
Befreiung oder Selbstbestimmung? Die Burka-Initiative entzweit die Feministinnen
Das Burkaverbot, das bald zur Abstimmung steht, wirft gängige politische Schubladen gehörig über den Haufen. So setzen sich der Waadtländer Regierungsrat von der SP, Pierre-Yves Maillard, und seine Parteikollegin Géraldine Savary für ein Burkaverbot ein, obwohl die SP die Nein-Parole beschlossen hat. Die FDP Luzern ist dafür, ihre Mutterpartei dagegen. Dann wiederum stimmt ein Imam in Bern, Hoxhë Memeti, der Initiative zu, dafür ist der stramme SVP-Mann Claudio Zanetti strikt dagegen. Auch im Mitte-Lager verlaufen die Bruchlinien quer durch die Partei, die nationalrätliche Fraktion hat sich für ein Verbot ausgesprochen, die ständerätliche Delegation ist dagegen.
Die Politologin Martina Mousson vom Forschungsinstitut GFS Bern bestätigt: «Die Links-Rechts-Prägungen sind dieses Mal nicht so geschlossen.» Bei der Linken gebe es einige Überraschungen, so sind gemäss der ersten GFS-Umfrage rund 22 Prozent der Grünen und 25 Prozent der SP-nahen Wählerschaft für ein Burkaverbot. Unter ihnen auch viele Feministinnen.
Ein leises Ja
Nun ist Feminismus nicht immer gleich Feminismus. Das zeigen die Diskussionen im Vorfeld zur Abstimmung. Natürlich stehen alle Feministinnen für die Sache der Frauen ein, doch wie und mit welchen Mitteln? Das ist gänzlich unterschiedlich. Elham Manea, Frauenrechtlerin und Dozentin der Politologie an der Universität Zürich, spricht sich für ein Burkaverbot aus. In einem Interview mit dem Tagesanzeiger sagt sie: «Auch mir ist unwohl, ein Kleiderverbot in die Verfassung zu schreiben. Und ich habe grosse Mühe damit, aus welcher Ecke diese Initiative kommt. Nämlich von Leuten, die sich sonst nie für Frauenrechte einsetzen.» Trotzdem werde sie für ein Burkaverbot stimmen, denn manchmal müsse man klare Grenzen ziehen gegen den Islamismus. Sie hat im Dezember ein Manifest für das Burkaverbot unterzeichnet, möchte aber auf Anfrage keine weiteren Interviews mehr geben. Auch zwei andere kontaktierte Mitunterzeichnerinnen des Manifests wollen keine Auskunft geben, da sie nach eigenen Aussagen keine Kampagne für diese Initiative machen wollen, aber in aller Leise ein Ja einlegen werden.
Anders sieht es Martine Docourt, Co-Präsidentin der SP Frauen Schweiz: : «Diese Initiative tut so, als drohe das Patriarchat aus dem Ausland, um abzulenken, dass die Schweiz auch ohne Burkaträgerinnen massive Defizite hat bei Gleichstellungsfragen.» Die SP Frauen lancieren am Montag die Nein-Parole zum Burkaverbot. Angesprochen auf die Bruchlinien in ihrer Partei, sagt sie: «Es gibt immer Einzelne, die abweichen, aber die breite feministische Bewegung sowie das Frauenstreik-Kollektiv sind klar gegen ein Verbot, das für die Gleichstellung der Frauen keine einzige Verbesserung mit sich bringt.» Die Nötigung zur Verschleierung ist bereits heute strafbar. Das zeige, dass es bei dieser Initiative nicht darum gehe, echte Lösungen für gesellschaftliche Probleme zu finden, sondern Stimmung zu machen gegen eine religiöse Minderheit. Wie damals auch bei der Minarett-Initiative.
Ist das so? Zu diesem Argument holt Martina Mousson vom GFS Bern eine Studie hervor aus dem Jahr 2018 vom Bundesamt für Statistik mit Erhebungen über das Zusammenleben in der Schweiz. «Hier wird deutlich, dass Islamskepsis rund um die Abstimmung zur Minarett-Initiative hoch war und danach abfiel», sagt die Politologin. So lag den Initianten rund um das ausschliesslich aus Männern bestehende Egerkinger-Komitee nie die Gleichstellung der Frauen am Herzen, sondern die Stimmungsmache gegen den Islam, wie ihre derzeit aufgehängten «Stopp Islamisierung»-Plakate enthüllen. Die Gleichstellungsdebatte spielt diesem Vorhaben lediglich in die Hände.
Ein Tuch als Ausdruck der Diskriminierung
Das Burkaverbot tangiert viele unterschiedliche Themen gleichzeitig. Es geht um Frauenrechte, um Rassismus, um religiöse Minderheiten, um Kleidervorschriften, um die Verfassung. Für die Mitte-Nationalrätin Marianne Binder ist das Tuch Ausdruck der Diskriminierung von Frauen. Sie macht sich stark für ein Burkaverbot – aus «rein frauenrechtlichen Erwägungen», wie sie sagt. Das Argument, wonach es sich bei vollverschleierten Frauen um Minderheiten handelt, lässt sie nicht gelten. «Seit wann ist ein Unrecht weniger relevant, wenn es nur wenige betrifft?» Zudem verweist Binder auf Frankreich, das auch ein entsprechendes Verbot habe und fragt sich, was das wohl für ein Zeichen an die Frauen im Iran sendet, die im Kampf gegen Schleier und Unterdrückung Gefängnis riskieren, wenn man hierzulande die Burka als Ausübung freien Willens propagiere.
Meral Kaya, die zu antimuslimischem Rassismus an der Universität Bern forscht, sagt: «Kritik am Islam ist im Iran eine andere Sache als in der Schweiz. Wir müssen den Kontext immer mitdenken.» Nur weil es für einen selbst unangenehm sei, eine vollverschleierte Frau anzuschauen, heisse das nicht, dass man einfach über sie bestimmen dürfe. Das Interessante an solchen Debatten sei zudem die Frage, welchen Stimmen zugehört werde – und welche man ignoriere. Man solle doch einmal mit muslimischen Frauen sprechen, statt über sie, so Kaya.
Gesagt, getan. Anruf bei «Les Foulards Violets», ein Kollektiv von muslimischen Frauen in Genf. Frage: Müssen die Frauen befreit werden und ist die Burka ein Symbol der Unterdrückung? Das Kollektiv-Mitglied Inès El-Shikh antwortet: «Wir sind nicht für oder gegen die Burka; wir wollen, dass Frauen selber wählen dürfen, ob sie eine Burka, ein Kopftuch oder keine Bedeckung tragen wollen», sagt El-Shikh. Gemäss Schätzungen des Bundes gibt es etwa 30 vollverschleierte Frauen in der Schweiz. «Das sind 30 unterschiedliche Gründe, 30 unterschiedliche Biografien und 30 unterschiedliche Weltansichten.» Es gehe darum, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit jede einzelne Frau frei entscheiden kann. Was ist, wenn eine Burkaträgerin lediglich meint, frei zu entscheiden, und sich ihrer Unfreiheit gar nicht bewusst ist? «Es ist paternalistisch, einer muslimischen Frau abzusprechen, selbst entscheiden zu können», so El-Shikh. Alles, was man nicht selbst erlebe, könne man nur zu einem gewissen Grad nachvollziehen. Für den Rest sorge eine Verfassung, die unsere Freiheitsrechte garantiere.