«Die Dynamik des Virus ist unglaublich wechselhaft»: Dieser Mann entdeckte die Basler Corona-Mutation

Wie kam es zur Studie, mit der Sie und Ihr Team die Basler Mutation des Coronavirus gefunden haben?

Adrian Egli: Wir wollten besser verstehen, woher das neue Coronavirus kommt und wie es sich verbreitet. Dies ist wichtig, weil sich daraus Massnahmen für die öffentliche Gesundheit ableiten lassen. Der Kanton kann andere Empfehlungen an die Bevölkerung aussprechen, wenn er weiss, ob die Übertragungen vorwiegend im Kreis von Familien und Freunden stattfinden, oder ob das Virus von Reiserückkehrern stammt, die es als Souvenir mitbringen.

Der Fund der Mutation ist damit ein unerwarteter Lucky Punch für Sie?

Ja, weil die Erkenntnis es uns nun erlaubt, zu beurteilen, wohin das Virus von Basel aus wandert und wie stark wir den Erreger in andere Regionen und Länder exportieren.

Wie haben Sie die Basler Variante entdeckt?

Im Zeitraum ab dem ersten Coronavirus in Basel Ende Februar bis zum 23. März haben wir die Viren von knapp 500 infizierten Personen genauer untersucht. Die Patientinnen und Patienten wurden am Universitätsspital Basel vorstellig, wir entschlüsselten daraufhin die Erbgutinformationen der Coronaviren. Wenn sich zwei Menschen gegenseitig anstecken, ähneln sich die Viren sehr stark oder sind sogar identisch. Die Basler Mutation verwenden wir als eine Art Marker, den die Viren auf sich tragen und den wir erkennen können. Nach der Aufschlüsselung erkannten wir, dass zwei Drittel der Infizierten die Basler Mutation hatten und sich somit in der Region angesteckt haben. Ein Teil der Personen steckte sich mit Coronaviren aus anderen Regionen oder auch im Ausland an.

Wie funktioniert die Aufschlüsselung des Erbguts?

Das neue Coronavirus wird von etwa 30’000 genetischen Buchstaben codiert. Im Durchschnitt ändert sich alle zwei Wochen ein Buchstabe durch eine Mutation. Wir schlüsseln also Buchstabe für Buchstabe auf und vergleichen die Viren miteinander. Zuerst geschieht dies mit dem Ursprungsstamm des Coronavirus aus China. Dann greifen wir auf eine internationale Datenbank zurück, worin knapp 100’000 Viren dokumentiert sind. Im Fachjargon nennen wir diese Arbeit Sequenzieren. An der Studie haben zehn Personen mitgearbeitet. Darunter sind auch Bioinformatiker, denn die Analyse benötigt grosse Erfahrung und spezielle Kenntnisse. In der Regel gibt es die dafür nötigen Gerätschaften nur an Universitäten oder Unispitälern.

Sie haben 500 Coronaviren untersucht. Ist das eine repräsentative Anzahl?

Wir haben eine sehr hohe Datendichte in Basel erreicht. Im untersuchten Zeitraum steckten sich rund 1000 Personen in Basel an, 500 Viren haben wir genauer analysiert. Zum Vergleich: In der US-amerikanischen Stadt Houston wurden die Viren von 5000 Patientinnen und Patienten aufgeschlüsselt. Dabei hat die Stadt mehrere Millionen Einwohner. Pro Kopf ist unsere Untersuchung also aussagekräftiger.

Was bedeutet die Mutation für die Gefährlichkeit des Coronavirus?

Grundsätzlich mutiert jedes Virus. Die Veränderung macht das Virus weder gefährlicher noch weniger gefährlich. Auch die Übertragungswahrscheinlichkeit ist nicht beeinflusst. Die Angst, eine Impfung würde wegen der Basler Mutation nicht mehr wirken, ist deshalb unbegründet.

Wie viele Mutationen gibt es weltweit?

Man spricht von Entwicklungslinien des Coronavirus. Dabei entstehen aber dauernd neue, weil sich das Virus stetig verändert. Pro Linie gibt es meistens mehrere Mutationen. In Basel haben wir mehrere solcher Linien gefunden, vorwiegend stammen sie aus Europa, etwa aus Norditalien oder Frankreich.

Wie kann Ihre Studie nun bei der Erarbeitung von Schutzmassnahmen helfen?

Wir sind nicht die einzigen, die Viren sequenzieren. Mehrere diagnostische Laboratorien und auch die ETH Zürich arbeiten daran. Wir tauschen uns mit diesen Teams aus. Auch die wissenschaftliche Taskforce des Bundes ist in den Prozess involviert und lokale Gesundheitsbehörden wurden informiert.

Was bedeutet das konkret?

Unsere Studie hat den Ausbruch des Coronavirus in Basel untersucht. Wir konnten feststellen, dass die Dynamik des Virus unglaublich wechselhaft ist. Am Anfang waren vorwiegend ältere Menschen betroffen, jetzt sind es jüngere. Das hat sehr wahrscheinlich mit dem unterschiedlichen Risikobewusstsein und -verhalten zu tun. Das bedeutet aber auch, dass wir die Untersuchung des viralen Erbguts kontinuierlich machen sollten. So können wir die zweite Welle genau beobachten und herausfinden, woher die Viren kommen und ob die Basler Mutation noch immer existiert oder ob sie abgelöst wird. Letztlich können wir so auch den Effekt von Präventionsmassnahmen besser beurteilen.