
«Auf dem Land will man keine Öko-Vorgaben aus der Stadt»: Eine Städterin und eine Landfrau sprechen sich aus
Sabine Kuster: Erklär mir, was in den Köpfen der Landbevölkerung vorging, bitte!
Doris Kleck: Eine grosse Frage! Eine einfache Antwort kann ich dir nicht geben. Die Stimmbeteiligung auf dem Land war hoch, die beiden Agrarinitiativen haben die Landbewohner extrem mobilisiert und damit wohl auch das Nein zum CO2-Gesetz besiegelt. Der «Tages Anzeiger» schreibt von der «Rache der Landschweiz». Das finde ich abschätzig. Aber die Menschen auf dem Land haben gerade die Agrarinitiativen sehr persönlich genommen. Sie fühlen sich unverstanden, sind hässig und wollen keine Öko-Vorgaben aus den Städten.
Sabine Kuster: Als ob nur in der Stadt Pestizide aus den Hahnen sprudeln und nur Balkonpflanzen in Hitzesommern verdorren würden…

Doris Kleck, Co-Leiterin Inland
Doris Kleck: Es geht wohl weniger um die Betroffenheit vom Klimawandel. Gerade die Bauern spüren ihn ja stark – Stichwort Trockenheit. Es ist mehr ein Gefühl: Die Städter mit ausschweifendem Lebensstil, die einen VW-Bus brauchen um am Wochenende in die Zweitwohnung zu fahren, in den Ferien wegfliegen und sich toll fühlen, weil sie im Unverpackt-Laden einkaufen, genau die sagen den Menschen auf dem Land, wie sie leben sollen. Und dann fühlen sie sich noch so gut, weil sie «Urban gardening» machen. Bitte: Wo ich aufgewachsen bin, hatte noch jede Familie einen eigenen Garten. Das ist nichts Revolutionäres.
Was glaubst denn du, weshalb haben die Landbevölkerung und die Agglomerationen Nein gesagt zum CO2-Gesetz?

Sabine Kuster, Co-Leiterin Leben&Wissen
Sabine Kuster: Es kam mir zuerst nichts anderes in den Sinn, als was die SVP geschrieben hat: Dass man glaubte, nur noch Reiche könnten Autofahren, wenn das Gesetz durchkommt. Aber diese 100 bis 200 Franken, die eine 4-köpfige Familie mit Auto auf dem Land pro Jahr maximal hätte mehr bezahlen müssen, können es nicht gewesen sein. Oder stimmen wir so sehr mit dem Portemonnaie ab? Und ist die finanzielle Lage der Landbevölkerung wirklich prekärer als in der Stadt?
Doris Kleck: Natürlich spielt das Geld eine Rolle. Leider auch bei anderen Abstimmungen. Wir sind Kleinkrämer in der Schweiz. Weshalb ist die letzte Rentenreform gescheitert? Weil jeder nur für sich geschaut hat, was die Vorlage für ihn selbst kostet. Beim CO2-Gesetz dasselbe. Dabei kann man mit all diesen Modellrechnungen die Realität ohnehin mehr schlecht als recht abbilden. Über die Kosten des Klimawandels haben wir im Abstimmungskampf gar nicht geredet. Das Problem ist aber, dass die Landbevölkerung schlecht gerechnet hat. Sie ist der Angstkampagne der SVP voll auf den Leim gekrochen. Ich behaupte: Auf dem Land lebt man ohnehin ökologischer als in der Stadt. Deshalb hätte die Landbevölkerung profitiert vom Gesetz.
Sabine Kuster: Ökologischer? Meinst du die akkurat angelegten Steingärten? Die Strassenkilometer, die jeden Morgen aus der grünen, ruhigen Heimat abgespult werden bis zum Arbeitsort? Dass überhaupt alles, der Einkauf, der Besuch bei Freunden, die Strecke bis zum Sportclub mit dem Auto gemacht wird?
Doris Kleck: Oh ja, die Steingärten sind furchtbar. Aber es ist ja nicht so, dass alle auf dem Land nur Steingärten hätten. Mein Vater redet nicht viel am Telefon, aber die schöne Magerwiese vor dem Haus bleibt nie, wirklich nie, unerwähnt. Und dann diese Fixierung der Städter auf die Autos! Ein paar Autokilometer sind ein Klacks im Vergleich zu Flugreisen. Es gibt nun mal Landstriche, wo man mit dem ÖV nicht hinkommt. Wenn es um Ökologie geht, dann unterstreichen immer alle, wo sie gut dastehen. Aber man rettet die Welt nun mal nicht, indem man Bienenwachstücher statt Plastikfolie verwendet und nur Bio-Produkte einkauft. Ich glaube, gerade die Bauernfamilien, die im Abstimmungskampf massiv angegriffen worden sind, leben oft sehr nachhaltig. Sie sind sehr bewahrend, tragen Sorge zu Haus, Garten, Kleider. Es wird geflickt, statt neu gekauft. Genau das, was die Klimajugend und etwa auch die Grünen propagieren, wird auf dem Land ohnehin – freiwillig – gemacht. Deshalb dieses Unverständnis. Bin ich zu romantisierend?
Sabine Kuster: Naja, romantisierend sind wohl eher die Städter. Aber aus gutem Grund: Wenn man mit Betonwänden statt mit Apfelbäumen als Nachbarn lebt, ist die Sehnsucht nach Natur grösser. Da sät man halt bienenfreundliche Blumen in die paar Töpfe auf dem Fenstersims. Und ja, Bio wird von den Städtern nicht nur mehr gekauft, weil sie es sich tendenziell eher leisten können, sondern vielleicht auch, weil die Kundschaft in den Läden auf dem Land nicht genug gross ist, damit sich ein Bio-Angebot für die paar Käufer lohnen würde. Fliegen tut aber auch die Landbevölkerung, eine all-inclusive-Reise nach Ägypten ist heute für fast jede Einkommensklasse erschwinglich. Und die Landbevölkerung lebt in der kleinräumigen Schweiz doch schon nur deshalb nicht ökologischer, weil sie den ganzen urbanen Komfort der medizinischen Versorgung oder der Ausgangsmöglichkeiten genauso nutzt.
Doris Kleck: Das Angebot in den Läden ist ein wichtiger Punkt – nicht nur ob bio oder nicht. Sondern das ganze Sortiment. Als Städter kann man das ganze Jahr über nach Ottolenghi kochen. Geh mal in einem Bergtal einkaufen. Da bist du froh, wenn du aus vier Gemüsen auswählen kannst. Das Geld ist ein Punkt. Nehmen wir die Flugticketabgabe: Für Familien mit tiefen oder mittleren Einkommen spielt die Abgabe eine Rolle. Es wäre interessant zu sehen, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen Einkommen und Abstimmungsverhalten. Zum Kostenargument kommt aber auch das Gefühl. Ich glaube, Corona hatte einen grossen Einfluss auf den Ausgang der Abstimmungen. Es gibt Gemeinden, die haben fünf Mal Nein gesagt zu so unterschiedlichen Vorlagen wie Antiterrorgesetz, CO2-Gesetz oder auch dem Covid-Gesetz. Es gingen Menschen an die Urne, die sonst zu Hause bleiben. Das führt mich zu einer Gegenfrage: Wo waren die Städter? Gingen sie lieber in die Badi als an die Urne? Wo waren all die Fahnen wie bei der Abstimmung über die Konzernverantwortungs-Inititiative oder den Vaterschaftsurlaub?
Sabine Kuster: Ach was, 100 bis 200 Franken Kosten pro Jahr spielen in der Schweiz zum Glück für die Allerwenigsten eine Rolle. Vielleicht sind einkommensschwache Haushalte vor allem schlechter informiert über den Klimawandel, dass man so kurzfristig denkt? Oder das Selbstbewusstsein ist so tief, dass man bei globalen Problemen den Kopf gleich in den Sand steckt aus dem Gefühl heraus, nichts bewirken zu können? Damit wären wir bei der Informationskampagne, die du ansprichst. Ich habe mich auch gewundert, dass gerade fürs CO2-Gesetz keine Fahnen wehten. Die Antwort ist aber wohl die, dass es eine Vorlage der Behörden war. Dass also kein eingeschworenes Kampagnen-Komitee dahinter stand wie bei der Konzernverantwortungs-Initiative. Ausserdem hat das Pandemiejahr den Drive bei der Klimabewegung halt doch geschwächt.
Doris Kleck: Ich finde, die Klimajugend hat eine traurige Rolle gespielt. Teile der Klimajugend haben das Gesetz bekämpft und Kritik erträgt sie nicht. Die Bewegung kann institutionelle Politik nicht einfach ignorieren und schlechtreden. Wie soll man so das Land verändern?
Sabine Kuster: Die Klimajugend ist nicht schuld am Abstimmungsresultat. Jugendliche sollen das Klima retten? Die Politik umkrempeln? Diese Gedanken sind genauso naiv wie jener der Klimajugend, wenn sie die Politik ignoriert. Es ist an uns Erwachsenen die Zukunft so zu gestalten, dass wir sagen können, das Beste für die Nachfolgenden versucht zu haben. Wie man das macht bezüglich Kampagnen, Vernetzung und Mobilisierung der Bevölkerung, da könnten man der Klimajugend was abschauen.