E-Bike-Unfälle steigen seit zehn Jahren deutlich an – der Boom erklärt das nur zum Teil

Die Unfallstatistik spricht eine klare Sprache: Seit Jahren steigt die Zahl der Unfälle, in die Velofahrerinnen und Velofahrer verwickelt sind. Von CH Media analysierte Zahlen zeigen: 2020 geschahen über 50 Prozent mehr Unfälle mit Velobeteiligung als noch 2011.

Doch Fahrrad ist nicht gleich Fahrrad. Als Velo gilt in dieser Statistik alles, vom normalen Zweirad bis zum schnellen E-Bike. In Diskussionen am Stammtisch ist die Meinung indes oft einhellig: Die E-Bikes sind schuld. Nur: Stimmt das?

Die Frage lässt sich mit einem weiteren Datensatz des Bundes beantworten. Diese Auswertung zeigt deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Veloarten. Zwar steigt auch die Anzahl der an Unfällen beteiligten Velos. Aber der Anstieg bei E-Bikes ist deutlich präg­nanter, egal ob schnelle oder langsame. Verunfallte E-Bikes machen von Jahr zu Jahr einen grösseren Anteil aller verunfallten Velos aus. Waren es 2011 noch lediglich rund fünf Prozent, liegt der Anteil 2020 bereits bei über 30 Prozent. Das ist auch deshalb relevant, weil bei Unfällen mit E-Bikes öfter schwer verletzte oder gar getötete Personen zu verzeichnen sind als bei Unfällen mit normalen Velos.

 

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Doch warum verunfallen immer mehr E-Bikes? Gibt es einfach immer mehr solcher Velos auf den Strassen? Die Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten. Betrachtet man lediglich die Anzahl verkaufter E-Bikes, dann scheint der Zusammenhang auf den ersten Blick tatsächlich eindrücklich.

Doch ob dieser Zusammenhang die Ursache tatsächlich schon aufzeigt, ist ungewiss. Dagegen spricht, dass die Zahlen bei den normalen Velos keine Verknüpfung von Verkaufs- und Unfallzahlen nahelegen. Zudem weiss man nicht, wie viele der verkauften E-Bikes auch tatsächlich das Verkehrsaufkommen erhöhten. Marc Kipfer von der Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) sagt zum Beispiel, dass einige neu verkaufte E-Bikes auch dem Ersatz alter dienen. «Aber klar ist sicher, dass mehr gefahren wird. Der Boom ist ungebrochen.» Um die Unfälle mit den tatsächlichen Verkehrszahlen in Bezug zu setzen, gibt es leider nur ansatzweise Zahlenmaterial. Dabei zeigt sich: Die Verkehrsleistung (die Anzahl gefahrener Kilometer) und die Anzahl Unfälle verändern sich nicht gleichermassen. Auch die ganz am Anfang dieses Artikels erwähnte Entwicklung der Unfälle ohne Velobeteiligung spricht dagegen, dass alleine die Verkehrszahlen ursächlich für die Entwicklung der Unfallzahlen sind. Und auch der Autoverkehr zeigt: Obwohl dieser konstant wächst, gehen die Unfallzahlen in dieser Kategorie zurück.

Martin Platter, Geschäftsführer von Velosuisse, hat für Letzteres eine einfache Erklärung: «Die Unfälle mit Autos gehen auch deshalb zurück, weil die Technik immer besser wird.» Daniel Bachofner von Pro Velo, dem nationalen Dachverband für die Interessen der Velofahrenden in der Schweiz, erwähnt, dass technische Hilfsmittel künftig auch bei E-Bikes häufiger verbaut werden könnten. So zum Beispiel ein Antiblockiersystem (ABS).

Bachofner sieht neben dem steigenden Verkehrsaufkommen einen weiteren Grund, warum E-Bikes häufiger verunfallen: «E-Bikes werden zu einem grossen Teil von Leuten gefahren, die nicht oder nicht mehr so velofit sind.» Das führe oft zu zwei Arten der Überforderung: einer persönlichen – das E-Bike ist schneller und schwerer als normale Velos – und einer situativen – der Verkehr um einen he­rum ist schneller und hektischer, als man es gewohnt ist.

Die Infrastruktur soll das Velofahren sicherer machen

Zumindest die Vermutung, dass das Alter einen Einfluss hat, scheinen die Zahlen zu bestätigen. Während bei normalen Velos die Altersgruppe der 50- bis 59-Jährigen am häufigsten verunfallt, ist es bei den langsamen E-Bikes die Gruppe der 60- bis 69-Jährigen.

Für Bachofner gibt es eine ganze Reihe an möglichen Verbesserungen. Zum einen müsse man grundsätzlich mehr Platz für Velos freimachen, damit sich langsame und schnelle Velofahrende nicht in die Quere kommen. Noch besser wäre es, die schnellen E-Bikes müssten gar nicht mehr auf den Radwegen unterwegs sein. Weiter könne viel für die Sicherheit getan werden, wenn man sich Kurvenradien und Bodenbeläge genau anschaue oder Hindernisse wie Tramschienen und Schachtdeckel überprüfe.

Auch Kipfer von der BFU betont die Rolle der Infrastruktur. «Die Strassen wurden in der Schweiz lange Zeit für Autos gebaut», sagt er. Velofahrende seien dabei selten im Zentrum gestanden – und schon gar nicht solche auf E-Bikes. Kreisel, bei denen Autofahrende kaum abbremsen müssten, gebe es beispielsweise noch an zu vielen Orten. In solchen käme es gerne zu Unfällen mit Velofahrenden.