
Diskriminierung im Möbelhaus: Ikea lotst Rollstuhlfahrende in die Sackgasse
Es ist diese Errungenschaft, auf die Ikea stolz ist: die erschwingliche Wohnungseinrichtung für grosse und kleine Portemonnaies. Doch trotz diesem kommerziellen Egalitarismus – bei der Behandlung von Kunden mit Behinderung hapert es beim schwedischen Möbel-Riesen.
«Es war keine Beratungsperson zu sehen»
Wunderlin folgte dem Rundgang in der Filiale – vorbei an Tischen, Sofas und Stühlen unterschiedlichster Couleur. Doch dann: Stopp. «Vor mir waren ein Rollband und eine Treppe, die auf die nächste Etage führten. Doch der Rollstuhl, auf dem ich sass und den ich von Ikea erhielt, passte nicht durch die Abschrankung vor dem Rollband, er war zu breit.» Wunderlin suchte nach einem gewöhnlichen Lift, einem Rollstuhllift oder einer Rampe. Fehlanzeige. «Es war auch keine Beratungsperson zu sehen, an die ich mich hätte wenden können.»
Während zahlreiche Kunden problemlos das Rollband benutzen konnte, wusste Wunderlin nicht, wie weiter – bis ein Ehepaar ihr half, den schweren Rollstuhl über die Abschrankung zu bugsieren. «Der Mann sagte mir, dass sein Bruder auf einen Rollstuhl angewiesen sei und er dieses Problem kenne», sagt Wunderlin.
Umbau zu teuer für Kamprad-Milliardäre?
Umso überraschender ist, dass auch Ikea das Problem kennt. «Ja, uns ist das seit längerem bekannt, aber ein Umbau wäre zu teuer», sagt ein Insider des Möbelhauses. Zur Erinnerung: Die drei Söhne des 2018 verstorbenen Ikea-Gründers Ingvar Kamprad sind laut «Bilanz» die mit Abstand reichsten Bewohner der Schweiz. Sie bringen es zusammen auf ein Vermögen von rund 55 Milliarden Franken.
Eine Sprecherin sagt, die Absperrungen vor dem Rollband gebe es aus Sicherheitsgründen, damit sich gewisse Einkaufswagen darin nicht verfangen würden. «Sie können leicht von einer Mitarbeiterin entfernt und somit für Rollstuhlfahrer geöffnet werden.» Kunden mit Kinderwagen, Rollstühlen oder Rollatoren sollten zudem «in der Regel» bei der Abgabe der Rollstühle auf die Abschrankungen aufmerksam gemacht werden, sagt die Sprecherin.
«Man fühlt sich aufgeschmissen und wird nervös»
Nur: Weder wurde Frau Wunderlin darauf vorab hingewiesen, noch fand sich eine Hilfsperson in der Nähe. Wunderlin sagt: «Man fühlt sich aufgeschmissen, nicht vollwertig und man wird nervös, da man in einer Sackgasse steckt.»
«Leider ist man im Rollstuhl sehr oft mit solch unangenehmen Situationen konfrontiert, da viele Firmen beim Bau nach wie vor nicht an Menschen mit Behinderungen denken.»
Marianne Rybi, Geschäftsleiterin der Behindertenkonferenz des Kantons Zürich, pflichtet Wunderlin bei. «Dieser Fall zeigt exemplarisch auf, was die unnötigen Konsequenzen sind, wenn man bei baulichen Massnahmen nicht an Menschen mit Behinderungen denkt.»
Oft sei der Aufwand für die zusätzliche Beschilderung, Kommunikation und Personalschulung im Nachhinein grösser, als wenn von Anfang an eine Rampe oder ein Rollstuhllift eingeplant werde. «Das ging bei Ikea leider vergessen.»
Lobende Worte für Ikea – und Tadel
Rybi lobt Ikea für den Gratis-Rollstuhlverleih, während in vielen anderen Geschäften nicht einmal der Zugang für Rollstuhlfahrer gewährleistet sei, da sie Stufen und keine Rampen haben. Andererseits sei Ikea ein Grosskonzern, von dem man sich eine gewisse Vorbildfunktion wünschen dürfe. Rybi verweist auf das Bekenntnis von Ikea zur «sozialen Nachhaltigkeit». «Dort listet die Firma aber die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen nicht auf, das ist schade.»
Die Ikea-Sprecherin räumt ein, dass es an der Stelle, wo Wunderlins Rundgang temporär endete, leider keine Lift-Alternative gibt. In anderen Ikea-Filialen gebe es keine vergleichbare Problemzone. Man werde aber nun die Beschilderung verbessern. Zudem werde man das Personal noch einmal darauf hinweisen, bei der Ausgabe der Rollstühle die Kunden über die Problemstelle zu informieren. Auch bauliche Massnahmen würden analysiert.
Was diese kosten würden, zum Beispiel mit dem Einbau eines Rollstuhl-Lifts, will der schwedische Milliarden-Konzern nicht sagen. Zeit, den allfälligen Preis zu evaluieren, hätte Ikea genügend gehabt. Die Rollrampe in Dietlikon wurde installiert, als ein zweites Gebäude zum bestehenden hinzukam und dreieinhalb Stockwerke entstanden. Das war vor 17 Jahren.
Rollstuhlverleih in Supermärkten
In den USA ist der Service Standard: Dort bieten grosse Supermärkte wie Walmart gratis Rollstühle oder elektrische Scooter an, damit Menschen mit Behinderung einfach durch die weitläufigen Filialen fahren können. Marianne Rybi von der Behindertenkonferenz des Kantons Zürich würde diesen Service auch hierzulande begrüssen. «Ab einer gewissen Verkaufsfläche würde dies auf jeden Fall Sinn machen.»
Ikea bietet dies an. Die Migros sieht dafür hingegen kein Kundenbedürfnis. «Die Kundinnen und Kunden, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind, kommen bereits mit diesem in unsere Filialen», sagt eine Sprecherin. Sollte es künftig ein Bedürfnis für Miet-Rollstühle geben, würde man dies prüfen. Coop bietet Rollstühle in Einkaufszentren gratis an.