«Der Leopard steht auf dem Küchentisch» – Gretzenbacherin gewinnt Spezialpreis am Locarno Festival

Nicole Vögele kann es noch immer nicht glauben. Die 35-jährige Filmregisseurin aus Gretzenbach hat am Locarno Festival 2018 den Spezialpreis der Jury in der Sektion «Cineasti del presente» für Erstlings- oder Zweitlingswerke gewonnen.

Ihr Dokumentarfilm «Closing Time» wird als experimentell bezeichnet. Er handelt von einem Nachtimbiss in Taipeh, der Hauptstadt von Taiwan. Kuo und seine Frau Lin servieren Reisgerichte, daneben geht ein Tätowierer seiner Arbeit nach. An dem Film arbeiteten insgesamt sechs Personen mit. Für Vögele ist der Preis am Locarno Festival ein Meilenstein. Und ein grosser Erfolg: Im kommenden Jahr soll der Film in die Kinos kommen. Zuvor besucht sie mit ihrem Werk mehrere Festivals im Ausland.

Fast zwei Wochen nach dem Festival in Locarno erzählt Nicole Vögele davon, wie es ist, eine solche Trophäe überreicht bekommen zu haben.

Frau Vögele, wie fühlt es sich an, den Leoparden in der Hand zu halten?

Nicole Vögele: Es ist wahnsinnig toll. Bereits die Nominierung am Locarno Festival war ein riesiges Lob für meinen Film und die ganze Arbeit, die drin steckt. In meiner Kategorie waren 16 Filme aus aller Welt. Da rechnet man natürlich nicht damit, einen Preis zu gewinnen.

Wann haben Sie erfahren, dass Sie die Trophäe mit nach Hause nehmen dürfen?

Das ist jetzt kein Witz: Ich war gerade am Putzen und PET-Flaschen recyceln.

Wie das?

Wir haben für das ganze Team während des Festivals eine kleine Wohnung in Locarno gemietet. Am Freitagmorgen (Anm. d. Red.: dem 10. August, ein Tag vor der Preisverleihung) sind dann alle abgereist und ich habe noch die Wohnung geputzt.

Und dann kam das Telefon?

Ja, plötzlich klingelte mein Handy und ich sah eine Telefonnummer mit der Vorwahl des Tessins auf dem Display. Da wurde ich doch etwas nervös. Und ich dachte: Das kann doch nicht wahr sein.

War es aber.

Dass man am Locarno Festival als Filmemacherin einen Preis gewinnt, ist sehr speziell. Und selten: Denn das Festivals gehört zu den bedeutendsten in Europa.

Haben Sie schon realisiert, dass Sie gewonnen haben?

Langsam schon. Der Leopard steht jetzt bei mir in der WG auf dem Küchentisch. Mein Mitbewohner hat es mir erlaubt, ihn noch ein bisschen dort stehen zu lassen. Und jedes Mal, wenn ich ihn sehe, fühlt es sich etwas weniger absurd an.

Was verändert sich nun für Sie dank dieses Preises?

Dieser Erfolg gibt mir hoffentlich einen «Boost» für meine Karriere in der Filmwelt. Wir haben nun einen besseren Standpunkt in Verhandlungen etwa mit Filmfestivals. Schliesslich gilt es noch zu entscheiden, an welchem Festival ich meinen Film «Closing Time» zum ersten Mal ausserhalb der Schweiz zeigen möchte.

Vögele, die in Gretzenbach aufgewachsen ist und nun zwischen Zürich und Berlin pendelt, hat an der Filmakademie Baden-Württemberg im deutschen Ludwigsburg studiert. Zuvor absolvierte sie eine KV-Lehre und sammelte journalistische Erfahrung. Seit mehreren Jahren arbeitet sie für das Schweizer Fernsehen – unter anderem für «10vor10». Zurzeit ist sie gerade für die SRF-Sendung «Rundschau» unterwegs. Dokumentarfilme sind ihr Ding: Sie nehme sich jeweils Themen vor, die sie selbst beschäftigten. So drehte sie den Film «Frau Loosli» über eine Witwe im Berner Oberland. Darin wird besonders die Einsamkeit, die auch Vögele ab und zu verspüre, thematisiert.

Ihr Film «Closing Time» spielt in Taipeh, Sie leben in Berlin und Zürich. Welchen Bezug haben Sie noch zu Gretzenbach?

Es ist der Ort, wo ich aufgewachsen bin, wo meine Eltern noch immer leben. Gretzenbach hat mich sehr geprägt. Ich sage immer, dass der Ort, wo man aufwächst 90 Prozent dessen ausmacht, wer man ist. Die restlichen zehn Prozent sammelt man dann unterwegs in aller Welt noch auf. Die Basis bleibt aber die Heimat.