Und Hand aufs Herz: Die Galliergeschichten tun immer noch gut. Besser als Squid Game oder andere Blockbuster. Die Frage ist nicht, ob das Heft 39 das Niveau wahrt (es wahrt). Aber man darf sich fragen, was Goscinny heute mit einer Serie tun würde, die er in einer Viertelstunde geboren hatte und die nun seit 62 Jahren weltumspannende Erfolg feiert.
Die Frage ist müssig: Hachette wird den gallischen Goldesel nicht so schnell in Pension schicken. Bis Asterix weisse Haare hat.
Asterix und der Greif: erscheint heute.