Brisante Forderung: Nachts nur noch Tempo 30 auf allen Aarauer Strassen?

Noch mehr herunterschalten? Auf den meisten Aargauer Quartierstrassen gilt heute Tempo 30. Nicht so auf den Kantonsstrassen, wo praktisch überall noch immer mindestens 50 km/h gefahren werden darf – so es die Verhältnisse und die Staulage zulassen. Der Kanton schliesst bisher eine Einführung von Tempo 30 auf seinen Strassen strikt aus.

Doch der politische Druck seitens der Tempo-30-Befürworterinnen und Befürwortern steigt. Sie geben jetzt im Kampf für ihr Anliegen noch mehr Gas. In der grössten Aargauer Stadt, in der Kantonshauptstadt, soll flächendeckend Tempo 30 eingeführt werden – jeweils nachts zwischen 22 und 6 Uhr.

Das fordert die Gruppierung Aarau Mobil, die am Pfingstmontag eine entsprechende Petition auf «petitio.ch» lanciert hat. Dem Vorstand von Aarau Mobil gehört SP-Nationalrätin Gabriela Suter an. Sie ist seit Kurzem auch Präsidentin des Vereins Lärmliga Schweiz.

Der Verein Aarau Mobil hat sich zum Ziel gesetzt, «den Anteil des Fuss-, Velo- und öffentlichen Verkehrs am städtischen Verkehrsmix zu erhöhen, sowie eine nachhaltige Mobilität und hohe Aufenthaltsqualität in der Stadt Aarau zu gewährleisten».

Den grössten Erfolg konnte die Gruppierung im Frühling 2016 feiern, als die Aarauerinnen und Aarauer den Gegenvorschlag zu ihrer Initiative «Für eine zukunftsfähige Mobilität» annahmen. Damit wurden übergeordnete, strategische Ziele der städtischen Verkehrspolitik in der Gemeindeordnung festgeschrieben – bisher mit beschränkten praktischen Auswirkungen.

«Nachts ist der Lärm störender»

Jetzt packt Aarau Mobil das an, was Co-Präsident Erich Niklaus als Tabuthema bezeichnet: Die generelle Einführung von Tempo 30. Und zwar vorerst nachts. «Dann gibt es mehr Argumente dafür», sagt Niklaus. Etwa weil der Lärm nachts störender sei. Aber auch weil es weniger Verkehr habe. Das mit zwei Auswirkungen: Es könne häufiger mit 50 km/h gefahren werden. Und es seien weniger Verkehrsteilnehmer betroffen, weil weniger unterwegs seien.

Das Hauptargument für «Nachts generell 30» sei der Lärm. «Er steht im Vordergrund», erklärt Niklaus. In der «petitio.ch»-Petition heisst es: «Heute gilt auf den stark befahrenen Strassen in Aarau Tempo 50, zum Beispiel auf der Entfelderstrasse, Erlinsbacherstrasse, oder Tellistrasse. Der damit verbundene Verkehrslärm ist eine grosse Belastung für die Anwohnerinnen und Anwohner, besonders in der Nacht.» Denn der Lärm sei gesundheitsschädlich und beeinträchtige die Wohnqualität erheblich.

Lausanne, Fribourg, Aarau

Erich Niklaus, Co-Präsident Aarau Mobil. Im Hindergrund: SP-Nationalrätn Gabriela Suter.

Erich Niklaus, Co-Präsident Aarau Mobil. Im Hindergrund: SP-Nationalrätn Gabriela Suter.

Urs Helbling

Aarau soll sich als erste Stadt im Kanton ein Beispiel nehmen an den Pionierstädten Lausanne und Fribourg, wo die Einführung von Tempo 30 zwischen 22 und 6 Uhr bereits sehr weit fortgeschritten sei. «Diese Lösung bietet sich auch für Aarau an!», sind die Petitionäre überzeugt.

Basierend auf Versuchen, etwa in Lausanne, schreiben sie, eine Temporeduktion von 50 auf 30 km/h würde die Lärmstörung bereits um durchschnittlich drei Dezibel reduzieren. «Bei Tempo 50 würde man diese Reduktion nur mit einer Halbierung des Verkehrs erreichen», so die Petitionäre. Bei Tempo 30 gebe es zudem weniger schwere und vor allem weniger tödliche Unfälle. Zudem entstünden weniger Luftschadstoffe.

Aarauer Stadtrat soll beim Kanton vorstellig werden

Der Weg zum nächtlichen Schleichverkehr führt über den Regierungsrat. Deshalb wird in der Petition gefordert: «Der Stadtrat soll sich beim Kanton für die Einführung von Tempo 30 in der Nacht auf dem gesamten Aarauer Strassennetz einsetzen.» Die Massnahme sei einfach und kostengünstig. «Mit wenig Aufwand (Signalisation im Strassenraum) und finanziellen Mitteln kann die Qualität im städtischen Lebensraum gesteigert werden, ohne dass die Mobilität grundsätzlich und schwerwiegend eingeschränkt wird.»

Und wie wird Tempo 30 durchgesetzt? Gibt es mehr Radarkontrollen? Nach der Einführung werde man wohl mehr Stichkontrollen machen müssen, sagt Erich Niklaus. Aber grundsätzlich führe man ja nichts Neues ein. Es bleibe bei einem Tempolimit: neu einfach 30 statt 50.

Lausanne ist in der Diskussion am weitesten

Die Stadt Zürich nimmt für sich in Anspruch, die landesweit erste Tempo-30-nachts-Strecke zu haben: Das entsprechende Schild ist im August 2020 enthüllt worden. An der Höschgasse. Zuvor hatte Zürich im Sommer 2018 mittels Versuch getestet, ob eine nächtliche Temporeduktion tatsächlich weniger Lärm zur Folge hat.

Ähnliches hat im viel grösseren Stil die Stadt Lausanne gemacht: Sie ist so etwas wie der «Tempo 30 nachts»-Pionier der Schweiz. Ein Versuch hat gezeigt, dass die Lärmbelastung um durchschnittlich zwei bis drei Dezibel sinkt. Ende 2019 hat Lausanne in Zusammenarbeit mit dem Kanton Waadt in einem Grundsatzentscheid beschlossen, nachts auf den Hauptachsen Tempo 30 vorzuschreiben. Das Geld dafür, 4,5 Millionen Franken, liegt bereit, ein Rekurs hat eine rasche Umsetzung der Massnahme verhindert.