
Der Getriebene
Er kann nicht anders.
Als es im Mai diesen Jahres an einer Infoveranstaltung um die Auswirkungen des Schulhausneubaus auf die Finanzen der Gemeinde Reiden geht, sagt Gemeinderat Bruno Aecherli, was er für richtig und erwiesen hält: Nämlich, dass bei einem Ja die Pro-Kopf-Verschuldung gegen 7000 Franken betragen wird und nicht wie in der Abstimmungsbroschüre genannt 6000 bis 6500 Franken. Bruno Aecherli will für Transparenz sorgen. «So geht das nicht», erklärt der ihm vorgesetzte Gemeindepräsident und Versammlungsleiter und nimmt Aecherli das Mikrofon weg.
Einige Jahre zuvor, im Dezember 2014, möchte der Gemeinderat Reiden von den Stimmbürgern die Kompetenzen, sowohl die Fernwärmeanlage an die Korporation als auch die Liegenschaft mit dem alten Gemeindehaus verkaufen zu können. Konkrete Verkaufspreise nennt der Gesamtgemeinderat an der Gemeindeversammlung nicht. Der damalige Gemeindepräsident sagte einem Redaktor der Luzerner Nachrichten im Vorfeld, man habe das früher immer so gemacht. An der Gemeindeversammlung erklärt der Präsident den Stimmbürgern, man wolle die gemeindeeigenen Immobilien nicht verscherbeln. Bruno Aecherli steht an der Gemeindeversammlung mit gebührendem Abstand zum damaligen Gemeindepräsidenten. Aecherli blickt stoisch auf den Ratsvorsitzenden. Die Stimmbürger lehnen die Anträge für die Blankoschecks schliesslich ab. «So kann man nicht über das Eigentum der Gemeinde entscheiden», sagt Bruno Aecherli später. Denn er ist für Transparenz.
Immer wieder weist Bruno Aecherli auf die hohe Verschuldung der Gemeinde hin, die mittlerweile rund 40 Millionen Franken beträgt. Die Zahlen nagen an ihm. Die Gemeinderäte, die teilweise fast jahrzehntelang in den Gremien waren, verabschieden sich schliesslich 2016 in den politischen Ruhestand, ohne einen Weg aus der Misere aufzuzeigen. Bruno Aecherli will mehr Transparenz zu den Finanzen- und zu allen anderen Geschäften schaffen. Er will, dass die Bevölkerung Einblick in die Art und Weise der Geschäftsführung und daraus folgernd in die Konsequenzen der Entscheidungen erhält. Der Gemeindepräsident verordnet, dass nur er für die Informationspolitik zuständig ist – und kein anderer Gemeinderat. Bruno Aecherli soll wohl so ein Maulkorb verpasst werden.
Bruno Aecherli und die politische Vorgängergeneration: Sie trennen Welten.
Bruno Aecherli stammt ursprünglich aus einem bürgerlichen Zuhause. Während seine Mutter aus konservativem Hause stammt, der Vater ist FDP`ler. In der Familie wird viel über Politik gesprochen, kommunal, kantonal und national. Dazu sind zwei von Aecherlis Volksschullehrer in Reiden im Gemeinderat. «Das geht nicht spurlos an einem vorüber», sagt Bruno Aecherli. So wird er in jungen Jahren politisch «infiziert». Der Start in die Gemeindepolitik in Reiden erfolgt für ihn aber erst im Jahre 2014. Und über einen Umweg. Er gehört zu den treibenden Kräften der überparteilichen IG Reiden. Noch knapp zwei Wochen vor Anmeldeschluss für eine Gemeinderatsersatzwahl sagt er, eine Kandidatur komme für ihn nicht infrage. Es geht um einen Nachfolger des Finanzvorstehers. Als Bruno Aecherli jedoch mitbekommt, dass die CVP eine Kandidatin mit gesundheitsbranchenspezifischem Berufshintergrund ins Rennen schickt, entschliesst er, sich zur Wahl zu stellen. Denn Finanzen sind für ihn als früheren, langjährigen Bankkadermann und heutige selbstständige Immobiliendienstleister Kernkompetenzen. Im Mai 2014 wird er mit 1225 Stimmen gewählt, die Konkurrentin erhält lediglich 761 Stimmen. Ein deutlicher Sieg. 118 Glückwunschkarten, 52 E-Mails und 48 SMs bekommt er zur Wahl, so wird es jedenfalls später in der Lokalpresse heissen. Fortan kämpft er im fünfköpfigen Gemeinderat aber häufig auf verlorenem Posten. Immerhin kann Aecherli mit der Einführung des Finanzleitbilds einen Erfolg verbuchen. «20 Jahre hatte man kein Finanzleitbild und plante opportunistisch», sagt er.
Glanzvolle Wahl
Seine Wiederwahl bei den Gesamterneuerungswahlen in den Gemeinderat vor zwei Jahren schafft Bruno Aecherli ebenfalls glanzvoll. Von den zehn Kandidaten wird er mit dem besten Resultat und als einziger schon im ersten Wahlgang gewählt. Bei der Wahl für das Präsidium schafft er die absolute Mehrheit aber trotz der besten Stimmenzahl nicht. Denn eine Gruppe Reider propagiert einen «wilden» Kandidaten der FDP gegen dessen eigenen Willen, die SVP kommt mit einer Pseudokandidatur. Die Stimmen verzetteln sich so auf mehrere Personen. Es «riecht» nach Verhinderung. Im zweiten Wahlgang gewinnt der FDP-Kandidat – nun nicht mehr gegen seinen Willen – Bruno Aecherli wird Zweiter. Als der 2016 neugewählte, junge Gemeindepräsident bereits nach wenigen Wochen wegen zeitlicher Überlastung das Handtuch schmeisst, ist Vize Aecherli interimistisch zur Stelle. Er führt souverän durch mehrere Gemeindeversammlungen, treibt die Badi-Rettung und die Gemeindeorganisation voran. In den Monaten des Ad-interim-Präsidiums von Bruno Aecherli wird aus der Ratsstube offensiver und transparenter kommuniziert.
Doch die Arbeit und die Anfeindungen seiner politischen Gegner zollen ihren Tribut. Der von sich, seinen Ambitionen und Visionen getriebene Bruno Aecherli sagt im Dezember 2016, als er gefragt wird, ob er wieder fürs Gemeindepräsidium kandidieren werde, Nein: «Meiner Familie und mir will ich eine weitere Ausmarchung nicht mehr zumuten.» Später wird er auch das Verwaltungsratspräsidium bei der Badi Reiden AG und das Amt des Gemeindevizepräsidenten abgeben.
«Eine Vision statt nur ein Ziel»
08/15 ist nicht sein Ding. Bruno Aecherli sagt, wenn man zufrieden sei, finde kein Fortschritt statt. «Es ist gut, wie es ist, reicht nicht. Wenn man in der Politik zufrieden und ohne Plan in eine Verhandlung reingeht, fällt der Kompromiss schlechter aus. Man muss mit einer Vision antreten.» Ein Beispiel ist für ihn die vom Volk schliesslich abgelehnte Fernwärme-Kooperation mit der Zofinger StWZ Energie AG. «Ich hätte sie begrüsst», sagt er. Doch schliesslich habe man bei der Erarbeitung dieses Vorschlages Wissen erarbeiten können, von dem man nun profitieren könne. «Für die Gemeinde ist es trotzdem ein Gewinn».
Bruno Aecherli stellt auch Fragen zu Geschäften des Gemeinderates, die nicht in seinen Aufgabenbereich gehören. Das gehört zu seinem Selbstverständnis, weil es ihm um das Wohl der Gemeinde geht. «Durch Fragen werden die Lösungen besser», sagt er. Aecherli kann ungeduldig sein. Die Art, wie Bruno Aecherli politisiert, wirkt auf gewisse Protagonisten in der Gemeinde als provozierend. Er sagt, was er denkt. Er sagt es auch, wenn er nicht nach seiner Meinung gefragt wird. Das passt nicht jedem in Reiden. Das sogenannte Kollegialitätsprinzip – in Reiden in der Gemeindeordnung nicht genau festgelegt- gerät gelegentlich unter Druck. «Ich bin davon ausgegangen, dass es in der Gemeindepolitik um Sachpolitik und langfristige Vorteile geht. Aber darum geht es gar nicht, es wird einem Neid und Misserfolg gegönnt», nimmt Bruno Aecherli die politische Atmosphäre in Reiden wahr. «Wenn einem dies bewusst wird, ist eine Ernüchterung da». Er versuche es zwar zu ignorieren. Doch wer mit ihm tiefer über diese Thematik spricht, merkt, dass es nicht spurlos an ihm vorbei geht.
«Gleichschritt ist Rückschritt»
Kurzfristiges Denken stört ihn. Wohlstand bedinge eine fortschrittliche Umgebung. Die Politik müsse dieses Umfeld prägen. «Das kommt nicht von heute auf morgen», ist Bruno Aecherli überzeugt. «Am Anfang soll nicht das Ziel, sondern die Vision stehen. Ziele sind Hindernisse oder engen ein offenes Denken ein.» Erbsenzähler gebe es genug, meint Aecherli. Visionäre sind für ihn beispielsweise diejenigen Leute aus der Region, die hinter der Idee einer Erzo oder der Wiggertalstrasse gestanden sind. Diese zwei Beispiele seien Projekte, die der Bevölkerung einen Mehrwert bieten. Er wünscht sich, dass mit neuartigen Ideen der Bürger geweckt wird. Er selber findet nicht, dass er mit seinen Ideen, mit denen er zuweilen gescheitert ist – die Maximalvariante der geplanten Badi-Sanierung in etwa, die der Reider Gemeinderat nicht unterstützt und nun redimensioniert haben will – über das Ziel hinaus schiesst. «Im Gegenteil, man müsste die Visionen noch viel weiter stecken. Die Badi sollte sich zu einer Freizeit-, ja sogar Gesundheitsanlage entwickeln können». Viele Menschen würden in einer geschlossenen Box leben, neue Ideen und andere Ansichten würden sie nicht mehr interessieren, meint Aecherli. «Sie verbünden sich mit Gleichgesinnten und lassen die Meinung anders denkenden Menschen nicht mehr zu. «Dies führt zu einer Spaltung unserer Gesellschaft, dies wird gefährlich». Für die Grossregion wünscht Aecherli sich, dass die Gemeindeverantwortlichen einen intensiveren, institutionalisierten Gedankenaustausch pflegen würden. Nur so könne der Wohlstand in der Region erhalten oder sogar ausgebaut werden.
«Ich weiss, dass ich polarisiere. Aber ohne Pole geht es nicht. Ohne Morgen wird es keinen Abend geben», sagt Bruno Aecherli. «Gleichschritt ist Rückschritt». Nur den Mittelweg zu beschreiten, kommt für ihn nicht infrage.
Bruno Aecherli will nicht anders.
Mit diesem Porträt verabschiedet sich André Widmer, Leiter Ressort Luzern, von den Lesern des Zofinger Tagblattes und der Luzerner Nachrichten.