
«Der Aargau muss in Kultur investieren»: Das sagt der Aargauer abtretende Kulturchef
Thomas Pauli
Ende Februar ist praktisch, Ende März offiziell Schluss im Aargau. Thomas Pauli, seit Herbst 2013 Leiter der Abteilung Kultur beim Kanton, wird Direktor am Historischen Museum in Bern. Er ist 1966 geboren und in Solothurn aufgewachsen, studierte Archäologie und Geschichte sowie Kulturmanagement. Seit 2001 arbeitet er beim Kanton Aargau, erst in der Archäologie, dann als Direktor des Museums Aargau. Er wohnt mit seiner Familie in Wildegg. (sa)
Wir treffen Thomas Pauli in seinem Büro, er hat sich vorbereitet, wie die Blätter vor ihm zeigen. In Erinnerung ist sein Auftritt am Aargauer Kulturforum. Kurz davor war bekannt geworden, dass er als Chef der Abteilung Kultur gekündigt hatte, um Direktor des historischen Museums in Berns zu werden. Pauli wirkte beflügelt und enthusiastisch wie selten zuvor.
Was war an Ihrer Aufgabe im Aargau so beschwerend, dass man Sie vorher kaum je so erlebt hat?
Thomas Pauli: Vielleicht haben Sie mich zu wenig oft gesehen (lacht). Am Kulturforum hat mich nicht meine Kündigung beflügelt, sondern weil unser Kulturkonzept Früchte trägt. Weil die Schwerpunkte und die Massnahmen, die wir darin definiert haben, um die Kultur im Kanton weiterzubringen, zu einem grossen Teil umgesetzt oder am Laufen sind. Das einer Community zurück spiegeln zu können, das beflügelt.
Sie schauen also zufrieden auf Ihre fast sieben Jahre als Kulturchef zurück?
Ich finde, wir haben in der Abteilung Kultur einen guten Lauf, ja. Auch dank dieser Spur, die wir im «Kulturkonzept 2017-2022» gelegt haben. Für mich war es das Schlüsselprojekt – aufbauend auf dem Kulturgesetz eine Leitplanke zu setzen und zu sagen: Das und das wollen wir erreichen. Und es der Politik frühzeitig zu kommunizieren.
Hat der Grosse Rat das begriffen?
Als ich angefangen habe, waren die Kommissionen des Grossen Rates schlechter informiert über die Kulturpolitik. Jetzt haben sie eine Grundlage darüber, was die Abteilung Kultur und das Kuratorium machen, wie der Meccano der Kulturförderung funktioniert. Der Goodwill für die Kultur ist gestiegen, weil wir zielorientiert und proaktiv arbeiten – und nicht nur verwalten (lacht), das könnte ja ein Vorwurf sein…
Was konnten Sie nicht erreichen?
Dass sich der Aargau in puncto kantonaler Finanzierung der Kultur von seinem Platz im hinterem Viertel unter den Kantonen nicht nach vorne bewegen konnte.
Im Klartext: Er lag auf Platz 19, nun auf Platz 22.
In der neuesten Statistik der Kulturausgaben inklusive Swisslos-Fonds sind wir auf Rang 20. Aber auch das ist für den viertgrössten Kanton kein gutes Zeichen. Meiner Meinung nach muss der Aargau in Kultur investieren, wenn er mit den prosperierenden Grossräumen rundum mithalten und in punkto Urbanität zulegen will – und urbanes Lebensgefühl ist der Zukunftstrend.
Glauben Sie, das passiert?
Das war in den Sparjahren bis 2018 nicht möglich, aber seit letztem Jahr zeigt der Trend im Kulturbudget wieder nach oben. Das ist erfreulich. Jetzt wird es Aufgabe der neuen Kulturköpfe sein, die Kurve weiter nach oben zu bringen.
In der Kulturszene herrscht Unzufriedenheit mit der Kulturförderung. Alles ist eng, die Betriebsbeiträge decken die Kosten nicht, abheben kann keine Institution.
Was heisst abheben? Ich habe kein grosses Projekt erlebt, das der Kanton nicht wesentlich mitfinanziert hätte. Das Stapferhaus haben wir in der heftigsten Sparphase mit 14 Millionen unterstützt. An die Umbauten in Boswil, beim Kurtheater Baden, dem Burghaldenmuseum Lenzburg und der Reithalle Aarau hat die Regierung Millionen aus dem Swisslos-Fonds bewilligt.
Das sind Infrastrukturbeiträge, es harzt aber bei den Betriebskosten.
Dass die Betriebe auf dem Zahnfleisch laufen, hören Sie wahrscheinlich aus allen Kantonen. Im Aargau kommt dazu, dass die private Finanzierung schwieriger ist, was den Druck auf die öffentliche Hand verstärkt. Mit der Schaffung der Leuchttürme hat der Kanton 2010 bei den grösseren Institutionen für Entlastung gesorgt.
Mit Betriebsbeiträgen von 145000 bis 390000 Franken pro Jahr lässt sich aber kein Betrieb finanzieren.
Das Instrument ist gut und wichtig. Dass man dort nicht kürzen sollte wie während der Sparjahre, sondern mehr investieren, liegt für mich auf der Hand. Man sollte bei den Leuchttürmen zudem abklären: Was können sie durch Eigeneinnahmen und aus dem privaten Bereich nicht decken? Man sollte auch klären, welche weiteren Institutionen dazu kommen sollen. Neue Gesuche gab es in den letzten Jahren aber nicht.
Das war ja auch nicht zu erwarten, nachdem der Grosse Rat das Budget gekürzt und Regierungsrat Alex Hürzeler öffentlich erklärt hatte: Mehr Leuchttürme gibt es nicht.
Das war sicher ein Bremser. Wobei er nicht alleine entscheiden kann, sondern der Regierungsrat auf Empfehlung der Kulturkommission. Sich anmelden hätte man trotzdem können.
Man müsse die Kulturfinanzierung, die Aufgabenteilung von Kanton, Kuratorium und SwisslosFonds, neu denken, schlägt Theatermann Peter Kelting vor. Der Kanton soll generell für die Betriebskosten zuständig sein, damit das Kuratorium Kunstschaffende wieder besser fördern könnte. Braucht es einen Systemwechsel?
Nach 50 Jahren Kulturgesetz und Kuratorium sollte man offen fragen, funktioniert das System oder gäbe es ein besseres? Eine solche Auslegeordnung, diese Denkarbeit, sollte man leisten. Aber man darf sie nicht losgelöst von den notwendigen politischen Entscheiden machen. Die Revision des Kulturkonzeptes 2022 wäre eine Chance für ein grundsätzliches Hinterfragen.
Man vermisst den Mut, auch mal Risikokapital zu investieren und auf das Potenzial der Künstlerinnen und Künstler zu vertrauen.
Wir sind vom Gesetz her verpflichtet, bei wiederkehrenden Beiträgen Leistungsvereinbarungen zu machen. Geld geben, einfach weil man etwas eine gute Idee findet, das können wir nicht, weil die Reglementierung beim Swisslos-Fonds zu strikt ist. Das Kuratorium dagegen hätte hier viel freiere Hand. Das ist ein grosses Privileg!
In den letzten Jahren gab es eine Annäherung von Kuratorium und der Abteilung Kultur. Wie viele Nähe und Distanz braucht es hier?
Das ist eine wichtige Frage. Trotz aller Unabhängigkeit: Wir haben eine gemeinsame Verfassung, ein gemeinsames Gesetz, deshalb war es für uns klar: Ein Kulturkonzept, eine Strategie muss man gemeinsam entwickeln, um optimal Kraft zu entwickeln. Situativ müssen wir uns absprechen, wenn es um Projekte wie die Alte Reithalle geht. Aber 95 Prozent des Alltages passieren völlig getrennt.
Werden Sie in Bern mit Stolz über die Kultur im Aargau erzählen?
Ich werde einer der flammenden Botschafter sein. Ich werde sagen: Ihr unterschätzt den Kulturkanton! Wir haben einzigartige Kulturinstitutionen. Boswil, Stapferhaus, Tanz & Kunst in Königsfelden, die historischen Museen, die clever vermitteln: in den Schlössern, in Vindonissa, in Baden, Aarau oder Wohlen. Da gab es in den letzten 15 Jahren einen unglaublichen Schub.
Mangel hat der Aargau allerdings beim Nachwuchs. Wer Film, Theater oder Kunst studiert, muss weg – und kommt nicht mehr zurück.
Mit dem Braindrain hat der Aargau generell ein Problem. Der Aargau muss attraktiver werden. Das Kurtheater, die Alte Reithalle, die Ateliers im KiFF oder das Tanzforum sind Projekte, die Kräfte wieder in den Kanton bringen könnten. Das Kuratorium und der Regierungsrat müssen helfen, damit diese Gewächse kräftig werden können.
Wenn man Sie so hört, fragt man sich, warum Sie weggehen.
Es ist mir schwer gefallen, weil meine Aufgabe so spannend ist. Würde ich aber bis zur Pensionierung bleiben, würden das 18 Jahre. Das wäre zu lang. Vielleicht sind 6 Jahre etwas kurz, aber die neue Stelle in Bern führt mich wieder zurück zu meiner Passion: Archäologie, Geschichte und Vermittlung.
Es warten grosse Aufgaben am historischen Museum Bern: Der Bau eines Depots, die Gestaltung des Museumsquartiers, die Neupräsentation der Sammlung….
Ja, das Museum muss man neu erfinden. Es braucht viel Führungsarbeit, aber vor allem auch inhaltliche Weiterentwicklung. Neue Vermittlungsformate etwa. In der Abteilungsleitung im Aargau konnte ich Vieles zwar anstossen helfen, aber musste dann für die Umsetzung wieder loslassen.
Vermittlung ist Ihr Lieblingswort. Ist Ihre Botschaft: Kultur für alle?
Ich würde es anders formulieren: Wir Kulturakteure sind aufgefordert mit dem was wir machen, möglichst viele Leute zu begeistern und ihr Leben und ihre Vorstellungswelt zu bereichern.
Warum ist Ihnen denn das so wichtig?
Die Institutionen werden wesentlich durch öffentliche Gelder finanziert, also soll die gesamte Bevölkerung etwas davon haben. Und zweitens glaube ich, dass es für die gesunde Entwicklung einer Gesellschaft, ein spannendes Kulturleben braucht, in dem man sich selber reflektieren, seine Rolle in der Gesellschaft besser verstehen und sie debattieren kann. So kann man auch politisch klügere Entscheide treffen. Ohne Kultur bewegen wir uns rückwärts.