Die Preise explodieren: Die Holz-Krise ist so, wie es die Toilettenpapier-Krise war

«Ich habe dergleichen noch nicht erlebt und bin nun schon 50 Jahre im Geschäft», sagt Jean-François Rime, früher Präsident des Gewerbeverbands und SVP-Nationalrat. Rime gehört das drittgrösste Sägewerk der Schweiz, im ersten Halbjahr war sein Umsatz um 40 Prozent grösser als im Vorjahr. Stammkunden könne er nicht hängen lassen. «Aber neue Kunden nehme ich keine an.»

Rime durchlebt ein globales Phänomen, eine Knappheit an Holz, die auf Preise durchschlägt und Schlagzeilen macht. «Da wird ein Preis kommen, den es noch nicht gegeben hat.» Die Preise würden explodieren, Handwerker leiden und Kunden warten gelassen. Zimmerleute bolzen Überstunden, um anzukämpfen gegen das, was sie so beschreiben: einen «regelrechten Nachfrage-Tsunami».

Die Preise sind tatsächlich explodiert, die Zimmerleute rotieren wirklich – doch der Notstand ist beileibe keine Ausnahme. Irgendetwas wird knapp, Preise steigen in luftige Höhen: Dieses Muster wiederholt sich im Post-Covid-Boom so oft wie in James-Bond-Filmen luxuriöse Karossen zu Schrott zermalmt werden. Und genau so vorhersagbar ist die Knappheit einige Monate später behoben.

Klopapier als Symbol der Sicherheit deklariert

Dass dem so ist, das sagen Ökonomen des amerikanischen Präsidenten Joe Biden. Auf dem «White House Blog» schreiben sie, die Engpässe seien von vo­rübergehender Natur. «In etwa sechs Monaten dürften sie abgeklungen sein.» Diese Einschätzung begründen sie unter anderem mit früheren Engpässen, die bald vergessen waren. Ein besonders nützliches Lehrstück sei, was damals betitelt wurde als «Toilettenpapier-Krise».

Wie die Holzkrise war es ein globales Phänomen, das auch die Schweiz hautnah miterlebte. Im ersten Lockdown vom März 2020 wurde ein alltägliches Gut zu «weissem Gold». Die «Toilettenpapier-Krise» wurde damals oft verklärt als allein massenpsychologisches Phänomen. Menschen würden sich machtlos fühlen und WC-Papier horten, um sich selbst zu zeigen, dass sie ihr Leben im Griff haben. Die Boulevardzeitung Blick deklarierte WC-Rollen zum «Symbol der Sicherheit».

Übersehen wurde damals, was im «White House»-Blog beschrieben wird: Der «Krieg ums Klopapier» hatte ganz und gar profane Hintergründe. Vor der Coronakrise war die Toiletten-Welt mehr oder weniger zweigeteilt. Auf Firmentoiletten unterhalb von Chefetagen müssen Mitarbeitende eher vorliebnehmen mit rauem Klopapier. Im trauten Heim gönnen sie sich eine weichere Variante. Als der erste Lockdown kam, brach die Zweiteilung zusammen.

Migros erhielt Ausnahmebewilligung für Klopapier-Transport in der Nacht

Homeoffice wurde Normalität. Mehr Menschen gingen daheim auf die Toilette. Der Verbrauch von weicherem Klopapier schnellte hoch, in den USA um 40 Prozent. Die Vorräte waren klein und schnell entleert. Klopapier ist sperrig, das Lagern teuer. Die Produktion hielt mit dem Nachfrageschub zunächst nicht mit. Klopapier wurde tatsächlich knapp. Obendrauf kam die Massenpsychologie. Und die eifrigsten Hamsterer türmten Berge von Klopapier in ihren Einkaufswagen auf.

Doch im Juni war es vorbei, im «Blick» stand: «WC-Papier wird zum Ladenhüter». Die Firmen hatten flink reagiert. Der Konzern Kimberly-Clark produzierte täglich 1,5 Millionen Rollen von Hakle-Toilettenpapier für die Schweiz, nicht wie sonst 1,3 Millionen. Die Migros brachte das weisse Gold schneller von den Verteilzentren in die Läden. Sie erhielt Ausnahmebewilligungen für Fahrten in der Nacht. Es wurden nicht mehr einzelne Packungen in die Regale gelegt, sondern alles mitsamt Palette hingestellt. Neue Maschinen kauften die Hersteller nicht. Diese seien monströs gross, sündhaft teuer und erst nach Monaten so weit, eine erste Rolle zu liefern, erklären die US-Ökonomen. Stattdessen liessen sie die Maschinen mit maximaler Kapazität laufen. Und sie stellten um auf grössere WC-Rollen, mit denen sie mehr Papier zu den Kunden bringen konnten. Zugleich ebbten die Panikkäufe weltweit ab.

Vom Boom auf dem falschen Fuss erwischt

Auf die Toilettenkrise folgten viele Engpässe, meist begleitet von himmelhohen Preisen. Holz ist das extremste Beispiel. In den USA hatte sich der Preis vorübergehend vervierfacht. Knapp wurden Halbleiter, Kupfer, Stahl oder Aluminium. Doch stehen dahinter andere Erklärungen als hinter dem Klopapier-Krieg.

Die Produzenten hatten sich verkalkuliert. Sie rechneten mit einer typischen Rezession, ihre Produkte würden lange weniger gefragt sein. Stattdessen gibt es einen Post-Covid-Boom. Die Firmen passen sich schnell an, doch es dauert ein paar Monate. Die Preise gehen hoch. Hohe Preise sind jedoch selbst das beste Mittel gegen hohe Preise. Käufer werden abgeschreckt und suchen Auswege. Hersteller wollen Kasse machen und holen alles aus ihren Maschinen raus. Diese Marktkräfte spielen beim Holz. Die Sägewerke produzieren am Limit. Die Preise sind von luftigen Höhen abgestürzt. Im Vergleich zum Höhepunkt liegen sie 47 Prozent tiefer.

In der Zwischenzeit herrscht ein Tohuwabohu, wie es ein alter Hase wie Jean-François Rime noch nicht erlebt hat. Österreichische Sägewerke etwa würden die Schweiz mehr oder weniger gar nicht mehr beliefern. Sie bekämen anderswo höhere Preise. Die Nachfrage in den USA, China und Deutschland habe massiv zugenommen. Trotz allem verrät Rime sein Bauchgefühl: «Dieser Ausnahmezustand dauert nicht lange an.»