
Der ehemalige Chef von General Electric zettelt eine Schlammschlacht an: «Er beherrschte grundlegendste Dinge nicht»
In der bereits langen Saga vom Niedergang von General Electric wird ein weiteres Kapitel geschrieben, jenes von den öffentlichen Schuldzuweisungen. Der langjährige starke Mann beim Industriekonzern, Jeffrey Immelt, hat ein Buch veröffentlicht: «Hot Seat» (heisser Stuhl). Darin tut der ehemalige CEO und Verwaltungsratspräsident öffentlich Reue – und verteilt Hiebe gegen andere.
In der Regel war doch alles nicht allein seine Schuld. Wie die New York Times in einer Buchbesprechung schreibt, waren McKinsey, Goldman Sachs oder schlicht die Börse irgendwie immer mitverantwortlich. Und ganz eindeutig andere waren offenbar die Hauptschuldigen beim vermutlich grössten Desaster, das GE in den letzten Jahren befiel: der Kauf der Energiesparte des französischen Misch-Konzerns Alstom.
An die 10 Milliarden Dollar gab GE im Herbst 2015 aus, musste dafür zuvor den französischen Staat bezirzen – und schrieb diesen Kauf einige Jahre später auf null Dollar ab. Wobei GE damals die Finanzwelt in Staunen versetzte. Es vollbrachte das bilanztechnische Kunststück einen Kauf von 10 Milliarden abzuschreiben um den Betrag von 17 Milliarden Dollar.
Die Schweiz war von den Irrungen und Wirrungen bei GE direkt betroffen. Über dreitausend Arbeitsplätze gingen verloren. Das endgültige Ergebnis der vorläufig letzten Abbaurunde wurde erst diese Woche bekannt und endete mit dem Verlust von über 400 Stellen im Kanton Aargau. Der Standort im aargauischen Oberentfelden wird aufgelöst. Immerhin konnten 140 Stellen gerettet werden. Wobei in der Vergangenheit solche «Rettungen» nur von kurzer Dauer waren.
Vielleicht der schlimmste Fehler
Die Schuld für diese Fehleinschätzung wirtschaftshistorischen Ausmasses sieht Immelt bei anderen, obschon er für seine 16 Jahre an der Spitze von GE über 200 Millionen Dollar kassierte. In Immelts Erzählung heisst der Bösewicht Steve Bolze, Chef der Energiesparte von GE. Er habe eine der wichtigsten Sparten von GE schlicht an die Wand gefahren.
Bolze weibelte in der immeltschen Erzählung erst für den Alstom-Deal, habe sich aber nicht um die Durchführung des Deals gekümmert. Nicht engagiert sei er gewesen, habe es an jener Intuition fehlen lassen, die ein CEO haben müsse. Und Immelt reiht weitere unschöne Eigenschaften aneinander: naiv, unentschlossen, denkt nicht voraus, beherrscht die grundlegendsten Dinge nicht.
Mit diesen unvorteilhaften Beschreibungen war Immelts Wut auf Bolze noch nicht besänftigt. Bolze habe eine regelrechte Kampagne geführt, um ihn als CEO zu ersetzen. Darüber habe Bolze seine täglichen Pflichten als Chef der Energiesparte aufgegeben. Sein wichtigstes Anliegen sei die Selbstdarstellung gewesen, sein Verhalten unverschämt eigennützig. Ihn nicht entlassen zu haben, sei ein schrecklicher Fehler gewesen, schreibt Immelt.
«Vielleicht der schlimmste, den ich je gemacht habe.»
Zu einer Schlammschlacht gehören immer mindestens zwei. Bolze wehrt sich gegen Immelts schmutzige Attacken, jedoch auf etwas höflichere Weise. Viele hätten eine andere Perspektive auf dieses Kapitel in der Geschichte von GE, lässt sich Bolze verlauten. Er kam nach dem Alstom-Desaster bei der Investmentgesellschaft Blackstone wieder unter. Immelts Geschichte decke sich nicht mit den Fakten.
Hauen oder gehauen werden
Es gibt noch einen zweiten Bösewicht in Immelts Erzählung: Sein Nachfolger als CEO und Verwaltungsratspräsident kommt in seinem Urteil ebenfalls schlecht weg. John Flannery habe keine Entscheidungen treffen können. Schwerfällig sei er gewesen, habe immer eine Unmenge an Daten gebraucht, ehe er sich zu etwas durchringen konnte.
Flannery hatte den Alstom-Deal damals als «hochgradig strategisch» bezeichnet, mit «exzellenten Wachstumsaussichten.» Nach seiner Amtsübernahme als CEO schimpfte er über «schreckliche» Zahlen, die er von Immelt hinterlassen bekommen habe. Damals dringt aus GE heraus auch an die Finanzpresse, dass Immelt stets hinter seinem persönlichen Firmenjet noch einen Ersatzjet hinterher fliegen liess. Flannery stellt sich als derjenige dar, der hinter Immelt aufräumt. Nach 14 Monaten ist er entlassen, «mit sofortiger Wirkung».
Hauen oder gehauen werden – das scheint die Kultur an der Spitze von GE gewesen zu sein. Immelt berichtet, wie sehr ihn eine Episode mit seinem Amtsvorgänger geschmerzt habe. Jack Welch, zwanzig Jahre lang der Über-CEO von GE, hatte Immelt noch eigens als Nachfolger ausgewählt. Später lästerte Welch am amerikanischen Fernsehen, er würde eine Waffe herausholen und Immelt erschiessen, wenn dieser seine Finanzziele verfehle. Wenn man eine Organisation wie GE führe, kommentierte Immelt seine Zeit im «Hot Seat», habe man eine Menge falscher Freunde.