Deutschland verschärft – und die Schweiz lockert wohl ein bisschen

Soll Perspektive aufzeigen: Alain Berset. Keystone
Soll Perspektive aufzeigen: Alain Berset. Keystone

Nächtliche Ausgangssperren zwischen 21 Uhr abends und fünf Uhr morgens – das sind die Pläne von Kanzlerin Angela Merkel, um die steigenden Coronazahlen endlich drücken zu können. Der harte Eingriff in die Grundrechte soll ab einem erhöhten Infektionsgeschehen verbindlich im ganzen Land gelten. Wird die Schwelle von 100 Neuinfektionen innerhalb von sieben Tagen auf 100’000 Einwohner drei Tage nacheinander überschritten, müssen die Länder, Gemeinden und Landkreise auf Weisung der Regierung handeln.

Das Bundeskabinett hat die verbindliche Notbremse am Dienstag verabschiedet – als Antwort auf die Alleingänge der Länder, Kommunen und Landkreise. Prinzipiell hatten sich Kanzleramt und Regierungschefs der 16 Bundesländer schon Anfang März auf Notbremse-Mechanismen geeinigt, doch daran gehalten hat sich kaum ein Landesfürst oder eine Bürgermeisterin.

Mit dem Hund raus bleibt erlaubt

Allerdings muss die Gesetzesänderung noch die Hürde des Parlaments nehmen. Es drohen Verzögerungen, obwohl Merkel stets betont hatte, dass bei der Pandemie-Bekämpfung Eile geboten sei. Neben den verbindlichen Ausgangsbeschränkungen – Ausnahmen gibt es nur, um etwa den Hund vor dem Schlafengehen Gassi zu führen oder abends zur Arbeit zu gehen – sollen ab der 100er-Inzidenz auch strengere Kontaktbeschränkungen gelten. Zudem soll dort, wo die Schwelle überschritten wird, der Detailhandel wieder komplett schliessen. Bei noch stärkerem Infektionsgeschehen (Inzidenz ab 200) müssen Schulen verbindlich ihren Präsenzunterricht einstellen.

Die bundesweit einheitliche Notbremse, sagte Merkel in einer Erklärung, sei «überfällig.» Trotz eines seit bald sechs Monaten geltenden Teil-Lockdowns, der zeitweise verschärft wurde, gelingt es Deutschland nicht, die Infektionszahlen zu drücken. Das Robert-Koch-Institut (RKI) zählte am Dienstag über 10’800 Neuinfektionen, die Tendenz ist seit Wochen steigend. Intensivmediziner warnen vor einer drohenden Überlastung.

Kultur und Gastrobetriebe ohne Perspektive

Deutschland zieht in der Coronakrise also noch einmal die Schraube an – Kultur, Gastronomie oder Tourismus, seit Spätherbst des letzten Jahres heruntergefahren, warten auf eine Perspektive. Unklar ist, ob Merkel mit ihrem scharfen Kurs tatsächlich durchkommt. Zumindest an der geplanten verbindlichen Ausgangssperre kommt laute Kritik auf – selbst aus den eigenen Reihen und auch aus Teilen des Koalitionspartners SPD. Zudem droht die Verabschiedung des Gesetzes sich auf dem parlamentarischen Weg in die Länge zu ziehen.

Möglicherweise wäre doch mehr Tempo möglich gewesen, hätte Merkel den «alten» Weg der Bund-Länder-Konferenz gewählt. Die hatte sich aber spätestens nach dem Desaster um die zuerst ausgerufene, später kassierte «Oster-Ruhe» – für welche sich Merkel öffentlich entschuldigt hatte – erledigt.

Neben der Erneuerung des Infektionsschutzgesetzes hat das Kabinett in Berlin auch eine Pflicht für Angebote von Coronatests in Unternehmen auf den Weg gebracht. Der Entwurf einer geänderten Arbeitsschutzverordnung sieht vor, dass die Firmen ihren Beschäftigten in der Regel einmal pro Woche Tests zur Verfügung stellen.

Schweiz: Vorsichtig optimistische Lockerungsschritte?

Gastrosuisse scheint mit seinem politischen Latein am Ende. Der Verband der Schweizer Restaurants schwingt nun die juristische Keule: Ein Auftragsgutachten soll den Bundesrat unter Druck setzen. Es kommt nämlich zum Schluss, dass der Bundesrat bei seinen Entscheiden zu den Coronamassnahmen nicht nur epidemiologische Richtwerte (wie die 14-Tages-Inzidenz, die Belegung der Intensivstationen, die Reproduktionszahl R sowie die Hospitalisations- und Todesfallzahlen der letzten sieben Tage) berücksichtigen darf, sondern auch die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen einbeziehen muss.

Gastrosuisse schlägt vor, dass auch die Arbeitslosenzahl oder die Anzahl Hospitalisationen in psychiatrischen Kliniken als Richtwert gelten sollen. Der Zeitpunkt der Publikation ist natürlich kein Zufall. Just heute will der Bundesrat diskutieren, wie es mit den Coronamassnahmen weitergeht.

Restaurantterrassen und Homeofficepflicht

Von grossen Lockerungsschritten wird die Landesregierung wohl absehen. Virginie Masserey, Leiterin der Sektion Infektionskontrolle beim Bundesamt für Gesundheit, bezeichnete die epidemiologische Situation am Dienstag vor den Medien als «fragil». Es brauche weiterhin grosse Wachsamkeit, doch die Perspektiven seien wirklich gut. Die Fallzahlen steigen zwar weiter, aber langsam und so, dass sie zu bewältigen seien.

Masserey: «Trotz fragiler Lage sind die Perspektiven gut»

Das BAG ist also vorsichtig optimistisch. Gut möglich, dass sich der Bundesrat zu kleinen Öffnungsschritten durchringen wird. Die ­Palette der Möglichkeiten ist überschaubar. Da der Bund die Kantone konsultieren muss, kommen nur jene Lockerungsschritte in Frage, die er bereits Mitte März in die Vernehmlassung geschickt hat. Im Vordergrund dürfte gemäss gut in­formierten Personen die Öffnung der Aussenbereiche von Restaurants stehen. Die Kantone und Städte machen Druck dafür. Weiter könnte der Bundesrat die Homeofficepflicht in eine Empfehlung umwandeln.

Offen ist, ob der Bundesrat erst eine Diskussion führt und den Entscheid eine Woche später fällen wird. In gut informierten Kreisen ist davon die Rede, dass die nächsten Lockerungsschritte ab dem 1. Mai gelten sollen. Eine vollständige Öffnung der Restaurants ist aktuell kein Thema und wird dem Vernehmen nach nicht vor Anfang Juni geschehen.

Vorstellbar ist, dass der Bundesrat nach den Krawallen in St.Gallen auch Lockerungen für junge Menschen ins Auge fasst. Zwar gibt es heute schon Ausnahmen im Bereich Sport und Kultur für junge Menschen bis 20 Jahre. Experten fordern, dass diese auch für junge Menschen bis 25 Jahre gelten sollen.