Der Schweizer Professor, der Chinas Zorn erregt

Einen «nachdrücklichen Protest gegen Diffamierung und Gerüchte» hat die chinesische Botschaft in Bern vergangene Woche publiziert. Der Adressat wird nicht namentlich genannt, doch das Ziel ist klar: Ralph Weber (46), Professor am Europainstitut der Universität Basel, Dozent für European Global Studies und China-Spezialist.

Die Reaktion zeigt, wie bedrohlich ernst der chinesische Staat nimmt, was Weber zu sagen hat. Nicht nur in der Schweiz verbreitete er die Meldung, auch in den chinesischen Staatsmedien und selbst auf Kanälen für in Russland lebende Chinesen wurde berichtet, wie die gute Zusammenarbeit zwischen China und der Schweiz durch «einen akademischen Bericht» untergraben würde.

 

Den Zorn hat sich Weber mit einer 60-seitigen Studie verdient, die er kurz vor Weihnachten in englischer Sprache bei der tschechischen NGO Sinopsis veröffentlicht hat. Darin beschreibt er akribisch, wie chinesische Behörden Schweizer Organisationen infiltrieren. Wie ein Rhizom, ein Wurzelgeflecht, würden sich chinesische Exponenten in das schweizerische System einbinden. Mit wirtschaftlichen Verträgen und Gefälligkeiten würden Abhängigkeiten geschaffen. Zahlreiche Beispiele führt Weber auf, nennt Namen, beschreibt Vorfälle, verweist auf Verflechtungen.

Das Ziel der staatlichen Propaganda sei es, die Werteunterschiede zwischen westlicher Demokratie und der autoritären chinesischen Führung durch die Kommunistische Partei einzuebnen. Und dies gelinge durchaus; der Diskurs über Menschenrechtsverletzungen in China ist im Westen kaum mehr hörbar.

Die Verantwortung des Wissenschafters

Weber hat sich die Rolle des prominenten China-Kritikers nicht gesucht. Als Wissenschafter wolle er nicht aktionistisch handeln, doch es gehöre auch zu seiner Verantwortung als Wissenschafter, nicht zu schweigen. Wer, wenn nicht er, müsse über die «fundamentale Dringlichkeit» sprechen, wie die Kommunistische Partei Chinas weltweit Einfluss nimmt, auch in der Schweiz, und was die Forschung dazu zu sagen hat? Als Professor einer Schweizer Universität sei er – anders als viele ausländische Kollegen – in der privilegierten Situation, nicht von chinesischen Forschungsgeldern abhängig zu sein. Dieser Verpflichtung stelle er sich, da könne er nicht kneifen – und in dieser Rolle tritt er bewusst an die Öffentlichkeit.

Das chinesische Regime unterstellt Weber eine «Mentalität des Kalten Krieges»; er beharre auf Schubladendenken, lasse verzerrte Bilder entstehen und provoziere ideologische Konfrontationen. Diese Diffamierungen zielen weit an den Ambitionen und Absichten Webers vorbei. Ihm geht es vielmehr darum, dass über die Ambivalenz zwischen einer «Dämonisierung» und einer «Romantisierung» Chinas gesprochen werde. Dass die Schweiz Rechenschaft darüber ablegt, welches Verhältnis sie zur aufstrebenden Grossmacht hat. Der Zeitpunkt des propagandistischen Schlagabtausches ist dabei brisant; in diesen Wochen soll der Bundesrat seine längst überfällige China-Strategie beschliessen und veröffentlichen.

Im Apartheid-Staat Südafrika geboren

Weber ist es quasi in die Wiege gelegt worden, sich im Spannungsfeld zwischen «Romantisierung» und «Dämonisierung» zurechtfinden zu müssen. Die ersten vier Lebensjahre verbrachte er in Südafrika. Die Eltern kehrten Ende der 1970er-Jahre mit ihm in die Schweiz zurück, als die Aufstände in Soweto ausbrachen, die den Anfang vom Ende des Apartheid-Regimes bedeuteten. Bereits als Jugendlicher musste er sich mit dem unmenschlichen Apartheid-System auseinandersetzen, in dem seine Familie einige Jahre gelebt hat. Das gleiche System verband er zugleich mit identitätsbildenden Kindheitserinnerungen. Das Verhältnis zur schwarzen Haushaltshilfe kam so für zwischenmenschlich Positives wie für einen Ausdruck von systematischer Unterdrückung zu stehen.

Sein Interesse an China entstand während eines Studienaufenthaltes in den 1990er-Jahren in Genf. Er habe einen Chinesischkurs belegt, weil die Sprache fremd war, faszinierend, exotisch. Weber spricht von der romantischen Sehnsucht der modernen westlichen Welt, der er früher auch erlegen sei: Verstehe man fremde Kulturen, liessen sich damit nicht nur Brücken bauen, sondern fänden sich auch einfache Lösungen für eigene Probleme.

Die romantische Phase hat bei Weber nicht angehalten. Strikt versucht er nun zu trennen zwischen der chinesischen Bevölkerung, den 1,4 Milliarden Menschen, und der Führung durch die kommunistische Partei mit ihren 95 Millionen Mitgliedern.

Von chinesischem Staat instrumentalisiert

Die Ernüchterung kann Weber konkret benennen. Wer sich wissenschaftlich mit dem Land beschäftige, für den stelle sich nicht die Frage, ob China Menschenrechtsverletzungen begehe, sondern lediglich, wie wir damit umgehen. Auf seinen China-Reisen sei es vermehrt zu institutionellen Kontakten gekommen, wobei er am eigenen Leib spürte, wie er als Ausländer instrumentalisiert werde. Dem «NZZ Folio» erzählte Weber im vergangenen Jahr, wie er von den Behörden gefeiert worden sei, weil er ein Hilfsprojekt unterstützte – und dabei der behördliche Aufwand seinen eigenen um das Mehrfache übertroffen habe.

Doch nicht nur sein Blick auf China habe sich verändert, auch die chinesische Führung. Nach der Jahrtausendwende habe sie noch demokratische Experimente gewagt, ohne allerdings am marxistisch-leninistischen Fundament wirklich zu rühren. Dass seit der Finanzkrise 2007 diese Zeit vorbei war, habe der Westen naiverweise lange nicht wahrnehmen wollen. Seit einigen Jahren trete das Regime nun aber selbstbewusst auf, wirft seine Wirtschaftsmacht in die Waagschale, demonstriere offen, dass sie ihr politisches System als das überlegene betrachten.

Der Schweiz fehlt es an Chinakompetenz

Chinas Verhalten, sagt Weber, trifft uns an einem wunden Punkt: «Wie verhalten wir uns gegenüber einem autoritären Regime?» Was ihn dabei besonders beschäftigt, ist die asymmetrische Situation. Während sich im Schweizer Aussendepartement sehr gute, aber letztlich nur eine Hand voll Leute vollumfänglich um China kümmern, sei es ein Mehrfaches auf chinesischer Seite, die sich ausschliesslich mit der Schweiz beschäftigten. Es herrsche hierzulande ein absoluter Mangel an Chinakompetenz.

Weber bildet eine der Ausnahmen von dieser Regel. Seit dem langen Gespräch im «NZZ Folio» vergeht denn auch kaum mehr eine Woche, in der seine Haltung nicht in einem Medium gefragt ist. Auch das Ausland ist mittlerweile auf ihn aufmerksam geworden und lädt ihn als Experten ein.

In der Mitteilung der chinesischen Botschaft heisst es:

«Lügen werden eines Tages entlarvt, Gerechtigkeit aber bleibt im Herzen der Menschen für immer.»

Sie singt das Lied vom «Aufbau der Schicksalsgemeinschaft der Menschheit», doch versöhnlich ist der Ton nicht. Weber, der nicht namentlich genannt wird, sei eine «hinterlistige Person», die «viele absurde Argumente» vorbringe. Die Warnung ist verstanden. Nach China reisen wird der Professor in der nächsten Zeit nicht mehr. Die Universität hat ihm dringend davon abgeraten.