
«Eigentlich habe ich in letzter Zeit überhaupt nicht gearbeitet»: Wie sich Koch-Lehrlinge dennoch auf ihre Abschlussprüfungen vorbereiten
Nein, Siro Kressigs Koch-Ausbildung verlief alles andere als planmässig. Dreimal musste der Niederrohrdorfer aus verschiedensten Gründen den Lehrbetrieb wechseln. Letztes Jahr setzte ihn ein schwerer Unfall ausser Gefecht und dann kam auch schon Corona und mit dem Virus die Restaurantschliessungen. Zum ersten Mal seit drei Wochen steht Siro für den Termin mit der «Aargauer Zeitung» am Herd des Restaurant Stalden in Berikon.
Die Restaurantterrasse bleibt vorläufig weiterhin geschlossen
Richtig gekocht wird aber auch dann nicht. Denn das Restaurant Stalden bleibt auch mit den möglichen Terrassenöffnungen vorläufig geschlossen, die Küche steht praktisch leer. «Es lohnt sich für uns schlichtweg nicht», meint Heiner Kuster, Geschäftsinhaber und Ausbilder von Siro Kressig.

Bis auf Weiteres bleibt das Gilde-Restaurant Stalden von Heiner Kuster in Berikon geschlossen.
Erst seit Januar ist Kressig im Stalden tätig, nachdem seine letzte Ausbildungsstätte, die Brasserie Terrasse im Hotel Heinrüti-Rank in Widen im November nach 64 Jahren seine Türen für immer schloss. Das altehrwürdige Gebäude muss einer Grossüberbaung mit 111 Wohnungen weichen.
Praxis fehlt vor den praktischen Abschlussprüfungen komplett
Siro Kressig, der im «Heinrüti-Rank» ganz alleine für den Entremetier, den Beilagen-Posten, zuständig war, konstatiert:
«Die Übung geht sehr schnell weg.»
Am 18. Mai hat der 19-Jährige die praktische Abschlussprüfung zum Ende seiner dreijährigen Kochlehre. Praxis ist denn aber auch genau das, was ihm fehlt. «Eigentlich habe ich in letzter Zeit gar nicht gearbeitet», sagt er.

Die Handgriffe hat Siro Kressig (hier mit Mitstiftin Sohaila Haidari) zwar nicht verlernt, aber die Routine des Tagesgeschäfts fehlt ihm für die Prüfung.
Heiner Kuster, der auch im Vorstand von Gastro Aargau ist, erläutert:
«Viele der Lernenden haben jetzt ein riesiges Handicap. Es fehlt die Verbindung von der Theorie aus der Berufsschule mit der Praxis im Betrieb.»
Um seinen Lernenden trotz geschlossenem Betrieb auf die Prüfung vorzubereiten, wurde der Inhaber kreativ. «Wir mussten irgendetwas machen», sagt er. So wurde kurzerhand zum fünfgängigen Prüfungsdinner im «Stalden» eingeladen.
Möglich machte dies das dazugehörende Hotel. Dort wurden die jeweils rund 25 Gäste einquartiert und durften dann am Abend coronakonform im Restaurant dinieren.

Im dazugehörigen Hotel Stalden, gleich gegenüber dem Restaurant, wurden die Gäste für Siro Kressigs Prüfungsdinner einquartiert.
An fünf Abenden konnte sich Siro Kressig so auf die Prüfung vorbereiten. Zudem bot der «Stalden» zeitweise am Wochenende einen Take-away an und beliefert jeweils drei Tage die Woche einen Mittagstisch.

Siro Kressig mit Geschäftsführer Heiner Kuster und Mitstiftin Sohaila Haidari.
Auch die von Gastro Aargau organisierten Probeprüfungen hätten Siro sichtlich gutgetan, versichern Lehrling und Ausbilder gleichermassen. Dennoch fehle dem 19-Jährigen natürlich die Routine des normalen Tagesgeschäfts. Ob er die Prüfung trotz seines Handicaps schaffen wird? «Ich kann es gar nicht einschätzen», sagt Kressig. Aber so langsam habe ich ein gutes Gefühl.»
Sie profitierte von mehr Aufmerksamkeit ihrer Ausbilder
Ganz anders erlebte Sunica Müller die Coronazeit. Die 26-Jährige absolviert im Spital Muri eine Zweitausbildung zum Koch. Auch sie ist im letzten Lehrjahr, auch sie hat Ende Mai ihre praktische Abschlussprüfung. Doch im Gegensatz zu anderen Lernenden ist sie bestens darauf vorbereitet. Denn einen Unterbruch hatte sie nie, auch nicht während der Pandemie.

Da nur noch Patienten und Mitarbeiter verköstigt werden, hatten Gastro-Leiter Markus Weishaupt (l.) und Ausbilder Fredy Grogg mehr Zeit für die Lernenden.
Denn der Betrieb in der Gastroküche des regionalen Gesundheitszentrums lief nahtlos weiter. Sellerie-Piccata, süsse Randenmousse oder geschmorte Kalbsbäggli sind für die Zufikerin kein Problem. Beim Probeessen letzte Woche, zu dem auch die AZ eingeladen war, wirkte sie konzentriert, aber durchwegs gelassen. Kein Wunder, war es doch bereits ihr zwölftes Probekochen vor der Prüfung.

Konzentriert aber gelassen bereitet Sunica Müller die Vorspeise für das fünfgängige Menu vor.
Zu verdanken hat sie dies ihrem Lehrmeister Fredy Grogg und Gastronomie-Leiter Markus Weishaupt. Sunica Müller beschreibt:
«Wir wurden jeden Tag ausgebildet. Das war echt schön.»
Die Auswirkungen der Pandemie bekam sie denn auch beruflich positiv zu spüren. Denn ganz ohne Folgen blieb es auch für das Küchenteam im Spital Muri nicht. Wegen der Restaurantschliessungen blieb auch die Spital-Cafeteria für auswärtige Besucher geschlossen. Und bleibt dies weiterhin.
Trotz Krise werden noch immer 440 Menus pro Tag serviert
Rund ein Drittel weniger Menus werden deshalb ausgegeben. Davon profitierten die vier Lernenden, denn die Ausbilder konnten sich im Coronajahr deutlich mehr Zeit für sie nehmen. Trotzdem werden in der Spitalküche tagtäglich Essen für 220 Patienten und Mitarbeiter zubereitet.
Dass Sunica Müller damit in einer glücklichen Lage ist, ist sich die angehende Köchin bewusst. Sie sagt:
«Viele meiner Klassenkameraden dürfen zum Teil gar nicht mehr arbeiten. Ihnen fällt zu Hause regelrecht die Decke auf den Kopf.»
Müller, für die ihr Alltag praktisch unverändert weiterging, war froh um die Abwechslung und die Ablenkung von der Pandemie.

Sunice Müller war froh, dass sie sich in der Küche vom Corona-Alltag ablenken konnte.
Zu schaffen machte ihr hingegen der Online-Unterricht an der Berufsschule: «Es ist nicht das Gleiche, vor allem, wenn man ein neues Thema anfängt, fehlt der direkte Kontakt zu den Lehrern», sagt sie. «Es fiel mir nicht leicht, so zu lernen.» Dank der Unterstützung von Fredy Grogg und Markus Weishaupt, blickt Sunica Müller aber auch der theoretischen Prüfung optimistisch entgegen. Und Gastrochef Weishaupt ist sich nach dem Dessert – einer Mandelcrème – sicher: «Sunica wird beide Prüfungen bravourös meistern.»
