
E-Fahrzeuge nehmen zu: Das ist gut für die Umwelt – oder?
Im Vergleich zum Mai letzten Jahres hat der Anteil an Elektrofahrzeugen auf Schweizer Strassen um +180 Prozent zugenommen. Erst diese Woche prophezeite der Chef des Schweizer Automobilhändlers Amag in einem Interview mit dieser Zeitung, dass «ab 2025 Elektroautos günstiger sein werden als Verbrenner». Das ist angesichts der Bestrebungen, von fossilen Brennstoffen wie Diesel und Benzin wegzukommen und auf nachhaltige Alternativen zu setzen, eine gute Nachricht – könnte man meinen.
Nun ist es aber so, dass es für die Herstellung der E-Batterien (und auch Solarzellen, Windräder und sonstige High-Tech-Requisiten) ebenfalls Rohstoffe braucht. Der Zugang zu diesen Rohstoffen ist aber zunehmend erschwert, denn die Vorkommen an Land sind langsam erschöpft. Immer tiefer und aufwendiger muss gegraben werden, um an die versteckten Metalle wie Kobalt oder Lithium unter der Erde zu kommen.

E-Bikes der Marke Flyer warten auf ihre Auslieferung. Ihre Akkus sind in der Produktion aufwendig und brauchen knapper werdende Rohstoffe.
Die Lösung liegt in der Tiefe
Die Rohstofflieferanten und die Industrie müssen sich also etwas einfallen lassen, um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden. Jedes E-Bike, E-Auto, jedes Mobiltelefon und jeder E-Roller braucht seinen Akku – und die Materialien zu seiner Herstellung. Genau hier liegt das Potential vom Tiefseebergbau, auf Englisch «Deep Sea Mining». Tiefseebergbau verfolgt dasselbe Ziel wie der Bergbau an Land, einfach eben in den Tiefen der Meere: den Abbau von Rohstoffen, in diesem Fall Mineralien, die zu den benötigten Metallen verarbeitet werden.
Tiefsee nennt man die Meeresregionen, ab einer Tiefe von 200 Metern. Sie machen rund 65 Prozent der Erdoberfläche aus. Dort auf dem Meeresgrund gibt es reiche Vorkommen an den dringend benötigten Metallen Kupfer, Nickel, Aluminium, Mangan, Zink, Lithium und Kobalt und die Bemühungen, diese Ressourcen zu nutzen, laufen auf Hochtouren. Diese Bemühungen rufen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und auch Umweltschutzorganisationen auf den Plan. Denn der Tiefseebergbau steht am Übergang von der Exploration (Erkundung) zur Exploitation (Nutzung oder Ausbeutung). Die Exploitation, so die Prognosen, wird fatale Folgen für die Lebensräume und Organismen am Boden der Tiefsee haben.

Der Lebensraum des Tiefsee-Oktopus wäre durch den Tiefseebergbau bedroht.
Zu viele absehbare und unabsehbare Folgen
Der grösste Kritikpunkt von Wissenschaftlerinnen und Umweltschutzorganisationen ist, dass die Tiefsee schlicht noch zu wenig erforscht ist, um die Folgen der Explorationen, beziehungsweise des darauffolgenden Abbaus von Mineralien abschätzen zu können. Deswegen startete die Stiftung World Wide Fund for Nature (WWF) einen Aufruf zu einem Moratorium auf den Tiefseebergbau. Firmen wie BMW, Volvo, Google und der koreanische Batteriehersteller Samsung SDI folgten Ende Mai dieses Jahres als erste Firmen dieser Aufforderung.
Das steckt hinter der Forderung nach einem Moratorium für den Tiefseebergbau:
Die internationale Meeresbodenbehörde (ISA) wurde infolge des Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (UNCLOS) gegründet. Sie hat den Auftrag, Bodenschätze der Tiefsee als «gemeinsames Erbe der Menschheit» zu verwalten. Mitglieder sind alle Staaten, welche das Übereinkommen ratifiziert haben. Die Schweiz gehört dazu.
Die ISA vergibt Rechte an Mitgliedstaaten, welche Explorationen betreiben wollen. De facto sind darin auch die Rechte enthalten, Rohstoffe abzubauen. Problematisch dabei ist, dass es für den Abbau noch keine Regularien gibt.
Dank der sogenannten «Trigger-Klausel» könnte ein Mitgliedstaat, der eine Abbau-Lizenz verlangt, aber dennoch auf Basis provisorischer Regularien mit dem Abbau beginnen. Dann nämlich, wenn innerhalb zweier Jahre nach dem Antrag noch keine Regularien in Kraft sind.
Diese Klausel ist der Grund für den lauter werdenden Ruf nach einem Moratorium. Der Trigger könnte dazu führen, dass der Tiefseebergbau erlaubt wird, ohne wissenschaftlich fundierten Regeln und ohne, dass man über die genauen Auswirkungen auf die Umwelt Bescheid weiss.
Auch für die Schweiz relevant
Nicht nur, dass in der Schweiz die E-Mobilität rasant zunimmt, hier ist auch einer der grössten Umschlagplätze für Rohstoffe. Der Rohstoff-Riese Glencore mit Hauptsitz im Kanton Zug aber auch Allseas (in Freiburg ansässig und spezialisiert auf das Verlegen von Offshore-Pipelines), investieren bereits in die neue Möglichkeit des Tiefseebergbaus. So fungieren sie als Geldgeber der «The Metals Company» (früher «Deep Green Metals»), eine kanadische Firma, die aus den geborgenen Rohstoffen vom Meeresgrund in der Tiefsee Metalle zum Betreiben von E-Fahrzeugen herstellen möchte. Es fliessen also Gelder aus der Schweiz in die potentiell umweltschädlichen Aktivitäten in der Tiefsee.
Hier sieht Nicolas Walder, Vizepräsident der Grünen Partei Schweiz und Nationalrat, die Schweiz speziell in der Verantwortung. Er möchte, dass sie sich für ein Moratorium für den Tiefseebergbau einsetzt. In der Schweiz hätten einerseits «Bergbaugiganten aber auch Unternehmen, welche sich am Handel mit diesen Rohstoffen bereichern» ihren Sitz, sagt er auf Nachfrage.

Nicolas Walder, Nationalrat und Vize-Präsident der Grünen Schweiz.
Anfang Juni diesen Jahres reichte er deswegen eine Interpellation im Parlament ein. Sie beinhaltet folgende Fragen:
- Welche Position nimmt die Schweiz gegenüber Tiefseebergbau ein?
- Unterstützt sie ein Moratorium für den Tiefseebergbau?
- Würde die Schweiz sich bei der Internationalen Meeresschutzbehörde (ISA) um ein solches Moratorium bemühen?
Nicolas Walder meint dazu: «Ich will, dass sich das Schweizer Parlament überlegt, welche Position die Schweiz gegenüber der internationalen Meeresbodenbehörde (ISA) betreffend Tiefseebergbau einnimmt.» Die ISA verwaltet die Rechte an den Bodenschätzen der Tiefsee (siehe Infobox). Walder befürchtet einen herben Verlust an Biodiversität durch den Eingriff in die abgelegenen Lebensräume der Tiefsee.
«Dort unten leben Tausende von Arten von Lebewesen, die sich oft nur ganz wenig entwickelt haben während der letzten Jahrhunderte. Kommt nun Licht, Lärm und Druck – ohne von den Bohrungen selbst zu sprechen – könnte sich das als fatal für diese Pflanzen und Tiere erweisen.»
Die Auswirkungen auf diese Tiefsee-Organismen bringe wiederum einen ganzen Rattenschwanz an Folgen mit sich. Diese Lebewesen seien Nahrung für Fische und andere Tiere. Fallen sie weg, verschwinden auch die Fische.
Zu alldem kommt, dass das Meer ein riesiger Speicher von CO2 ist. Drei Viertel des CO2s sei dank des feinen Gleichgewichts der Organismen im Meer gebunden, erklärt Walder. «Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler warnen einstimmig: Jede Störung des marinen Systems wäre katastrophal für die Menschheit.» Und somit auch für die Schweiz.
Walder appelliert darum:
«Bevor wir weitere Ökosysteme für Mineralien zerstören, sollten wir zuerst alle anderen Optionen ausschöpfen, im Speziellen das Recyceln und Wiederverwenden von Batterien.»
Die Antworten des Parlaments werden wohl nicht mehr lange auf sich warten lassen, Walders Interpellation ist bereits in Bearbeitung. Das die Zeit drängt, zeigen nun auch die neusten Entwicklungen. Der Pazifik-Staat Nauru hat laut Medienberichten den Antrag für eine Abbau-Lizenz gestellt. Nun gilt es, innert zwei Jahren verbindliche und wissenschaftlich fundierte Regularien auszuarbeiten. Sonst beginnt der Tiefseebergbau ohne solche. Die Folgen davon sind aus der heutigen Sicht nicht abzuschätzen (siehe Infobox: «Das steckt hinter der Forderung nach einem Moratorium für den Tiefseebergbau»).
Diese politischen Akteure unterstützen ein Moratorium:
- Europäisches Parlament (2018, 2021)
- Premierminister von Fidschi (2019)
- Premierminister von Vanuatu (2019)
- Premierminister von Papua New Guinea (2019)
- Secretariat of the Pacific Regional Environment Programme (SPREP)
- Britisches Unterhaus
- Portugals Minister für Ozeane (2020)
- Neuseeländischer Co-Präsident der Maori Partei (2021)