
E-Mobilitäts-Chef der ABB sagt: «Das Laden von E-Autos wird deutlich schneller werden»
Die E-Mobility-Division erwirtschaftete 2020 einen Jahresumsatz von 220 Millionen Dollar. Wie kam dieser Umsatz zustande?
Frank Mühlon: Wir sind ein Hersteller von Ladeinfrastrukturen. Wir bauen die Hardware und die Software, die von den Betreibern dieser Ladeinfrastrukturen verwendet werden.
Wie viel pro Umsatzdollar bleibt bei ABB als Gewinn zurück?
Bei dieser Division steht aktuell das Wachstum klar im Vordergrund. Konkrete Zahlen nennen wir jedoch nicht.
ABB verfügt über eine installierte Basis von weltweit etwa 20’000 Ladestationen. Sie bezeichnen sich selbst als Marktführerin. Wer sind denn Ihre Mitbewerber?
Die 20’000 Stationen, die Sie ansprechen, sind Gleichstrom-Schnellladestationen. Wenn Sie die in den Haushalten verwendeten Wechselstrom-Lader hinzurechnen, beträgt unsere installierte Basis etwa 400’000 Stationen.
Gut, aber die grossen und teuren Anlagen sind die Schnelllader. Da spielt doch im Moment die Musik. Wer sind denn Ihre stärksten Mitbewerber?
Es gibt nicht den einen grossen Konkurrenten. Es gibt viele Anbieter, und die meisten Anbieter operieren regional. Wir sind der einzige, der global agiert.
In den USA gibt es aktuell etwa 45’000 Schnellladestationen. Das Land will bis 2030 die Hälfte des Automobilverkehrs elektrifizieren. Dafür sind laut Regierung 500’000 Stationen erforderlich. Wie viel von diesem Kuchen wird sich ABB sichern können?
So viel wie möglich.
Geht’s nicht doch noch etwas konkreter?
Im Markt sind wir uns alle einig, dass wir ein massives Wachstum erleben werden. Davon versucht natürlich jeder, möglichst viel abzubekommen. Als technologisch starker Akteur, der weltweit vertreten ist, erwarten wir, dass wir deutlich von diesem Wachstum profitieren werden.
Die US-Regierung will mit dem Billionen-Dollar-schweren Investitionsprogramm unter anderem den Aufbau des Ladenetzes unterstützen. Wie kann ABB davon profitieren?
Die öffentlichen Investitionsprogramme adressieren immer die Betreiber von Ladestationen – nicht nur in den USA. In Deutschland sind das zum Beispiel Ionity oder EnBW, in Europa BP, Shell oder Total. Diese Firmen bewerben sich für die Förderprogramme und kaufen mit dem Geld dann Ladeinfrastruktur – unter anderen bei ABB.
Tesla baut selbst eine Ladeinfrastruktur auf und will diese auch für Nicht-Tesla-Fahrer öffnen. Müssen Sie befürchten, dass Tesla in den USA gegenüber ausländischen Anbietern eine Vorzugsbehandlung erhält?
Diese Gefahr sehe ich nicht. Tesla spielt in den USA und weltweit zwar eine massgebliche Rolle. Aber ich sehe die Firma weniger als Mitbewerberin durch ihr eigenes Ladenetzwerk als vielmehr als Wegbereiterin der Elektrifizierung des Strassenverkehrs.
Aber Tesla will das eigene Ladenetzwerk für Drittkunden öffnen.
Es bleibt abzuwarten, wie die angekündigte Öffnung des Tesla-Ladenetzwerkes ausgestaltet werden wird und wie komfortabel diese Öffnung am Ende für Tesla-Fahrer und für Nicht-Tesla-Fahrer sein wird. Das eigene Ladenetzwerk von Tesla ist ein Vorteil für Tesla-Fahrer, solange sie diese Infrastruktur exklusiv nützen können.
In Europa gibt es derzeit gegen 70000 Schnellladestationen, wobei das Tempo der Elektrifizierung von Land zu Land stark variiert. Wie werten Sie die Entwicklung in Europa im Vergleich zu den USA?
Europa geht relativ rasch voran. Wenn Sie die Investitionssummen in Europa mit jener der USA vergleichen, dann liegen wir hier gut im Rennen. Ich sehe, dass viele europäische Automobilhersteller ein Feuerwerk an neuen Elektro-Modellen bringen. Ich denke, dass die Elektrifizierung in den USA und Europa letztlich im Gleichklang vorangehen könnte.
Kritiker sagen, längere Reisen mit einem Elektromobil sind immer noch eher etwas für abenteuerlustige Leute. Das Netz weist regional grosse Lücken auf. Einverstanden?
Das Ladenetz für Langstreckenfahrten ist schon dicht, aber es ist zugegebenermassen noch nicht dicht genug. Als E-Fahrer kann ich Ihnen aber versichern: Das Netz etwa in Deutschland, den Niederlanden, Belgien, der Schweiz oder auch Norditalien ist so dicht, dass Laden überhaupt kein Thema ist.
Aber in Süditalien schon.
Ja, da kann es etwas schwieriger werden. Aber Sie können ja noch immer auf Wechselstrom-Ladegeräte ausweichen. So dauert das Laden zwar länger, aber Sie kommen auch zum Ziel.
Wenn wir schon von Ladegeschwindigkeit reden: Eine Benzintankfüllung dauert vielleicht fünf Minuten. Eine Schnellladung 40 Minuten. Kommt da noch mehr?
Ja, wir werden deutlich schneller. Die Batterien neuer E-Modelle lassen sich mit 800 Volt aufladen, dem Doppelten der bisher gängigen Spannung. Das heisst, Reichweiten von 100 Kilometer werden in fünf Minuten nachgeladen.
Sie haben vor einiger Zeit eine Kooperation mit Amazon im Bereich des Flottenmanagements angekündigt. Worum geht es da?
Da geht es um Softwarelösungen. Für das Betreiben einer E-Flotte gelten andere Bedingungen als für das Betreiben einer Flotte mit Verbrennungsmotoren. Die Reichweiten sind anders, und wenn man irgendwo laden muss, sollte der Ladevorgang am besten dynamisch in die Planung einbezogen werden. Auch möchte ein Flottenbetreiber die Anzahl Ladegeräte in seinen Depots dynamisch managen. Für die Optimierung solcher Prozesse haben wir ein spezifisches Softwaretool entwickelt.
E-Mobilität ist erst seit Februar eine eigenständige Division bei ABB. Was hat sich geändert?
Wir sind formal eine Division geworden. De facto war das schon vorher der Fall. Neu ist, dass wir jetzt einen sogenannten Carve-out vorbereiten. Wir werden eine rechtlich eigenständige Einheit werden, um uns auf die Möglichkeit eines Börsenganges einzustellen.
Wünschen Sie sich denn einen Börsengang?
So eine Entscheidung wird vom Senior Management und dem Verwaltungsrat getroffen, insbesondere in Anbetracht der Lage auf dem Kapitalmarkt.
Von welcher Bewertung reden Sie?
Dazu müssen Sie die Banken befragen.
Wo soll der Börsengang stattfinden? In New York, London, Stockholm, Zürich oder vielleicht sogar Schanghai?
Dazu wollen wir uns noch nicht äussern.
E-Mobilität ist in der Schweiz im europäischen Mittelfeld
Von den 4,7 Millionen Personenwagen, die das Bundesamt für Statistik im Jahr 2020 gezählt hat, verfügten etwas weniger als ein Prozent über einen rein elektrischen Antrieb. Fahrzeuge mit Hybridantrieb kamen auf knapp 2,9 Prozent. Der Bestand verändert sich allerdings sehr rasch. Während 2020 rund ein Viertel weniger Personenwagen zugelassen wurden als im Jahr davor, brachen die Zulassungen für Wagen mit Dieselantrieben um mehr als ein Drittel ein. Autos mit alternativen Antrieben blieben dagegen sehr stark nachgefragt.
Die Zulassungen von Hybridfahrzeugen stiegen um 46 Prozent, jene von reinen E-Mobils um 48 Prozent. Mit diesen Zahlen bewegt sich die Schweiz etwa im europäischen Mittelfeld, deutlich hinter dem führenden Norwegen. Wären alle registrierten Personenfahrzeuge in der Schweiz bereits jetzt reine Elektroautos, würden sie nach Hochrechnungen etwa ein Fünftel des gesamten Stromverbrauchs im Land beanspruchen. So würden jährlich drei Millionen Tonnen Diesel und Benzin eingespart. Zurzeit gibt es in der Schweiz rund 400 Schnellladestationen. Hinzu kommen gut 3000 Wechselstrom-Ladestationen. (dz)