
Begnadigungen: Gesuchsteller sollen öffentlich werden – das fordern Aargauer Rechtsbürgerliche
Grundsätzlich sind Grossratssitzungen im Aargau öffentlich: Gesetzesvorlagen der Regierung und Vorstösse von Ratsmitgliedern sind online jederzeit abrufbar, ebenso Sitzungsprotokolle, Voten und Abstimmungsresultate.
In der kantonalen Geschäftsdatenbank heisst es denn auch: «Alle öffentlichen Geschäfte und Dokumente des Grossen Rats wie Vorstösse und Sachgeschäfte (Botschaften, Begnadigungen, Einbürgerungen, Inpflichtnahmen, Kommissionsanträge, Wahlen) werden zurückreichend bis zum Jahr 1997 publiziert.»
Es gibt aber Ausnahmen: Wer nach begnadigten oder eingebürgerten Aargauern sucht, wird in den Dokumenten nicht fündig. So heisst es zum Fall einer Tibeterin, mit dem sich das Parlament im Mai beschäftigte, im Protokoll nur: «Der Rat behandelt den Begnadigungsfall Nr. 4 der Legislaturperiode 2017/2020.»
Die Justizkommission beantragte die Ablehnung des Begnadigungsgesuchs, ihr Sprecher war Rolf Haller (EDU). Doch auch er durfte den Namen der Gesuchstellerin nicht nennen – und das störte ihn. Zusammen mit Rechtsanwältin Désirée Stutz (SVP) hat der ehemalige Vizepräsident am Bezirksgericht Kulm eine Motion eingereicht.
«Diskussion praktisch geheim»
Diese verlangt, dass künftig der Präsident der Subkommission, die sich mit Begnadigungen befasst, die Personalien der Gesuchsteller nennt. «Es handelt sich wohlgemerkt um Personen, die rechtskräftig verurteilt sind, deshalb haben aus meiner Sicht die Zuschauer im Grossen Rat ein Anrecht zu erfahren, wer ein solches Gesuch stellt», sagt Haller auf Anfrage.
Der letzte Auslöser für den Vorstoss sei der Fall der Tibeterin gewesen, der im Frühling behandelt wurde. Der EDU-Grossrat hält weiter fest, er finde es grundsätzlich falsch, «dass die Diskussion über eine Begnadigung praktisch im Geheimen stattfindet, ohne dass der Zuschauer weiss, um welche Person es tatsächlich geht.» Haller verweist auf die Begründung des Vorstosses, wo ein Vergleich mit der Situation bei Gerichtsverhandlungen gezogen wird.
Dort müssten Beschuldigte gleich zu Beginn des Prozesses ihre Personalien, Familiensituation, Einkünfte und andere Informationen offenlegen. Für die Zuschauer im Gerichtssaal würden diese Angaben bekannt, auch wenn am Ende ein Freispruch erfolge. Dass dies bei der Diskussion über Begnadigungen im Parlament anders ist, halten Haller und Stutz für «nicht nachvollziehbar und in keiner Weise gerechtfertigt».
Regierung befürchtet Pranger
Dies sieht der Regierungsrat völlig anders. Er lehnt die Motion aus verschiedenen Gründen ab. Die Regierung hält fest, in den Akten zu den Begnadigungsgesuchen, die alle Grossräte einsehen könnten, seien die Personalien der Gesuchsteller aufgeführt. Es gehe nur um die Frage, ob die zusätzliche Namensnennung im Saal erforderlich oder sinnvoll sei.
Und das ist sie aus Sicht der Regierung nicht, zumal die Grossräte bei Begnadigungsgesuchen an die Schweigepflicht gebunden seien. Das heisst im Klartext: Ratsmitglieder dürfen die Akten und Personalien der Gesuchsteller einsehen, um eine Grundlage für ihren Entscheid zu haben, die Namen der Betroffenen aber nicht öffentlich machen.
Die Bekanntgabe der Gesuchsteller in der Debatte könnte aus Sicht der Regierung die Gefahr von Amtsgeheimnisverletzungen erhöhen. Und sie könnte «eine gewisse Prangerwirkung auslösen, was zu vermeiden oder mindestens nicht aktiv zu initiieren ist». Weiter hält die Regierung fest, eine Begnadigung sei ein Gnadenakt und kein durchsetzbarer Rechtsanspruch. Begnadigungen seien «einer materiellen Überprüfung durch richterliche Instanzen weitgehend entzogen».
Darum bestehe «kein Bedürfnis nach einer Kontrolle durch die Öffentlichkeit». Dies sei bei Gerichten anders, wo jede Form von Kabinettsjustiz verhindert werden solle. Zudem solle die Öffentlichkeit die rechtmässige Urteilsfindung und die richtige Besetzung des Gerichts kontrollieren können.