Cassis Europa-Plan: Institutionelle Anbindung ab 2024 wieder auf dem Tisch

Als Staatssekretärin Livia Leu am 26. Mai in Brüssel aufkreuzte, um den Abbruch der Verhandlungen über das Rahmenabkommen zu verkünden, sorgte das bei ihren Gesprächspartnern für lange Gesichter. Dass es in der Schweiz schlecht um das Abkommen stand, war bekannt. Dass der Bundesrat aber definitiv den Stecker ziehen würde, damit hatte schlussendlich niemand gerechnet.

Umso mehr liegt der Ball in den Augen Brüssels jetzt im Feld der Schweizer. Bei ihrem Besuch in der EU-Zentrale am kommenden Freitag wird Leu Gelegenheit haben, die mittelfristigen Pläne der Landesregierung vorzustellen. Die Grundzüge dieser Strategie hatte Aussenminister Ignazio Cassis am vergangenen Freitag in einer Rede vor Wirtschaftsvertretern in Basel umrissen.

Phase 1: Beschwichtigen – Phase 2: Stillhalten – Phase 3: Neustart?

Es handelt sich demnach um einen 3-Phasen-Plan: Bis Ende 2021 beschäftigt sich der Bundesrat mit den Aufräumarbeiten nach dem Crash. Das heisst: Klinkenputzen in den EU-Hauptstädten, wo Cassis bereits bei rund einem Dutzend seiner Ministerkollegen den Abbruch erklärt hat. Parallel will man mit der Freigabe des 1,3 Milliarden Franken Kohäsionsbeitrags die Gemüter beruhigen.

Ab dem neuen Jahr und bis 2023 gilt es dann, wieder vorwärtszuschauen. Innenpolitisch soll mit den Kantonen und dem Parlament, wie auch mit der Wirtschaft, den Sozialpartnern und Interessengruppen eine breite Europa-Debatte geführt werden. Mit Brüssel erhofft sich der Aussenminister in einen «strukturierten Dialog» zu treten. Das Ziel ist, sich regelmässig auf politischer Ebene treffen, um spezifische Probleme zu lösen. Ob das funktioniert, sei dahingestellt. In Brüssel heisst es, man brauche «keinen Dialog um den Dialog» willen. Die Probleme seien bekannt und Lösungen in jahrelangen Verhandlungen entwickelt worden.

Interessant wird es ab 2024. In dieser Phase geht es laut Cassis darum, das «Ambitionsniveau einer institutionellen Anbindung» der Schweiz an die EU zu definieren. Anders ausgedrückt: Ab 2024 liegen die institutionellen Fragen wie dynamische Rechtsübernahme und die Rolle des Europäischen Gerichtshof wieder auf dem Tisch.

Kaum zufällig beim bundesrätlichen Plan ist, dass dieser um die eidgenössischen Wahlen im Oktober 2023 herumgebaut wurde. Das kann man als Bestätigung jener sehen, die immer gesagt haben, das Rahmenabkommen wurde nicht wegen seines Inhalts, sondern aus wahltaktischen Gründen abgelehnt. Genauer: weil man der SVP keine Steilvorlage liefern wollte.

Dazu SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi: «Für uns war immer klar, dass das nur ein Etappensieg war. Die Gefahr besteht, dass wir nach den Wahlen einen Rahmenvertrag vorgelegt bekommen, der sich vom jetzigen kaum unterscheidet»

Auf der anderen Seite des politischen Spektrums ist man auch nicht überrascht: «Die institutionellen Fragen lösen sich nicht in Luft auf», sagt SP-Nationalrat und Aussenpolitiker Eric Nussbaumer. Seiner Meinung nach kann der Bundesrat nicht bis 2024 warten, sondern muss bereits kommendes Jahr konkrete Lösungen vorschlagen. Und FDP-Ständerat Damian Müller findet, ob vor oder nach den Wahlen sei eigentlich einerlei. Wichtig sei vor allem, die richtigen Schlüsse aus dem Verhandlungsende zu ziehen. Das gelte insbesondere für die Streitbeilegung und die Mitsprache des Parlaments.