Ausverkauf geht weiter: ABB gibt bekannt, aus welchen Divisionen es aussteigen will

ABB wolle alle Optionen prüfen, um sich von diesen Divisionen zu trennen: «Turbocharging» aus der Industrieautomation, «Mechanical Power Transmission» aus der Antriebstechnik und «Power Conversion» aus der Elektrifizierung.

ABB habe im im Rahmen einer Portfolioevaluation überprüft, inwieweit es noch der beste Eigentümer für seine Divisionen ist. Für drei Divisionen ist dies offenbar nicht mehr der Fall. Der Konzern habe entschieden, alle Optionen zu prüfen, um aus diesen Divisionen auszusteigen. Verkauft ist damit allerdings noch nichts.

Diese Divisionen würden für rund 1,75 Milliarden US-Dollar stehen oder annähernd 6 Prozent des jährlichen Konzernumsatzes. Vor dem Investorentag hatte Rosengren noch von einem Konzernumsatz von 1 bis 5 Prozent des Umsatzes gesprochen.

Der neue ABB-CEO Rosengren lässt sich wie folgt zitieren: «Bei den drei Divisionen handelt es sich um hochwertige Geschäfte, deren operative EBITA-Margen über dem Zielkorridor des Konzerns liegen.» Das Ziel sei es, die beste wertsteigernde Lösung für ABB und die Divisionen zu finden. Dabei werden wir man sich nicht unter Zeitdruck setzen.

Und Rosengren kündigt an, dass es weitere Ausstiege geben wird: «Portfolioüberprüfungen werden zudem ein zentraler Bestandteil des ABB Way bleiben.»

Die Hintergründe zur heutigen Bekanntgabe

Der 61-jährige Manager Björn Rosengren hat vor knapp neun Monate ABB übernommen. Neben den Mitarbeitern hatten auch Investoren und auch die Konkurrenz gespannt gewartet auf wichtige Neuigkeiten zum Konzernumbau.

Der äussere Anlass dazu ist eben der sogenannte Kapitalmarkttag. In der Einladung zu dieser virtuellen Konferenz mit Finanzanalysten hatte ABB schon «weitere Details zur Evolution unseres Portfolios». In der Finanzpresse und von Analysten wurde das Geschäft mit Turboladern bereits als Verkaufskandidat gehandelt. Nun wird das Geschäft zwar nicht unmittelbar verkauft. Doch es steht zum Verkauf und wurde von ABB ins Schaufenster gestellt, wie Rosengren heute öffentlich machte.

Strategisch bewegt sich ABB in Richtung Industrie 4.0. Damit sind die industrielle Automation und die digitale Vernetzung von Produktionswerken zu sogenannt «intelligenten Fabriken» gemeint. Dass es in dieser Strategie auch für die Turbolader-Fabrik in Baden keinen Platz mehr gibt, war auch für Aussenstehende erkennbar. Nun hat es Rosengrem bestätigt. Die Turbolader nutzt die Abgase beispielsweise von grossen Schiffsmotoren, um deren Leistung zu steigern.

Die Badener Fabrik zählt gut 800 Mitarbeitende, besitzt eine hervorragende Marktstellung auf dem globalen Markt für Schiffsmotoren und ist finanziell überaus erfolgreich. Mit einem Verkauf kann sich ABB derzeit einen attraktiven Erlös sichern. Mit der Ankündigung von heute nimmt nun die ohnehin schon grosse Verunsicherung am Industriestandort Aargau weiter zunehmen.

Alle Welt rechnet mit weiteren Verkäufen

Alle Welt hatte mit weiteren Verkaufsankündigungen gerechnet, nach dem Verkauf der Stromübertragungssparte an Hitachi im Dezember 2018. Diesem Moment hatten Tausende von Angestellten mit grossem Unbehagen entgegen geschaut.

Gerade in der Schweiz können sie am Schicksal ihrer ehemaligen Kollegen vom Turbinenbau erleben, welchen Schaden ein fehlgeleiteter Eigentümerwechsel anrichten kann. Die französische Alstom war eine schwache Eigentümerin dieses Geschäftszweiges, der schon seit Jahren einer dringenden Neuausrichtung bedurft hätte. In den noch schwächeren Händen von General Electric ist das Flaggschiff der einstigen Brown Boveri gerade dabei endgültig zu zerfallen.

Viele Finanzinvestoren können den Verkauf weiterer Betriebsteile bei ABB aber kaum erwarten. In Vorwegnahme solcher Ankündigungen ist der Aktienkurs auf den höchsten Stand seit fast drei Jahren gestiegen. Rosengren hatte diese Erwartungen in den vergangenen Monaten mit entsprechenden Aussagen in verschiedenen Medien selbst geschürt.

Der Londoner «Financial Times» sagte er im Juni, er wäre «überrascht», wenn ABB am Kapitalmarkttag nicht den Verkauf von Betriebsteilen im Wert von einer bis zu fünf Milliarden Dollar verkünden könnte. Solche Versprechen sind de facto unwiderruflich, zumal, wenn sie auf dem Altar der internationalen Finanzgemeinde abgegeben wurden.

Verkauf der Elektrifizierungs-Sparte wurde erwogen

Welche Betriebsteile ABB verkaufen könnte war seit Monaten Gegenstand von Spekulationen. Aus gut informierter Quelle war zu erfahren, dass im vergangenen Jahr gar noch auf höchster Ebene der Verkauf der ganzen Elekrifizierungs-Sparte erwogen worden war. Dabei handelt es sich um eine der vier Divisionen, die nach dem Mitte Jahr abgeschlossenen Verkauf des Stromübertragungsgeschäfts noch bei ABB verblieben sind.

Von einer solchen Zäsur, mit der sich der Umsatz von ABB um mehr als 40 Prozent auf etwa 16 Milliarden Dollar und die Zahl der Angestellten um die Hälfte auf 52’000 geschrumpft wäre, ist man inzwischen aber offensichtlich wieder abgekommen.

Stattdessen wurden Verkäufe einzelner der 18 Sub-Divisonen erwartet, die Rosengren im Zug seiner Dezentralisierungsstrategie in operativ selbständige Einheiten mit eigener Ergebnisverantwortung umgebaut hat. Im Rahmen des neuen Betriebsmodells «ABB Way» verlagert der Schwede derzeit 18’000 Mitarbeitende mit zentralen Konzernfunktionen auf in diese 18 operativen Einheiten. Heute hat Rosengren zudem angekündigt, dass es neu 20 operative Einheiten sein sollen. In der Zentrale sollen weniger als 1000 Mitarbeitende verbleiben.

Die Leistungsmessung der operativen Einheiten erfolgt mit Hilfe eines Punktsystems, das 15 Kriterien enthält. Bleibt eine Einheit hinter den Leistungszielen drohen ihr Sanierung, Verkauf oder gleich beides nacheinander. Auch die strategische Bedeutung ist ein wichtiges Kriterium dafür, ob eine Geschäftseinheit im ABB-Verbund bleiben soll oder nicht.

Von Investitionen hört man Rosengren kaum einmal sprechen, umso mehr aber von Desinvestitionen. Offiziell sagt Rosengren, ABB müsse zuerst neu aufgestellt werden bevor man wieder an Investitionen denken könne. Vieles deutet indessen darauf hin, dass der Konzern gar nicht mehr richtig investieren, sondern seine Dividendenfähigkeit verbessern will.

In der Ära von ABB-Chef Joe Hogan (2008 bis 2013) und teilweise auch in der Zeit seines Nachfolgers Ulrich Spiesshofer investierte ABB mehr als 11 Milliarden Dollar für Akquisitionen, die dem Ausbau von Marktanteilen, Kundenbeziehungen und Fertigungskapazitäten nutzen.

Seit 2018 ist die Investitionsbilanz negativ. Die knapp acht Milliarden Dollar aus dem Verkauf der Stromübertragung werden vollumfänglich an die Aktionäre zurückbezahlt. Und es ist davon auszugehen, dass für die Erlöse künftiger Desinvestitionen der gleiche Verwendungszweck vorgesehen ist.

Der nächste Wallenberg-König

Dies hat viel mit der grössten Aktionärin, der alteingesessenen schwedischen Industriellenfamilie Wallenberg zu tun. Mit dem Rauswurf Spiesshofers haben die Wallenbergs die Macht bei ABB zurückerlangt. Zwar mussten sie dafür einen Pakt mit der «neureichen» schwedischen Investmentgesellschaft Cevian eingehen. Doch die Interessen der beiden Aktionärsgruppen haben sich im Lauf der vergangenen Jahre angeglichen.

Cevian ist als Managerin grosser institutioneller Vermögen von Dritten (z.B. Pensionskassen) naturgemäss an einer Strategie der Risikominderung und der Dividendenmaximierung interessiert. Und in diese Richtung bewegen sich zunehmend auch die Wallenbergs. Der Familienclan ist gerade dabei den Übergang in die sechste Generation vorzubereiten. Dort warten 31 Erben und Nachkommen auf direkter Linie zu den jetzigen Machthabern Markus, Peter und Jacob Wallenberg auf ihre Chance den Thron besteigen zu können.

Doch auf den nächsten Wallenberg-König wartet eine eher undankbare Aufgabe. Um das Familienimperium mit Hilfe neuer Investitionen weiter ausbauen und gestalten zu können bedarf es eines Konsens. Diesen zu finden wird schwieriger, je mehr die Familie wächst. Deshalb steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Wallenbergs zunehmend auf das Verteilen und nicht mehr aufs Investieren konzentrieren.

Für ABB könnte dies bedeuten, dass der Konzern zu einer Milchkuh bzw. zu einer Dividendenmaschine umfunktioniert werden soll. Die Mitarbeitenden in der Badener Turbolader-Fabrik werden nun über ihr Zukunft rätseln müssen. Klar ist erst einmal nur, dass Rosengren sich von ihnen trennen will. Rosengren ist der Mann, dem die Wallenbergs vertrauen.