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Die Justiz hat eine Reform verdient – aber was für eine?

Die Justiz hat eine Reform verdient – aber was für eine?

Am 28. November stimmen wir über die Justizinitiative ab. Es geht um die Wahl ans höchste Gericht. Bundeshausredaktorin Nina Fargahi und Gerichtsreporter Andreas Maurer sind unterschiedlicher Meinung. Das Duell der Argumente.

Andreas Maurer und Nina Fargahi 

Der grosse Saal des Bundesgerichts in Lausanne.

Schweizerisches Bundesgericht

PRO von Andreas Maurer: Richterinnen und Richter sollen unabhängig werden

Stellen Sie sich vor, wir würden einen neuen Staat gründen. Eine der ersten Aufgaben wäre der Aufbau einer Justiz. Wir müssten also unabhängige Juristinnen und Juristen ­finden, die allein dem Recht verpflichtet sind. Wir würden dabei nicht auf die Idee kommen, die Parteien zu beauftragen, einige ihrer Mitglieder für ein Amt als Unparteiische zu bestimmen.

Doch genau so werden Richterinnen und Richter heute gekürt. Dieses System kann nur mit der Tradition erklärt werden. Es stammt aus der Zeit, als man Karriere machte, wenn man sich im Militär und in einer Partei verdient gemacht hat. Eigentlich sollte uns dieses Wahlverfahren heute als Fremdkörper erscheinen. Doch weil wir es nicht anders kennen, erscheint es uns vertraut.

Der Begriff des Fremdkörpers tauchte im Abstimmungskampf um die Justiz-Initiative bisher in einem anderen Zusammenhang auf. So bezeichnete Justizministerin Karin Keller-Sutter das Losverfahren, das am Bundesgericht eingeführt werden soll. Es funktioniert so: Eine unabhängige Fachkommission soll aus den Bewerbungen die fachlich und persönlich geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten wählen. Gibt es mehr Kandidaturen als zu vergebende Sitze, entscheidet das Los. Es wäre ein Lossystem ohne Nieten, da dem Zufallsgenerator nur valable Kandidaturen zur Auswahl stehen.

Es gäbe auch andere Wege, um unabhängige Richterinnen und Richter zu finden. Doch die Parteien haben sich dagegen entschieden, eine Alternative als Gegenvorschlag zu formulieren. Deshalb stehen wir jetzt vor der Wahl zwischen zwei «Fremdkörpern»: dem Parteienfilz und dem qualifizierten Losverfahren. In der Abwägung liefert die Initiative die bessere Antwort. Dadurch wird das höchste Gericht endlich unabhängig von der Parteipolitik.

Der blaue Saal des Bundesgerichts in Lausanne.

Schweizerisches Bundesgericht

CONTRA von Nina Fargahi: Eine falsche Lösung ist keine Lösung

Soll man in der Schweiz Bundesrichterin oder Bundesrichter werden, so wie man beim Bingo eine Salami gewinnt? Die Justiz-Initiative verlangt, dass die Bundesrichterinnen und -richter künftig per Los gewählt werden sollen. Das Los ruft die Assoziation hervor, etwas zu erhalten, für das man nichts tun muss. Und für das man nichts können muss. Auf keinen Fall sollte jemand auf diese Weise in das höchste Amt der Judikative gewählt werden.

Die Justiz-Initiative legt den Finger zwar auf einen wunden Punkt: Richterinnen und Richter sind stark an ihre jeweiligen Parteien gebunden. Doch die Initiative liefert den falschen Lösungsansatz. Denn mit dem Losverfahren büsst die Zusammensetzung des Bundesgerichtes einen grossen Teil ihrer demokratischen Legitimation ein, indem ein Expertengremium den Rich­terpool zusammenstellt und das Los die Ämter zuteilt.

Wenn also der Bundesrat das Fachgremium auswählt, kommt es zu einer Machtverschiebung von der Legislative zur Exekutive. Wobei auch Bundesratsmitglieder Parteien angehören und auch das Expertengremium die Richter anhand gewisser Werte und Vorstellungen auswählt.

Das heutige Wahlverfahren hat einen klaren Vorteil: Weil das Parlament das Bundesgericht nach Parteistärke zusammensetzt und wählt, bildet das Gericht die politischen Verhältnisse in der Schweiz ab. Damit hat das Bundesgericht eine demokratische Legitimation. Mit zwei einfachen Massnahmen liesse sich die Unabhängigkeit stärken: längere Amtsdauer für Richterinnen und Richter, damit sie nicht den Launen der Parteien ausgesetzt sind und bei missliebigen Entscheiden abgewählt werden können. Zweitens gehört die Mandatssteuer abgeschafft.

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