
Bircher: «Grundlage schaffen, um Sozialhilfe nicht mehr in Form von Bargeld auszuzahlen»
Im Oktober wurde sie trotz Sitzverlust der Partei in den Nationalrat gewählt, im Dezember sass sie an ihrer ersten Session drei Wochen lang im Bundeshaus. Das letzte war ein ereignisreiches Jahr für die Aarburger SVP-Gemeinderätin Martina Bircher. Über die Festtage war sie wieder mehr zu Hause bei Partner und Sohn. Und sie fand Zeit, mit dem ZT über die ersten Erfahrungen in Bundesbern zu sprechen.
Sie starteten mit einer spannenden Bundesratswahl in den Nationalrat. Cassis oder Rytz. Wen haben sie eigentlich gewählt?
Martina Bircher: (lacht) Ich habe die Kontinuität höher gewichtet.
Warum haben Sie keine grüne Frau gewählt?
Weil wir als Fraktion sagten: Wir stehen zur Zauberformel und halten die Kontinuität hoch. Die Grünen haben zwar gewonnen. Aber man muss schauen, ob das so bleibt.
Gemessen an eigenen Aussagen der SVP ist das ja inkonsequent. Die Partei hat 1999 sofort auf zwei Bundesräte gepocht, als sie arithmetisch Anspruch darauf hatte.
Erhalten hat man den zweiten Sitz auch erst vier Jahre später. Ich verstehe die Forderung der Grünen durchaus. Man kann ja in vier Jahren schauen, wie es aussieht.
Sie sitzen nun in der Staatspolitischen Kommission (SPK). Müsste man den Bundesrat vergrössern?
Nein. Für mich ist es kein Thema. Wenn es Vorstösse gibt, muss man das seriös prüfen.
Sie SPK war ihre Wunschkommission?
Ich hatte zwei Wunschkommissionen. Als Neuling erhielt ich nur eine, bin aber froh darum. Ich hatte noch die Gesundheitskommission angegeben.
Sie betreuen auf Gemeindeebene das Sozialdossier. Was ist die wichtigste Idee, die sie einbringen wollen?
Etwas, das mir ein Dorn im Auge ist und ich weder auf Gemeinde- noch auf Kantonsstufe lösen kann, sind die Auszahlungen ins Ausland. Viele Flüchtlinge leben von der Sozialhilfe. Diese schicken zum Teil viel Geld in ihre Heimat. Ich wollte eigentlich eine Prepaid-Karte einführen, auf die man die Sozialhilfe lädt und die Bargeldfunktion sperrt. Heute können die Leute von ihrem Konto Bargeld abheben und diese via einen Anbieter wie Western Union in die Heimat schicken. Das ist eigentlich eine Zweckentfremdung der Sozialhilfe. Denn diese ist für das Existenzminimum und die Teilnahme am sozialen Leben bestimmt. Ich möchte daher unterbinden, dass die Leute Geld nach Hause schicken.
Wie stellt man denn diese Geldtransfers fest?
Es gibt dazu eine Studie der Weltbank. Auch der Bund hat das untersucht. Und ich habe das in Gesprächen mit Sozialhilfeempfängern festgestellt. Da gibt es solche, die sagen, sie würden 30 bis 40 Prozent der Sozialhilfe in die Heimat schicken. Das ist aus ihrer Perspektive verständlich. Man will ja den Leuten zu Hause helfen. Aber es ist aus unserer Sicht nicht rechtens. Wenn man es beweisen könnte, kann man auch rechtlich vorgehen.
Was wäre konkret ihre Lösung?
Man könnte zum Beispiel Bargeldzahlungen an gewisse Länder einschränken. Und man könnte die gesetzliche Grundlage schaffen, dass Sozialhilfe nicht in Form von Bargeld gezahlt wird, sondern zum Beispiel in Form von Karten.
Was war ihre wichtigste Erfahrung in der ersten Session?
Ich hielt mein erstes Votum gegen die Pflegeinitiative. Es ist schon etwas anderes, als in Aarau im Grossen Rat – deutlich imposanter. Dazu kommt die Mehrsprachigkeit. Ich habe gar nicht so weit gedacht. Und man muss auch Fragen beantworten können, aus dem Stegreif.
Sie selber haben auch schon eine Frage gestellt. Hielten sich also in der ersten Session keineswegs zurück wie andere Neue.
Ich fragte, ob es in der ersten Session ein Redeverbot gebe wie im Ständerat. Es hiess, im Nationalrat dürfe man das schon. Ich wurde gar motiviert. Die erste Frage stellte ich in der Cannabis-Debatte.
Sind Sie beim Thema Kiffen liberal oder konservativ?
Nein, da bin ich schon konservativ. Kiffen hat negative Folgen. Es ist eine Einstiegsdroge. Ich bin auch Stiftungsrätin der Aargauer Suchthilfe.
Die erste Abstimmung war zur Lobbying-Akkreditierung. Da haben sie gleich gegen die Parteilinie für die Akkreditierung gestimmt. Warum?
Weil ich das als sinnvoll erachte. Man soll doch wissen, wer Lobbyist ist und welche Interessen diese verfolgen. Ich sehe nicht ein, warum man das nicht offenlegen kann.
Das Lobbying ist auf Bundesebene sicher massiver als beim Kanton.
Man wird von Einladungen überschwemmt. Ich war an ein, zwei Anlässen. Da lernt man neue Leute kennen. Man muss sich einfach bewusst sein, dass man selber entscheiden muss. Auch kleine Geschenke erhält man. Nur weil ich Unterhosen erhalten habe, wechsle ich aber nicht meine politische Meinung.
Sie sind aber kritisch gegenüber Verbandelungen.
Die Interessengruppen sollen ihre Standpunkte darlegen. Dann kann ich mir ein Bild machen. Schlussendlich müssen auch die Lobbyisten wissen, dass wir im Rat das Volk vertreten und nicht irgendwelche Lobbys. Ich möchte nach bestem Wissen und Gewissen abstimmen.
Sie haben zwei Zutritts-Badges zu vergeben. Wer erhält diese?
Bis jetzt niemand.
Wie verlief ihre Eingewöhnung in die nationale SVP-Fraktion?
Ich versuche – wie immer – mit Dossierkenntnissen und mit meiner Arbeit zu überzeugen. Es kamen auch schon ein paar und sagten, ich hätte einen guten Ruf. Ich habe mich auch bei der Gesundheitskommission als Ersatz angeboten, damit ich da einen Fuss in den Themen habe.
Sie stärken den Frauenflügel in der SVP, Sie haben auch einen Frauenwahlkampf gemacht. Gibt es Frauenanliegen, die sie einbringen wollen?
Nein, ich habe mir jetzt nicht explizit auf die Fahne geschrieben, in Bern klassische Frauenthemen zu vertreten. Das sind ja auch nicht meine Themengebiete. Ich kann mir aber durchaus vorstellen, dass ich in einer politischen Diskussion als Frau mal eine andere Ansicht habe als ein Mann. Und dann werde ich meine Meinung sagen.
Die SVP-Frauen gibt es auf nationaler Ebene nicht mehr. Was ist ihre Haltung zu Frauen-Sektionen?
Im Aargau haben wir die SVP-Frauen noch. Ich bin dort im Vorstand und finde es gut, dass es sie gibt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich Frauen ein politisches Amt nicht so zutrauen. Im geschützten Rahmen traut sich die eine oder andere Frau mehr und kann ein Selbstbewusstsein aufbauen. Es gibt ja auch kritische Stimmen, die sagen, so was brauche es nicht. Dann sage ich: Die Männer machen das ja auch. Der Rotary-Club in Zofingen, zum Beispiel, ist ja auch ein reiner Männer-Club. Und der ist ja noch ein angesehener erlauchter Kreis.
Sie sitzen als Neue weit vorne, neben Andreas Glarner. Anders Benjamin Giezendanner. Der darf schon weiter hinten neben den Altgedienten sitzen, was in der Fraktion schon für Unmut gesorgt hat.
Ich rede jetzt nur für mich. Ich sitze sehr gerne neben Andi Glarner. Und ich glaube, der Andi und ich können da vorne zusammen sehr viel bewegen. Er ist ja auch ein engagierter Asyl-Politiker.