Camper-Boom: Diese zwei Büssli-Bauer haben den perfekten Moment für die Selbstständigkeit erwischt

Zurück daheim war plötzlich alles anders. Erschreckend irgendwie, dieses Sesshafte, dieses Daheimsein an einem Ort. «Wenn man einmal alles hinter sich gelassen, alle Zelte abgebrochen und Strukturen verlassen hat, dann hat das Zurückkehren in das Gewohnte etwas Irritierendes», sagt Nicole Grauer (40). Und Martin (36), ihr Mann, nickt. Das war er also, der Moment. Der Grundstein für das, was Martin und Nicole Grauer seit fast genau einem Jahr ihr Eigen nennen: «Two Stories», ihre eigene, gemeinsame Firma für den Ausbau und Umbau von VW-Campern. Eine Geschichte, die so erfolgreich ist, dass die beiden manchmal kaum schlafen können.

 
 
 
Nicole Grauer.

Nicole Grauer.

Britta Gut

Das VW-Büssli, das war ihr Gefühl von Freiheit; grösstmöglicher Freiheit nach einer mehrmonatigen Weltreise durch Asien und Neuseeland. «Mit einem Bus kann man einfach auf und davon, ohne Ziel vor Augen», sagt Nicole. Und Martin, gelernter Automechaniker, kaufte einen VW T5 Transporter und baute ihn aus. Selber, natürlich. Nie hätte er ein fixfertiges California-Modell gekauft. «Das ist wie Siedlungsbau, alles gleich, alles genormt.» Was er will, ist bedürfnisgerechte Einzigartigkeit. «Unsere Camper sind Altstadtwohnungen.» Das war 2016. Seither sind sie viel gereist, monatelang, waren mal hier, mal da, immer mit Camper. Im Herbst 2019, während einer viermonatigen Tour durch Australien und Bali, reifte der Wunsch nach noch mehr Selbstständigkeit. Nicht nur beim Reisen, sondern auch im Berufsleben. Martin kündigte seinen gut bezahlten Job. Am 9. März 2020. Vier Tage vor der Lockdown-Ankündigung. «Vier Tage», sagt Martin Grauer. Er lacht und es klingt fast so, als wäre er noch immer von seinem eigenen Wagemut überrascht.

Martin Grauer.

Martin Grauer.

Britta Gut

Und waghalsig war es durchaus, das war ihnen auch damals klar. Ihre Eltern hatten sie nicht eingeweiht, zur Schonung. «Dabei ging alles so einfach», sagt Nicole Grauer. Mit nur einer Mail nach Hamburg war die Zusammenarbeit mit «Bullifaktur» aufgegleist; «Two Stories» ist die einzige Schweizer Vertretung derer nachhaltiger Holzausbauten. Und dann kam eines nach dem andern. Und lief. So geschmiert, dass es den beiden gar schlaflose Nächte bereitete. Rückblickend haben die beiden im März 2020 alles richtig gemacht: Sie haben sich in einer boomenden Branche selbstständig gemacht, die dank Corona durch die Decke geht. Die Nachfrage nach Campern ist riesig. «Und wir zünden nun den zweiten Turbo: Wir bieten Camper, die nicht nur funktional, sondern stylish sind», sagt Martin Grauer. Will heissen: ein modularer Innenausbau mit Holz in bester Qualität. Für den ganz individuellen Look sorgen farbige oder gemusterte Sitzbezüge, die passende Aussenfolierung oder Solarzellen auf dem Dach. Heimelig und einzigartig. Altbauwohnung eben. Das sieht dann etwa so aus:

Britta Gut

Nach Altbaustube sieht es auch im Geschäftssitz von «Two Stories» aus. Mit Grossmutters Samtsofa, Wisa-Gloria-Rössli und einem Seemannskoffer als Tisch, ganz unerwartet so mitten in Gretzenbachs Industriequartier. Bei ihnen sollen sich die Kunden wohlfühlen, wie daheim eben:

Britta Gut

Die Werkstatt bietet Platz für zwei Camper – und die sind immer belegt, fünf Wagen sind aktuell in Arbeit. 15 Camper konnten die beiden im ersten Jahr umbauen, von Neuwagen bis zum in die Jahre gekommenen Occasionsmodell, für Kunden zwischen 25 und 70 Jahren; mehr, als sie sich hatten träumen lassen. Und für dieses Jahr sind die Auftragsbücher auch bereits bis August gefüllt.

Die Inneneinrichtung wird von der Bullimanufaktur in Hamburg hergestellt und von Martin eingebaut.

Die Inneneinrichtung wird von der Bullimanufaktur in Hamburg hergestellt und von Martin eingebaut. Britta Gut

Seit ein paar Wochen haben die beiden einen Teilzeitmitarbeiter; alleine wäre es nicht mehr zu stemmen gewesen. Selber verreisen mit dem Camper liegt aktuell nicht drin, die Ausfahrten beschränken sich quasi auf die Strecke Gretzenbach – Suhr; da wohnen die beiden mit ihrer Tochter. Was für ein Stress! Ja, stressig sei es, sagt Martin Grauer. «Aber positiver Stress. Wir tun das, wofür wir leben; das macht uns extrem glücklich.» Und die beiden haben noch lange nicht genug. Sie sprühen. «Der Sprung in die Selbstständigkeit ist wie der Entscheid fürs Reisen», sagt Nicole Grauer. «Jeder sieht nur die Hürden, vor allem die Menschen um einem herum. Aber wenn man sich erst einmal traut, dann merkt man, wie einfach es ist. Und wie befreiend.» 

 

Britta Gut

Ihr grosser Traum: ein Campingplatz in Aarau. Nicht funktional, sondern mit Stil. Naturnah, nachhaltig. Und mit gutem Essen. «Damit wäre der Erfolg garantiert», sagt Martin Grauer. Das Bedürfnis nach solchen Plätzen sei riesengross und das Angebot in der Schweiz furchterregend schlecht. Und in einem sind sie sich die beiden absolut sicher: «Das Thema Camping wird in den nächsten Jahren noch viel, viel grösser.»