
Entschleunigung mit Lama statt Yoga
SOMMERSERIE
Mein erstes Mal
In unserer Sommerserie wagen sich Redaktorinnen und Redaktoren an Dinge heran, die sie schon lange einmal ausprobieren wollten. Heute unternimmt Caroline Kienberger ein kurzes Lama-Trekking.
Lamas gelten als Anti-Stress-Therapeuten. Der gemütliche Charakter der Tiere soll Menschen zur Ruhe bringen und entschleunigen. Auf dem Lamahof Bergloch in Brittnau möchte ich ausprobieren, ob das stimmt. Betrieben wird der Hof von Renate und Benjamin Suter. Die beiden halten seit sieben Jahren Lamas und bieten Lama-Touren für Gäste an. Ich buche die anderthalbstündige Schnuppertour, die durch den Brittnauer Wald und den Feldern entlang führen wird.
Unterwegs mit Vater und Sohn
Im Stall darf ich mir ein Lama aussuchen, das mich auf dieser Wanderung begleitet. Fast synchron drehen die Tiere ihre Köpfe in meine Richtung, als sie die unbekannte Besucherin am Gatter entdecken. Die Augen sind gebannt auf mich geheftet. So, als ob sie vom bevorstehenden Spaziergang wüssten und gespannt darauf warteten, wen ich als Begleiter auswähle. Ich entscheide mich für das graue Lama mit der weissen Blesse auf der Stirn. Es ist ein Männchen und heisst Falco. Falco bekommt ein Halfter und einen Packsattel angelegt, mit dem er meine Tasche tragen kann. Viele seiner Artgenossen sind in den südamerikanischen Anden noch heute als Lasttiere unterwegs. Dann geht die kleine Wanderung auch schon los. Wir laufen vom Hof aus durch den Wald in Richtung Fennern. Benjamin Suter geht mit dem Lama Lee voran. Lee ist Falcos Vater und hat vor zwei Jahren mit seinem Besitzer die Schweizer Lama-Trekking-Meisterschaften gewonnen. Er musste dabei Posten mit Hindernissen bewältigen. Die beiden harmonieren gut miteinander. Benjamin geht mit Lee zügig voran, während mein Lama ständig stehen bleibt. «Er merkt, dass du angespannt bist», sagt Benjamin. Lamas seien sensible Tiere, die genau merken, was in ihrem Gegenüber vorgeht. Ist der Mensch nervös, überträgt sich dies auf das Lama. «Einfach mal tief durchatmen», rät er. Ich befolge den Tipp. Einen Grund, mich vor Falco zu fürchten, gibt es nicht: Lamas sind Fluchttiere und haben ein friedliches Wesen. Angst, dass Falco mich anspuckt, muss ich auch nicht haben. «Sie machen das nur als Drohgebärde unter Artgenossen; oder wenn man sie bedrängt», erklärt Benjamin.
Therapie-Tiere für Kinder
Und so freunden das Lama und ich uns langsam an. Ich streichle Falco am Hals; sein geschorenes Fell ist weich wie ein Plüschkissen. Er frisst derweil Blätter von einem Baum. Wir laufen bis zur nächsten Wegbiegung und bleiben bei einem Baumstrunk stehen. Benjamin nutzt die Spaziergänge mit den Lamas auch als Training. Er dirigiert Lee um den Wurzelstock herum und stellt sich zusammen mit ihm auf den schmalen Baumstrunk. Ich versuche mit Falco das gleiche Kunststück. Doch er möchte nicht so recht. «Diese Zusammenarbeit braucht Routine», sagt Benjamin. Der Lamahof Bergloch bietet neben den Trekking-Touren auch tiergestützte Förderung für Menschen mit Handicap oder für Kinder an. Lamas werden wegen ihrer Sanftheit oft für solche Therapien eingesetzt. Das Mädchen, das seit dem Herbst mit den Lamas arbeitet, schaffe es jedes Mal, sie auf den Baumstrunk zu bewegen.
Lamas klingen wie Marge Simpson
Wir verlassen den Wald und laufen den Mais- und Weizenfeldern entlang. Falco grast im Vorbeigehen ein paar Löwenzahnblätter ab. Es ist heiss. Lamas macht die Wärme, ausser beim Arbeiten, nicht viel aus. «Sie legen sich gern in die Sonne; wie wir Menschen», sagt Benjamin und lacht. Manchmal geben die Tiere Geräusche von sich, die ein bisschen so klingen wie das mürrische Knurren der Trickfilmfigur
Marge Simpson. Es sind typische Lama-Laute. «Es könnte heissen, dass sie sich auf dieser flachen Strasse langweilen», meint Benjamin. Schliesslich wurden die Tiere einst für die steinigen Bergwege in den Anden gezüchtet. Also geht es auf dem Rückweg zum Hof durch den Wald; wir laufen über einen schmalen und steilen Pfad. Ich komme ins Schwitzen. Falco stolziert hinter mir leichtfüssig den Weg hinauf und gönnt sich zwischendurch ein paar Himbeeren von den Sträuchern neben uns. Dann pustet er mir seinen warmen Atem in den Nacken. Der steile Aufstieg hat offenbar sein Vertrauen in mich gestärkt: Als wir oben ankommen, geht er zum ersten Mal neben mir her. Ich fühle mich ebenfalls entspannt; wie nach einer Stunde Yoga. Das Lama-Trekking hat seine entschleunigende Wirkung voll entfaltet. Als wir wieder vor dem Stall ankommen, bedanke ich mich bei Falco für das Tragen meiner Tasche. Er blickt mich mit seinen Kulleraugen freundlich an. Dann widmet er sich wieder den Grasbüscheln am Boden.