Einführung der Zertifikatspflicht: Wirte wollen nicht Polizist spielen

«So ein Seich!» Sylvia Schacher vom «Blauen Esel»in Reiden schüttelt den Kopf. Seit Beginn des Sommers arbeitet ihr Personal wieder Vollzeit. Das Geschäft brummt. Auch wenn kaum Gruppenanlässe gebucht werden, so kommen die Gäste wieder zum Essen. Doch nun stellt die Zertifikatspflicht, die ab kommendem Montag für ­Innenräume gilt, die Wirtin vor neue Probleme.

«Bei uns kehren viele Chauffeure ein», sagt Schacher. Unter ihnen gäbe es einige Ungeimpfte. «Was mache ich mit diesen Gästen im Winter?», fragt sie. «Wie soll ich die alle kontrollieren?» Die Massnahmen gegen die Pandemie träfen immer die Gastronomie, ärgert sie sich. Andere Betriebe, in denen sich ebenfalls viele Menschen träfen, würden weniger zur Verantwortung gezogen.

Die Meinungen unter den Wirten sind geteilt

Im Café Chratz in Dagmersellen, wo Loredana Höfner wirtet, klingt es anders. Man habe nichts gegen die Zertifikatpflicht, begrüsse sie sogar, heisst es dort. Zum einen, weil das Personal ja selber zum Teil gefährdet sei und eine höhere Impfquote irgendwie erreicht werden müsse. Zum andern, weil viele ältere Leute die Beiz mit der Minigolfanlage besuchen. «Vermutlich sind 90 Prozent unserer Gäste bereits geimpft.»

Die Meinungen zur Zertifikatspflicht sind unter den Gastronomen geteilt. «Ich verstehe beide Seiten», sagt Sandra Zettel, Gastro-Luzern-Präsidentin in der Region Willisau. Den Schutzgedanken und die Notwendigkeit, die Seuche zu bekämpfen, kann sie ebenso nachvollziehen wie die grossen Vorbehalte gegen die Einführung der Zertifikatspflicht. Man könne zudem wenig über die konkreten Auswirkungen sagen. «Umsatzeinbussen werden erwartet, aber sicher ist das nicht in jedem Fall.»

Viele Restaurants haben einen guten Sommer hinter sich. So auch der «Ochsen» in Roggliswil. Nun beginnt der Herbst mit den Banketten und Firmenanlässen, die für den Landgasthof wichtig sind. «Einzelne Organisatoren haben den Termine für ihre Gruppen schon abgesagt», erzählt Gastgeberin Claudia Blum. Ein Zertifikat wollten oder könnten sie nicht bei allen Gruppenmitgliedern voraussetzen.

Tamara Schärer vom Restaurant Sonne in Reiden wird von ihren Gästen zur Zertifikatspflicht befragt, als die Nachricht von ihrer Einführung eintrifft. «Alle Antworten kenne ich noch nicht, aber bis Ende Woche werden wir sie haben», sagt sie. Das sei bisher immer so gewesen.

Die Branche hat zwei Lockdowns und ein Dutzend Änderungen der Schutzkonzepte hinter sich. Die Wirte machen das Beste aus der Situation. Die «Sonne» hat zur Mittagszeit zusätzlich ein Take-Away eingerichtet. Natürlich werde man sich an die neuen Bestimmungen halten, sagt Tamara Schärer. Aber man habe lange gehofft, dass die Zertifikatspflicht nicht kommt. «Nun darf ein Teil unserer treuen Gäste, die uns während der Pandemie unterstützt haben, nicht mehr zu uns kommen.» Damit habe sie Mühe. Ihre Stammgäste seien ihr eine Herzensangelegenheit.

«Die Wirte möchten nicht Polizist spielen», sagt Hannes Baumann aus Wikon, langjähriger Gastropräsident der Region. Sie wollten nicht mit ihren Gästen streiten. Dies sei aufwändig und überdies bei überzeugten Impfgegnern oft aussichtslos. «Auch unsere Zeit ist nicht gratis», so Baumann.

Klar sei, das eine Impfquote von 80 Prozent erreicht werden müsse. Auch gäbe es Vorteile durch die Zertifikatspflicht – Kapazitätsbegrenzungen fielen weg. Aber das menschliche Problem für die Wirte bleibe bestehen. «Dennoch ist alles besser als eine erneute Schliessung.» Dadurch würde es für viele Betriebe immer schwieriger, gutes Personal zu finden, weil dieses die Branche wechsle.