
Das Schweizer Fernsehen führt eine Frauenquote in seinen Infobeiträgen ein
Das Nachrichtenmagazin «10 vor 10» berichtete vor einer Woche über Urs Rohner und dessen durchzogene Bilanz als Präsident der Credit Suisse. Im Beitrag trat zuerst eine emeritierte Professorin für Finanzrecht auf. Und dann eine Professorin für Betriebswirtschaftslehre.
Zwei Frauen also aus einem Bereich, in dem die Männer in der Überzahl sind. Das ist kein Zufall. Die neuen publizistischen Leitlinien des Schweizer Fernsehens, die Anfang April publiziert worden sind, behandeln auf den Seiten 77 und 78 das Thema «Genderneutral und diskriminierungsfrei berichten.» Darin heisst es: «Wir streben bei Expertinnen und Experten ein ausgeglichenes Verhältnis an, Zielgrösse ist 50:50.»
Das bedeutet: In den Informationssendungen von SRF sollen gleich viele Fachfrauen wie Fachmänner auftreten. «Es ist verbindliche Aufgabe der Redaktionen, in ihren Fachbereichen Expertinnen zu finden und zu befragen», steht in den Leitlinien. Und weiter: «Jede einzelne Journalistin, jeder einzelne Journalist achtet auf eine ausgeglichene Bilanz. Die Vorgesetzten fordern diese aktiv ein.»
Expertinnen zu finden, bedeutet mehr Aufwand
Lis Borner, Chefredaktorin Audio, erklärt auf Anfrage, es gehöre zum journalistischen Selbstverständnis von SRF, «alle Stimmen der Gesellschaft adäquat zu Wort kommen zu lassen.»
Das klingt gut, aber ist es nicht wichtiger, die kompetenteste Stimme – sei sie weiblich oder männlich – einzuholen, als auf das Geschlecht der Auskunftsperson zu achten? Borner entgegnet, dass die publizistische Qualität des Angebots selbstverständlich im Vordergrund stehe. Sie betont:
«Frauen liefern Qualität ebenso wie Männer.»
Sobald bei einem bestimmten Themengebiet zwei gleichwertige Fachpersonen zur Auswahl ständen, seien die Journalistinnen und Journalisten dazu angehalten, Expertinnen zu befragen.
Die Chefredaktorin räumt ein, dass die Redaktionen wegen der Geschlechtervorgabe Mehrarbeit leisten müssen. «Da in vielen Bereichen oder Hierarchiestufen Frauen unterrepräsentiert sind, sind sie dementsprechend auch medial weniger sichtbar. Es braucht deshalb etwas mehr redaktionellen Aufwand, Expertinnen zu finden. Diesen Zusatzaufwand leisten wir, weil zur Perspektivenvielfalt auch ein ausgeglichenes Verhältnis von Expertinnen und Experten gehört», betont Borner.
Die SVP hält nichts von der neuen Leitlinie
Wie kommt die SRF-Frauenquote in der Parlamentskommission an, die sich mit Medienfragen beschäftigt? Nationalrätin Edith Graf-Litscher (SP) findet es richtig, dass das Schweizer Fernsehen die Gesellschaft in ihrer Vielfalt abbilde. «Darum begrüsse ich es, wenn die Redaktionen nach Expertinnen suchen, die Auskunft geben können – auch wenn das vielleicht manchmal mit mehr Aufwand verbunden ist.» Am Anfang der Coronakrise habe man immer nur Männer gesehen, welche die Lage eingeschätzt hätten. «Nun treten in den Medien auch Expertinnen auf. Das empfinde ich als positiv.»
Anderer Meinung ist Nationalrat Gregor Rutz (SVP). «Man muss die Besten holen, die etwas zu sagen haben – unabhängig vom Geschlecht», meint er. Was das Schweizer Fernsehen hier aufziehe, sei eine «absurde Bürokratie». Inhalte müssten zählen, nicht das Geschlecht.