Ausstellung «50 Jahre Frauenstimmrecht»: Den Kämpferinnen von damals nah kommen

«Er ist der Mensch, sie ihm beigegeben; er ist für den Staat und für sich da, sie für den Mann», steht da und man schluckt leer. «Der Mann ist Selbstleuchter, eine Sonne, die Frau seine Trabantin, der Mond.» Das sitzt.

Sie haben nichts von ihrer Wirkung verloren, diese Zeilen, dabei sind sie über 100 Jahre alt. Geschrieben hat sie Elisabeth Flühmann, Lehrerin am ­Aarauer Töchterinstitut und Lehrerseminar. Sie war treibende Kraft in der aargauischen Frauenstimmrechtskampagne 1919, sie lancierte die «Schweizer Frauenzeitung», die in Aarau ­gedruckt wurde. In Vorträgen und Artikeln warb Flühmann für die Selbstbestimmung der Frau. So wie zitiert, triefend vor Ironie.

Trotzige Züge in freundlichen Gesichtern

Elisabeth Flühmann. Eine ältere Dame, hager und mit strengem Gesicht, gerahmt von schlohweissem Haar. An der Wand gegenüber hängt eine Fahne: Frauen mit einer Schnecke aus Pappmaché, nahezu lebensgross auf den Stoff gedruckt. Das wirkt, so gross sie sind dem Betrachter ein Gegenüber.

Und wie schon bei Elisabeth Flühmann studiert man sie, sucht nach trotzigen Zügen in den freundlichen Gesichtern. Man bleibt an der Aufmachung hängen, elegant mit Jupe, Schärpe und Hut. Diese Kämpferinnen, die sich getraut hatten, den Politikern mit ihrem Schneckentempo gehörig auf den Schlips zu trampen.

Den Kämpferinnen von damals nah kommen

Flühmann und die anderen Kämpferinnen, sie sind der Anfang. Nicht nur historisch, sondern handfest: Sie bilden den Anfang der Ausstellung «50 Jahre Frauenstimmrecht», die ab heute im Treppenhaus des Aarauer Rathauses zu sehen ist. Dieses Suchen in den Gesichtern, dieses Studieren; das ist gewollt, sagen die Kuratorinnen Verena Naegele und Sibylle Ehrismann. «Wir wollen, dass man diesen Frauen nah kommt, dass man ihnen in die Augen schauen kann», so Ehrismann.

Entstanden ist die Ausstellung gemeinsam mit den Aarauer Neujahrsblättern 2021, die sich ebenfalls dem Frauenstimmrecht widmen. Die Projekte ergänzen einander, erzählen auf unterschiedliche Art und Weise von den Anfängen 1919, von den beiden Abstimmungen 1959 und 1971, von den Frauenstreiken 1991 und 2019.

Sprüche von gestern fallen auch heute noch

Eine grosse Aufgabe, eine arbeitsintensive. Und dazu noch Corona, das alles schwierig gemacht hat, zeitlich und finanziell. Ausstellung wie Neujahrsblätter sind erst im letzten Moment fertig geworden. «Es war ein Chrampf», sagt Naegele. Und fügt an, konsterniert: «Es ist bis heute noch ein Kampf gegen gewisse Vorurteile, selbst beim Aufbau der Ausstellung sind entsprechende Sprüche gefallen.»

Das wird auch beim Stöbern in den Zeitungsartikeln und alter Abstimmungspropaganda klar: Gespickt mit Abschätzigem, aber datieren liesse es sich nicht. Was gut 60 Jahre alt ist, könnte genauso gut von Heute sein. Und spätestens beim Betrachten der Abstimmungsergebnisse kommt der Moment, in dem man nicht mehr weiss: Soll man lachen? Oder doch weinen? So absurd, so weit weg wirkt manches, so brandaktuell anderes.

Ein Gefühl, das die Ausstellungsmacherinnen bestens kennen. Monatelang haben sie im Staatsarchiv, im Stadtarchiv und in alten Zeitungen recherchiert, sich mit engagierten Frauen und Politikerinnen aus dieser Zeit um 1971 unterhalten. «Auch wir waren oft konsterniert, haben leer geschluckt», sagt Verena Naegele.

«In den Archiven des offiziellen Aaraus spielen Frauen keine Rolle»

Nicht nur über das Gefundene, sondern insbesondere auch über das, was nicht vorhanden ist: «In den Archiven des offiziellen Aaraus spielen Frauen über Jahrhunderte hinweg einfach keine Rolle, man findet kaum etwas», so Naegele. Und dann wiederum sei da Freude gewesen, die Freude über das Engagement der hiesigen Frauen. «Wir waren überrascht, welch wichtige Rolle Aarau vor 100 Jahren innehatte», sagt Sibylle Ehrismann und meint damit explizit nicht nur die Frauen: Sondern auch die Männer, die das mitgetragen haben mussten, ob als Ehemänner oder Verleger.

Mit welchem Gefühl soll man diese Ausstellung verlassen? «Wir wünschen uns, dass Besucherinnen und Besucher erkennen, wie lange und hartnäckig Frauen für ihr Recht gekämpft haben», sagt Naegele. «Und dass es keine Selbstverständlichkeit ist, dass wir heute ein Frauenstimmrecht haben.»

Hinweis

Führung zu den Schauplätzen

Das Tourismusbüro «aarau info» bietet am Samstag, 21. November, um 14 Uhr im Rahmen der Ausstellung «50 Jahre Frauenstimmrecht» die Führung «Über Frauen – nicht nur für Frauen» an. Die Führung setzt den Fokus auf Frauenrechtsgeschichte und führt zu Schauplätzen, welche für die Entwicklung des Frauenrechts bedeutungsvoll waren. An das Thema herangeführt, besuchen die Teilnehmenden im Anschluss selbstständig die Ausstellung im Aarauer Rathaus. Die Führung inklusive Besichtigung der Ausstellung dauert rund 75 Minuten. Der Preis beträgt 20 Franken. (ksc)

Frauentagung in Lenzburg

Am Samstag, 16. Januar 2021, findet im Weiterbildungszentrum Lenzburg zum 33. Mal die Frauentagung der Frauenzentrale Aargau statt. Passend zum Jubiläumsjahr unter dem Motto «FrauenStimmen». Das Hauptreferat hält Maya Graf, die Co-Präsidentin des schweizerischen Dachverbandes alliance F. Interessierte können sich noch bis Ende November für die Tagung und unterschiedliche Workshops anmelden. Die Coronaschutzmassnahmen werden am Anlass eingehalten. (nla)

Infos zu Ausstellung und den Neujahrsblättern 2021

Die Ausstellung «50 Jahre Frauenstimmrecht» ist bis 31. 12. im Rathaus (währ-
end der Öffnungszeiten) zu sehen. Die ergänzende Ausstellung «Gefasst von Gefässen» der Aarauer Künstlerin Leo-nie Brandner (im 3. OG) wird bis vor aussichtlich 14. Februar 2021 gezeigt. Die Neujahrsblätter 2021 sind ab Freitag im Buchhandel, bei «aarau info» und im Rathaus (Stadtbüro) für 20 Franken erhältlich.