
Die Coronakrise ist wirtschaftlich überwunden: Jetzt werden Forderungen nach markant höheren Löhnen laut
Die meisten Lohnverhandlungen beginnen zwar erst im Herbst, doch die Gewerkschaften schlagen schon mal die ersten Pflöcke ein – und fordern mehr Lohn. Den Reigen eröffnet heuer – wie üblich – Angestellte Schweiz: Der Verband, der die Arbeitsbedingungen von insgesamt rund einer halben Million Personen mitgestaltet, pocht auf Lohnerhöhungen von bis 1,7 Prozent. «Es gibt einen grossen Nachholbedarf», betont Stefan Studer, der Geschäftsführer von Angestellte Schweiz.

Stefan Studer von Angestellte Schweiz.
Die Coronakrise ist – wenigstens wirtschaftlich – überstanden, die Aussichten sind gut. Auch für die schwer gebeutelte Maschinen-, Elektro und Metallindustrie (MEM), wie die Konjunkturforscher der BAK Economics im Auftrag des Angestelltenverbands vorrechnen. Zwar habe die MEM-Branche mit einem Minus von 12 Prozent einen der grössten Einbrüche überhaupt verkraften müssen, doch nun sei mit einer «deutlichen Erholung» zu rechnen. Positiv sind die Auguren auch in Bezug auf das zweite Halbjahr. Insgesamt gehen sie für 2021 und 2022 von einem überdurchschnittlich starken Wachstum der realen Bruttowertschöpfung in der MEM-Industrie aus.
«Den schönen Worten sollten jetzt Taten folgen»
Sinkende Arbeitslosigkeit, überdurchschnittlich viele offene Stellen, volle Auftragsbücher und ein Einkaufsindex der Schweizer Industrie, der im April 2021 den höchsten Wert seit 20 Jahren erreicht hat. Das alles sind Faktoren, mit denen Studer seine Lohnforderungen begründet. «Die Schweizer Industrie ist grossmehrheitlich zurück auf Vorkrisenniveau.» Nun sollten die Arbeitnehmenden für ihre Loyalität, die sie in den schwierigen Coronamonaten unter Beweis gestellt hätten, auch belohnt werden. «Den schönen Worten sollten jetzt auch Taten folgen», sagt Studer und fügt an:
«Ich wäre sehr enttäuscht, wenn sich die Unternehmen jetzt nicht grosszügig zeigen würden.»
Ein Teil der Gewinne müsse ins Unternehmen reinvestiert werden, ein Teil würde als Dividende dem Eigentümer ausbezahlt und ein Teil müsse in die Erhöhung der Löhne fliessen.
Innerhalb der MEM-Industrie gibt es jedoch grössere Unterschiede, weshalb der Angestelltenverband auch von Lohnerhöhungen von 1 bis 1,7 Prozent redet. So soll die Situation der einzelnen Unternehmen und der Subbranchen berücksichtigt werden. Bei den Chemie- und Pharma-Angestellten fordert Angestellte Schweiz einen Lohnaufschlag von 1,5 Prozent.
Swissmem sieht nur geringen Spielraum
Beim Maschinenindustrie-Verband Swissmem will man sich nicht zu den Forderungen von Angestellte Schweiz äussern. «Swissmem macht grundsätzlich keine Lohnempfehlungen», sagt Swissmem-Chef Stefan Brupbacher. Lohnverhandlungen würden auf Stufe Unternehmen geführt. «Das war schon immer so und hat sich angesichts der Heterogenität der Branche bewährt.» Dies erlaube es, bei Lohnverhandlungen die individuelle Situation des Unternehmens zu berücksichtigen sowie deren Perspektiven. «Allerdings ist zu beachten, dass sehr schwierige Jahre hinter uns liegen. Der Spielraum ist deshalb bei vielen Firmen gering.»
Zudem blieben die Aussichten weiterhin «sehr unsicher», ergänzt Brupbacher. Er verweist angesichts der sich rasant schnell verbreitenden Delta-Variante auf die ungewissen Entwicklungen bei der Covid-Krise, auf die ungelösten internationalen Handelskonflikte, namentlich zwischen den USA und China sowie auf den gefährdeten Marktzugang zu Europa.