
Der Kassenzettel: Entweder für die menschliche Gesundheit oder für die Umwelt potenziell gefährlich
Er ist so alltäglich, dass wir ihn kaum wahrnehmen. Bestenfalls werfen wir kurz einen Blick darauf, um ihn sofort wieder zu vergessen. Und doch kommen wir fast jeden Tag mit ihm in Kontakt, und zwar buchstäblich hautnah, mit den Fingern: der Kassenbon. Was also, wenn er giftige Substanzen enthält?
Das fragten sich nicht nur Konsumentinnen und Konsumenten, sondern auch die Behörden. Und reagierten. In der Schweiz darf das sogenannte Thermopapier ab dem 16. Dezember nicht mehr die hormonaktive Substanz Bisphenol A enthalten, die früher standardmässig verwendet wurde. (Eigentlich hätte das Verbot am 1. Juni in Kraft treten sollen, wegen der Coronakrise wurde die Frist verlängert.) In der EU ist der Verkauf und die Verwendung solcher Kassenzettel bereits seit Anfang Jahr verboten.
Bald ist also alles im grünen Bereich – oder doch nicht? Entscheidend ist nicht nur, was im Kassenzettel weggelassen wird, sondern auch, wodurch es ersetzt wird. Denn das ist auch nicht immer harmlos.
In Babyflaschen verboten
Problematisch sind die sogenannten Farbentwickler. Das sind Substanzen, die bei Erhitzung eine Reaktion erzeugen, welche das Papier dunkel werden lässt. Das Problem mit dem Farbentwickler Bisphenol A ist, dass er im menschlichen Körper ähnlich wie das weibliche Sexualhormon Östrogen wirkt. Vermutlich beeinträchtigt es die Fruchtbarkeit und schädigt die Entwicklung des ungeborenen Kindes. Die Chemikalie wird auch in transparenten Kunststoffen und in der Beschichtung von Konservenbüchsen verwendet und ist in der EU seit 2011 zumindest für Babyflaschen verboten. In der Schweiz sind bereits 2013 die beiden grössten Detailhändler Migros und Coop für ihre Kassenbons freiwillig auf Papier ohne Bisphenol A umgestiegen, kurz darauf folgten die SBB mit ihren Billetten.
Ob Bisphenol der Gesundheit tatsächlich schadet, hängt von der Dosis ab. Am stärksten exponiert sind Personen, die an Kassen arbeiten. Sie sollen mit dem Verbot in der Schweiz in erster Linie geschützt werden, schreibt das Bundesamt für Gesundheit. Aber auch für die übrige Bevölkerung werde die Gesamtbelastung durch Bisphenole verringert.
Das Schweizer Verbot unterscheidet sich in einem wesentlichen Punkt von demjenigen der EU. Bei uns wird ein weiterer Stoff verboten: Bisphenol S. Er hat nicht nur einen ähnlichen Namen, sondern auch ähnliche Eigenschaften wie Bisphenol A. Zwar ist Bisphenol S weniger gut erforscht, aber in Experimenten hat es zum Beispiel die Entwicklung und Fortpflanzung von Fischen gestört. Trotzdem zeigt sich in Deutschland bereits, dass Kassenzettel mit Bisphenol S statt Bisphenol A gang und gäbe sind, da dies die billigste Alternative ist – der Teufel wurde mit dem Beelzebub ausgetrieben.
Migros, Coop und SBB sind längst umgestiegen
Die Schweiz geht dagegen auf Nummer sicher und verzichtet auf beide Stoffe. Migros und Coop verwenden für ihre Kassenzettel Papier mit der Substanz Pergafast statt Bisphenol A. Das gilt auch für die Billette der SBB. Pergafast 201, wie die Substanz mit vollem Namen heisst, wurde 2011 vom deutschen Chemiekonzern BASF lanciert.
In Studien zeigte Pergafast bislang keine hormonähnliche Wirkung. Das heisst aber nicht, dass es harmlos ist. In Tierversuchen hat sich der Nachwuchs von Ratten schlechter entwickelt, wenn die Mütter Pergafast ausgesetzt waren. Die US-Umweltbehörde schätzt das Risiko als «mässig» ein. Auch ein Einfluss auf die Fortpflanzung und eine krebserregende Wirkung könne nicht ausgeschlossen werden – es mangelt schlicht an zuverlässigen Daten dazu.
Die bessere Alternative als Bisphenol scheint es aber allemal zu sein – zumindest was die Gesundheit des Kassenpersonals anbelangt. Anders sieht es in der Umwelt aus. Für gewisse im Wasser lebende Tiere und Pflanzen ist Pergafast giftig. Das Risiko ist hoch, lautet die Einschätzung der US-Umweltbehörden. Und Pergafast ist äusserst langlebig, es wird in der Natur kaum abgebaut. In die Gewässer gelangen kann es zum Beispiel, wenn Kassenzettel im Altpapier entsorgt werden und daraus Recycling-WC-Papier gemacht wird.
Die harmlose Alternative ist nicht weiss genug
Die ökologische Variante ist bläulich. © zVg
Das vorläufige Fazit lautet also, dass jede Variante entweder für die menschliche Gesundheit oder für die Umwelt potenziell gefährlich ist. Eine saubere Alternative gäbe es: Papier ohne Farbentwickler (siehe Kasten). Laut dem deutschen Umweltbundesamt konnten sich solche Papiere bisher nicht durchsetzen, weil sie zu teuer und nicht in genügend grossen Mengen verfügbar sind. Für viele Detailhändler gibt es aber noch einen anderen triftigen Grund, nicht auf das umweltfreundliche Papier umzustellen: Es ist nicht nur öko, sondern sieht auch so aus – statt schneeweiss ist es graublau.
Am besten für die Umwelt wäre es, den Verbrauch an Thermopapier insgesamt zu verringern. In der Schweiz gibt es immer mehr Läden, wo Kassenzettel fakultativ sind. Trotzdem werden noch Berge an Thermopapier verbraucht. Coop will seinen Gesamtverbrauch nicht bekannt geben, während die Migros angibt, über keine Zahlen zur jährlich verwendeten Menge zu verfügen.
In Deutschland ist dagegen Anfang Jahr gerade erst die Kassenbonpflicht in Kraft getreten. Der Beleg muss aber nicht auf Papier gedruckt sein, die elektronische Form erfüllt die Vorgaben auch.
So funktioniert Thermopapier
Kassenbons, Parktickets, Bahnbillette, Bancomatquittungen – solche Zettel werden kaum mehr mit Farbe bedruckt. Stattdessen wird sogenanntes Thermopapier verwendet. Es enthält einen chemischen Farbentwickler, der bei Erhitzung eine Reaktion auslöst, die zu einer dunklen Verfärbung führt. Im Drucker muss der Druckkopf nur noch diejenigen Stellen erhitzen, an denen ein Buchstabe oder eine Zahl auf dem Papier erscheinen soll. Es gibt aber auch Thermopapier ohne Farbentwickler. Bei diesem ist die schwarze Farbe bereits im Papier enthalten und wird von einer weissen Schicht abgedeckt. Bei Erhitzung wird die weisse Schicht transparent und gibt die darunterliegende schwarze Farbe frei. Die dabei verwendeten Hilfsstoffe gelten als unproblematisch.